"Die Schuld liegt allein bei der Tatperson"

Unerwünschte Dick Pics: Wie gehen Betroffene am besten damit um?

Alicia Kohl

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20.9.2022, 06:00 Uhr
Vor allem Frauen oder weiblich gelesene Personen werden häufig mit Dick Pics konfrontiert.

© IMAGO / imagebroker Vor allem Frauen oder weiblich gelesene Personen werden häufig mit Dick Pics konfrontiert.

Einfach gedankenlos ein bisschen durch Instagram scrollen, Reels und Bilder anschauen, in die Direct Messages gehen, anschauen, was Freunde und Freundinnen geschickt haben. Und dann ist es da auf einmal. Zwischen den ganz normalen Nachrichten: das Bild eines Penis.

Viele Menschen, meist Frauen oder als Frauen gelesene Personen, haben diese oder ähnliche Situationen bereits erlebt - und das nicht nur einmal. Ob Instagram oder andere Soziale Netzwerke, sicher vor solchen ungefragten Bildern von Genitalteilen sind viele nirgendwo im Internet. "Ich ignorier das meistens. Ich blockiere den Menschen und melde ihn auf Social Media, auch damit er nicht die Reaktion bekommt, die er bezweckt", sagt Marie Gomez, Moderatorin bei Energy Nürnberg.

Auch Steffi Scheermann von Radio N1 wird häufig damit konfrontiert; sie löscht die Bilder meistens direkt. "Das ist super unangenehm und super gruselig, weil es echt jede Frau erwischen kann." Sogar an die Studiohotline habe jemand über WhatsApp schon mal ein Dick Pic geschickt. Dabei bekommt die N1-Moderatorin die Bilder nicht erst, seit sie im Radio zu hören ist und damit stärker in der Öffentlichkeit auftritt. Schon zuvor hat sie etwa dieselbe Anzahl an übergriffigen Bilder bekommen.

Hilfe holen

"Jede Reaktion, die einer Betroffenen gut tut, ist darüber hinaus die richtige", sagt Steffi Walter von der Beratungsstelle des Frauenhauses Nürnberg. Auch das Verharmlosen oder Belächeln von Dick Pics könne laut Friederike Hahm vom Frauennotruf Erlangen eine Form des Umgangs damit sein. Manchmal könnten solche Bilder von Betroffenen gut verarbeitet und vergessen werden. Es könne aber auch sein, dass dieses Bild immer wieder unkontrolliert in den Gedanken auftaucht und sehr unangenehme oder belastende Emotionen auslöst, so Rosi Ringer vom Wildwasser Nürnberg e.V.. "Ist das der Fall, ist es gut, sich professionelle Hilfe zu suchen."

Dazu raten auch die anderen Beratungsstellen, obwohl Walter auch darauf hinweist, "dass es nicht den einen richtigen Umgang mit Dick Pics gibt". Betroffene würden laut Ringer oft in eine Art Ohnmacht oder Hilflosigkeit verfallen oder die Schuld bei sich suchen. Täter rechneten damit, dass die Betroffenen durch Scham, Verlegenheit oder Angst unter Druck gesetzt und daher schweigen würden.

"Deswegen ist es so wichtig, auch bei vermeintlich geringen sexuellen Grenzüberschreitungen und sexualisierter Gewalt, mit Vertrauenspersonen darüber zu sprechen, sich Hilfe zu holen und sich selber zu ermächtigen", so Ringer. Jede Person solle ihre Gefühle ernst nehmen, um so einen Weg zu finden, sich zu wehren und sich wieder selbstbestimmter zu fühlen, führt Hahm weiter aus. Walter rät, ebenso wie die anderen Beschäftigten der Beratungsstellen, dazu, mit Vertrauenspersonen aus Freundeskreis oder Familie über die negativen Gefühle zu sprechen und sie nicht einfach zu ignorieren. Sollte das nicht möglich sein, sind Frauenberatungsstellen und Online-Angebote die richtigen Anlaufstellen.

Auch die Polizei hat ein Beratungstelefon eingerichtet, über das sich Opfer sexueller Gewalt oder Übergriffe, häuslicher Gewalt, Nachstellung und Kindesmisshandlung zunächst beraten lassen können, bevor sie über ihr weiteres Vorgehen entscheiden. Wichtig ist: "Die betroffene Person hat keine Schuld und kann nichts dafür. Die Verantwortung liegt allein bei der Tatperson", wie Ringer betont.

