Direkte Demokratie

Abstimmung21: Um was es am Wahltag noch geht

15.7.2021, 10:53 Uhr
Ein Mann wirft einen Wahlzettel in die Urne: Am 26. September ist Bundestagswahl, gleichzeitig läuft aber die Stimmabgabe für die überparteiliche Initiative Abstimmung 21.

© Michael Kappeler, NNZ Ein Mann wirft einen Wahlzettel in die Urne: Am 26. September ist Bundestagswahl, gleichzeitig läuft aber die Stimmabgabe für die überparteiliche Initiative Abstimmung 21.

Frau Seip, mit Abstimmung21 organisieren Sie im September die erste bundesweite Volksabstimmung. Wieso brauchen wir das, haben wir ein Demokratie-Defizit in Deutschland?

Das ist eine Frage der Perspektive. Sehr viele sehen das so oder denken zumindest, dass man Demokratie hierzulande lebendiger gestalten könnte. Das ist nicht neu, eine Volksabstimmung ist ja beinahe schon ein alter Hut. Interessanterweise ist die Bundesrepublik jedoch das einzige Land in der EU, in dem seit Ende des 2. Weltkriegs noch niemals eine Volksabstimmung auf Bundesebene stattgefunden hat. Mit der von Abstimmung21 organisierten bundesweiten Volksabstimmung wagen wir ein Experiment, bei dem wir nur mehr Demokratie gewinnen und nicht verlieren können.

Dieses Instrument gibt es aber schon auf anderen Ebenen…

Ja, das ist richtig. Auf Kommunal- und Länderebene funktioniert das ganz gut, und das schon seit Jahrzehnten. Aber auf Bundesebene scheint man den Menschen nicht zuzutrauen. Dabei stehen wir vor unfassbar großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Es wäre meines Erachtens an der Zeit, dass das Volk da mal ein bisschen mehr mitreden darf. Das bedeutet nicht, dass die repräsentative Demokratie als solche abgeschafft werden soll. Es bedeutet lediglich, dass die Abgeordneten nicht alles zwingend allein schaffen müssen. Eine Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern würde zu einer höheren Legitimität von politischen Entscheidungen und damit besseren Ergebnissen führen.

Jessica Seip, Mitglied im Vorstand der Initiative Abstimmung21.

Jessica Seip, Mitglied im Vorstand der Initiative Abstimmung21. © privat, NN

Aber was ist mit der Richtlinienkompetenz des Kanzlers oder der Kanzlerin? Würde die dadurch nicht untergraben werden?

Nein, das kann nicht sein. Besonders bei bundesweiten Volksentscheiden ist wichtig: Wenn man es macht, muss man es auch richtig machen. Unser Vorschlag wäre ein dreistufiges Modell, bestehend aus Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid. Ein solches Modell würde in der Realität viel Zeit in Anspruch nehmen, insgesamt so um die vier Jahre. Das heißt, diese Instrumente sind absolut nicht für politische oder gar populistische Schnellschüsse geeignet, sondern da kann es nur um grundlegende Dinge gehen, von denen wir alle betroffen sind.

Wie würde das ablaufen?

Zunächst mal bedürfte es einer breit angelegten öffentlichen Debatte. Das ist extrem wichtig und bedeutet zugleich, dass es am Ende nicht immer zwingend zum nächsten Schritt kommen muss. Denn mit solchen Debatten kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits kann sich jeder informieren, andererseits bekommen Abgeordnete ein authentisches Stimmungsbild aus der Bevölkerung, ja vielleicht sogar einen Handlungsauftrag, auf den sie eingehen können, ganz ohne Volksentscheid. Auch jetzt in Vorbereitung auf die Abstimmung21 im September organisieren wir private Gesprächsrunden, in denen eine bestimmte politische Fragestellung diskutiert werden, sogenannte Hausparlamente.

Falls die Politik aber nicht reagiert, würde der Prozess seinen Lauf nehmen. Wie sähen die nächsten Schritte aus bis zu dem Punkt, an dem das Volk entscheiden soll?

