75 Jahre NN

Joseph E. Drexel, Ein Publizist und Brückenbauer

3.6.2020, 17:18 Uhr
Joseph E. Drexel, Ein Publizist und Brückenbauer

© Foto: Gertraud Gerardi

"Nur wenige hatten den Mut, nüchtern zu bleiben und zu warnen. Die meisten hatte der Rausch der Macht betrunken gemacht."

Joseph E. Drexel in der ersten Ausgabe der NN am 11. Oktober 1945

Was muss das für ein Gefühl gewesen sein, wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine Zeitung für Nürnberg und Umgebung herauszugeben? Freude oder gar Euphorie, so könnte und würde man im Rückblick wohl vermuten. Nichts von alledem hat Joseph E. Drexel in den Oktobertagen des Jahres 1945 verspürt. Vielmehr war es ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein, das den damals 49-Jährigen erfüllt hatte.


75 Jahre NN: Die Geschichte der Nürnberger Nachrichten


"Wir gleichen einem gefangenen Vogel, der nach langen Jahren der Gefangenschaft wieder in die Lage versetzt wird, seine misshandelten Flügel zu regen. Das geht nicht von heute auf morgen, und es geht nicht ohne Schmerzen. Aber eines Tages wird es doch gehen. . ." So beschrieb der Gründungsverleger der Nürnberger Nachrichten in seinem allerersten Leitartikel die Befindlichkeit. Seine eigene, aber ganz sicher auch die vieler Zeitgenossen.

Joseph E. Drexel, Ein Publizist und Brückenbauer

© Foto: Gertraud Gerardi

Zur Erinnerung: Wenige Monate vorher endete die Diktatur in Deutschland, kein halbes Jahr lag das Ende des Dritten Reiches zurück. Im April erreichten die US-Truppen die Region, am 20. April 1945 feierten sie auf dem Hauptmarkt eine Siegesparade. Not und Elend waren im weitgehend zerstörten Nürnberg an allen Ecken und Ende buchstäblich zum Greifen nah. Von Feierlaune keine Spur.

Von NS-Schergen schwer misshandelt

Gleich gar nicht bei einem Mann mit der Biografie eines Joseph E. Drexel. Zu tief saß der Schmerz, den ihm die Nazi-Schergen zugefügt hatten, zu unmittelbar war die Erinnerung an die Entwürdigung, unter der er im Drittel Reich zu leiden hatte, als dass andere Gefühlsregungen möglich gewesen wären.

Denn Drexel wurde wegen seiner aktiven Rolle, die er im Widerstandskreis um Ernst Niekisch gespielt hatte, 1937 von den Nazis festgenommen. Damals flog die Nürnberger Gruppe des Widerstandskreises auf, nachdem ein NS-Spitzel sich zuvor hatte einschleusen können.


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Drexel kam ins Polizeigefängnis Nürnberg, wo er nur knapp dem Tod entkommen ist. Julius Streicher, berüchtigter NSdAP-Gauleiter von Franken, hatte es auf Drexel abgesehen. Seiner Verlegung nach Berlin-Moabit, in das dortige Gefängnis, hatte es Drexel zu verdanken, dass der NS-Terror zumindest eine kurze Atempause einlegte. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 machten die NS-Schergen ein weiteres Mal Ernst: Drexel wurde ins KZ Mauthausen gebracht. Sein Aktenvermerk lautet: "R.u.". Das Kürzel stand für "Rückkehr unerwünscht". Nach Interventionen aus Nürnberg (die genauen Umstände, also die Frage, wer Drexel geholfen hat, konnten nie geklärt werden) kam Drexel kurzzeitig ins KZ nach Flossenbürg, wo er im Januar 1945 entlassen wurde.