"In manchen Fällen können solche Bilder für Betroffene, welche bereits sexualisierte Gewalt erleben mussten, retraumatisierend wirken", erklärt Hahm. Das kann Marie Gomez aus eigener Erfahrung bestätigen. Schon als Kind musste sie Erfahrungen mit solchen Übergriffen machen, als ein fremder Mann unerlaubt und in Abwesenheit der Eltern Bilder von ihr gemacht hat. Im Erwachsenenaltern hat ein Exhibitionist vor ihr masturbiert. "Bei jedem Dick Pic, das ich bekomme, werde ich an diese Gefühle erinnert", erzählt sie, "man fühlt sich dadurch so angreifbar."

Ungefragte Dick Pics sind eine Straftat

Damit die Versendenden von Dick Pics zur Rechenschaft gezogen werden können, gibt es über die Internetseite https://dickstinction.com die Möglichkeit, diese ohne großen Aufwand anzuzeigen. Denn das ungefragte Versenden von Dick Pics ist nach §184 StGB eine Straftat und "fällt für uns unter sexualisierte Gewalt im digitalen Raum", wie Hahm vom Frauennotruf Erlangen betont.

Sandra Boßert, Kriminaloberkommissarin und eine der drei Beauftragten für Kriminalitätsopfer bei der Polizei Mittelfranken, rät dazu, solche Bilder zur Anzeige zu bringen, da das unaufgeforderte Versenden strafbar ist. Der Täter verhält sich eindeutig grenzverletzend. Die Beratungsstellen sehen das etwas differenzierter. Zwar haben alle auch auf Dickstinction verwiesen, geben aber auch zu bedenken, dass es mit einer Anzeige nicht getan ist. Ob die empfangende Person Anzeige erstattet, solle aber jede selbst entscheiden, wie Walter vom Frauenhaus Nürnberg betont. "Warum? Eine Anzeige birgt tatsächlich gewisse Risiken."

So kann sie zum einen natürlich nichts ergeben, ist die Suche nach Beweisen und der sendenden Person aber erfolgreich, wird die Straftat weiter verfolgt. Dabei werden zunächst die Zeuginnen und Zeugen vernommen, "man muss also bereit sein, detailliert davon zu erzählen", stellt Ringer klar. Hat man erstmal Anzeige erstattet, kann diese nicht zurückgezogen werden und die Betroffenen sind damit Zeuginnen und Zeugen einer Straftat und damit verpflichtet auszusagen.

Laut Kriminaloberkommissarin Boßert kann die Geschädigte Person im Rahmen des Ermittlungsverfahrens einen Strafantrag stellen und ihr Strafverfolgungsinteresse bekunden. Nach Abschluss aller Ermittlungen entscheidet die Staatsanwaltschaft, welches Strafmaß sie für angemessen hält. Die Strafe variiere fall- und personenabhängig. Es können Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von einem bis zu mehreren Jahren verhängt werden.

Die Beratungsstellen sind sich einig, dass Betroffene sich daher vor einer Anzeige erst ausführlich informieren sollten, damit ihnen bewusst ist, was auf sie zukommt. Grundsätzlich sei es aber natürlich "immer richtig, eine sexuelle Straftat anzuzeigen", so Ringer, allerdings nur, wenn die betroffene Person sich dafür bereit fühlt. Sowohl die Polizei als auch die Beratungsstellen raten daher auch dazu, einen Screenshot zu machen, auf dem das Bild mit Datum, Uhrzeit und dem Benutzernamen oder der Telefonnummer des Absenders zu sehen ist. Dann kann die Entscheidung, ob man das Bild zur Anzeige bringen will, in Ruhe getroffen werden.

So oder so sollten Betroffene den Absender aber auf jeden Fall über das jeweilige Medium blockieren und wenn möglich auch melden, darüber sind sich alle einig. "Je weniger wir die Verantwortung dorthin tragen, wo sie liegt - nämlich bei der Person, die das Bild versendet hat - liegt sie bei der betroffenen Person selbst", erklärt Sabine Böhm von der frauenBeratung Nürnberg. Boßert von der Polizei macht daher auch deutlich: "Jede nicht getätigte Anzeige schützt den Täter und nicht das Opfer!"

"Ihr habt nichts falsch gemacht!"

Wichtig sei laut Ringer vor allem, solche Bilder und die damit verbundenen Gefühle nicht abzutun. "Es gibt eine Tendenz zu der Auffassung, dass man sich damit abfinden muss, solches Bildmaterial zu bekommen. Das muss man nicht!"