Am Anfang steht die Volksinitiative. Da muss schon im Vorfeld viel Arbeit geleistet werden: Ist das Thema mit den Menschenrechten vereinbar und rechtlich überhaupt umsetzbar? Wenn ja, müssen in kurzer Zeit viele Unterschriften gesammelt werden. Soll heißen: Es können sich nicht einfach mal vier Leute an einen Tisch setzen und sagen „So, jetzt starten wir eine Volksinitiative“, so läuft das nicht.

Was folgt danach?

Sind genug Unterschriften zusammengekommen, folgt der zweite Schritt: das Volksbegehren. Dabei geht es ganz ähnlich weiter, nur müssen nochmal mehr Unterschriften gesammelt werden, um zu dokumentieren: „Ja, das Thema ist für einen größeren Teil der Menschen im Land so relevant, dass sie darüber abstimmen möchten.“ Ist das geschafft, kommt es zu einem Volksentscheid, der wird meistens auf einen Wahltag gelegt – so wie jetzt im September die Abstimmung21.

Und ab einem gewissen Quorum erhält die Politik dann den verpflichtenden Auftrag, sich nach diesem Entscheid des Volkes zu richten oder wie läuft das?

Theoretisch ja, so funktioniert direkte Demokratie. Sobald das Volk entschieden hat, hat die Politik diesen Wunsch zu respektieren und mit ihren Möglichkeiten umzusetzen.


So kann man mitmachen bei Abstimmung21


Eines der Themen, über die im September gleichzeitig mit der Bundestagswahl abgestimmt werden wird, ist die Klimapolitik. An der Komplexität dieser Materie beißen sich selbst Experten samt ihren Hochleistungsrechnern die Zähne aus. Wie soll ein einfacher Bürger da kompetent abstimmen – kann er oder sie gewisse Langzeitfolgen klimapolitischer Entscheidungen überhaupt adäquat abschätzen?

Das ist eine gute Frage, die wir uns auch gestellt haben: Können Bürgerinnen und Bürger genauso gute Entscheidungen treffen wie gewählte Abgeordnete? Wir glauben: Ja, das können sie, wenn sie genauso gut informiert sind. Aus diesem Grund ist es enorm wichtig, dass sich alle Beteiligten austauschen, dass Studien aus allen Richtungen herangezogen werden, dass Pro- auf Kontra-Argumente prallen und sich jeder somit überlegen kann: Was ist der sinnvollste Konsens, was die sinnvollste Entscheidung? Ein gutes Format dafür sind Hausparlamente.

Und das funktioniert in Ihren Augen auch bei einem solch global verankerten Thema wie dem Klimaschutz?

Ich denke schon. Nach meiner Beobachtung ist den meisten Menschen bewusst, dass das Umsetzen von mehr Klimaschutzmaßnahmen bedeutet, dass sie sich in gewissen Bereichen des Lebens neu orientieren, eventuell umgewöhnen oder gar einschränken müssen. Das heißt, wir alle tragen letztlich die Verantwortung, wie sich das Weltklima entwickeln wird. Daher ist es besonders wichtig, ein Instrument zu haben, das es einem ermöglicht, diese Verantwortung auch zu übernehmen. Beispielsweise das Abwägen von Argumenten und anderen Meinungen in einem Hausparlament oder das Sich-Einbringen in einen entsprechenden Volksentscheid. Wenn das Volk mehr mitreden könnte, würden politische Entscheidungen auch von mehr Menschen getragen werden, als wenn die Politik einfach irgendetwas bestimmt oder gewisse Sachen verbieten würde.

Was denken die etablierten Parteien über Volksabstimmungen aus dem Volk heraus?

Direkte Demokratie stand bei den Grünen in der Vergangenheit stets hoch im Kurs. Dieses Jahr haben sie entsprechende Passagen aus ihrem Wahlprogramm gestrichen. Wir haben Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock daraufhin kontaktiert: Sie ist an den Ergebnissen von Abstimmung21 interessiert. Die SPD lehnt Volksabstimmungen (entgegen ihrem Grundsatzprogramm von 2007) explizit ab. Auf die Antwort von Armin Laschet (CDU) warten wir noch. Wenn jedoch mindestens eine Million Menschen in Deutschland abstimmen, wird es für einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin schwer werden, das zu ignorieren.

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