Joseph E. Drexel, Ein Publizist und Brückenbauer

© Foto: Friedl Ulrich

Dass ihn die für das Wiederaufleben einer freien Presse zuständigen US-Besatzer unter über 100 Bewerbern als Lizenznehmer für eine Tageszeitung auswählten, kann angesichts der Vita Drexels nicht überraschen. Die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts rückte der Verleger Drexel von der ersten Ausgabe der Nürnberger Nachrichten in den Mittelpunkt seines publizistischen Wirkens.

Der Mann handelte aus einer tiefen Verantwortung für seine Region, sein Land heraus. "Achtung und Verständnis für die geistlichen und sittlichen Werte anderer Völker" wollte er mit seiner Zeitung wecken, um am Ende die Deutschen "wieder in die Gemeinschaft der anderen Völker zurückzuführen".

Es waren pathetische Worte, häufig mit einer sehr anschaulichen Bildersprache transportiert, die Drexels Leitartikel zu einer fesselnden, häufig auch blumigen und gelegentlich – aus der heutigen schnelllebigen Perspektive – langatmigen Lektüre machten. Ein Mann für die harten, festen Regeln folgenden Nachrichten war Drexel jedenfalls nicht. Seine Zeitung umso mehr.

Über den Tellerrand hinaus

Drexel war ein Mensch, der über den Tellerrand der wenige Zeilen umfassenden Meldung hinaus seinen Leserinnen und Lesern das Weltgeschehen erklärt hat. Und diese Kunden waren nach zwölf Jahren der Gleichschaltung und Propaganda regelrecht hungrig nach Informationen. Drexel ließ es sich nicht nehmen, als Verleger im ehemaligen Gauhaus der Nazis die Zentrale der NN einzurichten. Er selbst saß in dem Büro, aus dem heraus Julius Streicher jahrelang sein sadistisches Treiben organisiert hatte. Ein von den US-Lizenzgebern unterstützter, symbolischer Akt, der noch heute von Bedeutung für die Geschichte und den inneren Kompass der Nürnberger Nachrichten ist.

Ein weiteres Vermächtnis Drexels ist seine Bereitschaft, mit Vertretern verschiedener politischer Lager in den Austausch zu treten. So war im Juli 1965 der damals höchst umstrittene, aufstrebende CSU-Politiker Franz Josef Strauß zu Gast im Verlagsgebäude in der Marienstraße 11. Massive Proteste und viele Leserbriefe waren die Folge. Doch Drexel ließ sich davon nicht irritieren. Ihm war der Blick über den parteipolitischen Tellerrand stets wichtig. Davon zeugt auch seine Entscheidung, im Jahr 1961 die vom Aus bedrohte Nürnberger Zeitung in seinen Verlag zu holen.

Neben dem publizistischen Wirken lag Drexel die Förderung der Kunst sehr am Herzen. Als Mäzen half er vielen Institutionen und Künstlern. Auch diese Linie ist bis heute Teil der Verlags-DNA. Der von Drexels Nachfolger Bruno Schnell ins Leben gerufene und von den heutigen Verlegerinnen Bärbel Schnell und Sabine Schnell-Pleyer fortgeführte NN-Kunstpreis zeugt davon.


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Im April 1976 erlag der NN-Gründungsverleger den Folgen eines Herzinfarktes. Kurz zuvor war Drexel die Ehrenbürgerwürde der Stadt Nürnberg verliehen worden — entgegennehmen konnte er die Auszeichnung nicht mehr.

Drexel war es zu verdanken, dass die Nürnberger Nachrichten kurz nach ihrer Anfangszeit, in der sie ebenso aufmerksam und nachhaltig die Nürnberger Prozesse begleitet hatten, binnen weniger Jahren zu einer der angesehenen Tageszeitungen Deutschland aufsteigen konnten.

Bei der Trauerfeier blieb es dem damaligen Staatsminister Fritz Pirkl (CSU) vorbehalten, Drexels Ausnahmeerscheinung zu skizzieren: "Sein Leben, die Strahlkraft seiner Persönlichkeit bauten sogar dort noch Brücken, wo seine gesprochenen oder geschriebenen Worte zuweilen scharfe Grenzen zogen."

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