Schließlich handelt es sich um eine Grenzverletzung, die oft bewusst passiert. "Die Gründe für das Versenden von Dick Pics sind in den seltensten Fällen missglückte Flirtversuche, sondern meistens eine männliche Machtdemonstration", erklärt Hahm. Auch laut Ringer verfolge die sendende Person, wenn die Bilder nicht in gegenseitigem Interesse und Einverständnis versendet werden, einzig die eigenen Interessen, die in der Regel von Machtbestreben, - erleben und eigener Bedürfnisbefriedigung geprägt sind. "Man muss etwas sehen, dass man nicht sehen möchte", fasst Böhm es zusammen. Damit werde in die Entscheidungsgewalt der empfangenden Person eingegriffen. Dazu kommt noch, dass Penisse mit unglaublich viel Bedeutung aufgeladen seien, mit Macht und mit Männlichkeit. "Da steht eine ganze kulturelle Geschichte dahinter."

Auch Gomez ist der Meinung, "dass kein Typ, der ein Dick Pic schickt, sich denkt, dass die empfangende Person das gut finden könnte. Die Menschen geilen sich daran auf, dass man erschrocken oder schockiert reagiert." Es gäbe laut Ringer zwar auch Menschen, die das sexuell erregt, bei den meisten stehe aber Überlegenheitsgefühl und Machtinteresse im Vordergrund.

Da das Phänomen oft von Scham behaftet und als unangenehm empfunden werde, könne auch eine Anzeige oder ein Gespräch mit der Polizei helfen, da Betroffenen so bewusst wird, dass sie kein Einzelfall sind und auch viele andere darunter leiden, so Boßert. "Ihr habt nichts falsch gemacht!", betont die Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer. Auch Ringer weist mehrfach daraufhin, dass die Schuld allein bei der sendenden Person liege, "egal, wie die Betroffene sich vorher verhalten hat".

Trotzdem schränken Dick Pics Betroffene auch in ihrem Verhalten in den Sozialen Medien ein, wie auch die beiden Radiomoderatorinnen berichten. "Ich finde, man verhält sich schon anders", sagt Steffi Scheermann, "ich überlege manchmal zwei- oder dreimal, ob ich ein Bild so posten kann." Sie achte außerdem darauf, dass auch bei Bikinibildern nicht zu viel Ausschnitt oder Brust zu sehen sei.

Auch Marie Gomez denke genauer darüber nach, was sie postet. "Ich ertappe mich oft dabei, dass ich etwas gerne teilen würde, aber dann anfange, darüber nachzudenken, und es dann doch lasse", berichtet sie. Es sei einem durch das Empfangen von Dick Pics noch bewusster, dass auch "Menschen mit seltsamen Neigungen" das sehen könnten. Scheermann weist trotzdem daraufhin, dass man dennoch versuchen solle, sich nicht zu sehr davon einschränken zu lassen. Sie selbst versuche das auch.

Übergriffe über AirDrop

Ein offenbar neuer Trend, dem meist Frauen oder als Frauen gelesene Personen inzwischen ausgesetzt sind, ist das Versenden von Dick Pics über AirDrop, häufig in den Öffentlichen Verkehrsmitteln. Bei Apple-Geräten funktioniert AirDrop so ähnlich wie Bluetooth. Die versendende Person muss also in unmittelbarer Nähe sein, um etwas verschicken zu können. "Da ist die Schraube nochmal eine Drehung weitergedreht", findet Böhm. Da eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit bezüglich dieser Thematik besonders wichtig ist, könnten Betroffene in die Offensive gehen und die Situation laut ansprechen. Das Ziel des Absenders würde damit nicht erfüllt werden, ein solches Verhalten erfordere aber natürlich Mut und Stabilität. Wenn man sich nicht sicher genug fühlt, rät Ringer dazu, das Abteil zu wechseln und die AirDrop-Funktion auszuschalten.

Auch Marie Gomez ist schockiert von dem neuen Trend. Auch ihr hat eine fremde Person im ÖPNV bereits versucht, penetrant eine Datei zu schicken. Weil sie schon vermutet hatte, dass es sich um ein Dick Pic handeln könnte, habe sie die Anfrage abgelehnt und nach dem zehnten Mal die Funktion ausgestellt. "Das ist noch gruseliger als auf Social Media. Wenn man aussteigt, könnte es ja sogar sein, dass die Person mit aussteigt. Das verstärkt das Unsicherheitsgefühl noch", beschreibt Gomez ihre Gefühle. "Als Frau wird dir ständig ein Stück deiner Freiheit genommen."

Wenn Sie selbst oder jemand, den oder die Sie kennen, bereits Erfahrungen mit Dick Pics oder anderen sexuellen Übergriffen gemacht haben und darunter leiden, reden Sie mit Vertrauenspersonen darüber und suchen Sie sich Hilfe. Hier finden Sie die verschiedenen Beratungsstellen in der Region, die Sie unterstützen und Ihnen helfen werden. Wenn Sie nicht telefonieren wollen, bieten die meisten Beratungsstellen auch einen Mailkontakt und/oder eine Online-Beratung an. Eine Übersicht finden Sie hier: