Anti-Corona-Proteste: Warum Glaubenskämpfe jetzt gefährlich sind

10.5.2020, 16:54 Uhr

Krisen laufen stets in verschiedenen Phasen ab. Im Corona-Fall neigten anfangs fast alle dazu, die Gefahr zu ignorieren oder herunterzuspielen. Als im Norden Italiens zu besichtigen war, wohin diese Haltung führen kann, begann in Deutschland die Phase der entschlossenen politischen Intervention. Bund- und Landesregierungen schränkten das öffentliche Leben drastisch ein und versuchten, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Bevölkerung und Opposition trugen die Maßnahmen mit. Krisenzeiten sind Zeiten des Handelns und damit Zeiten der Regierenden.


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Seit der Anti-Corona-Kurs Wirkung zeigt, schwindet der Rückhalt. Ungeduld macht sich breit. Bei Eltern, Arbeitnehmern, Gastronomen, Einzelhändlern, Künstlern und anderen hart vom Shutdown Betroffenen ist das nur zu gut zu verstehen. Es geht um Existenzen.

Für andere dagegen geht es in dieser Phase aus ganz anderen Gründen darum, sich vom Konsens der Krisenbekämpfung abzusetzen. Die parlamentarische Opposition sucht nach Gelegenheiten, die für sie überlebensnotwendige Distanz zu den Regierungsparteien wiederherzustellen. Und linke wie rechte Systemgegner, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und chronische Wirrköpfe wittern die Chance, ihre Fundamentalkritik oder ihre Heilslehre unters Volk bringen und neue Glaubensbrüder und -schwestern gewinnen zu können.



Fragt sich nur, ob wir den weiteren Umgang mit dem Coronavirus zum Gegenstand von Glaubensauseinandersetzungen machen sollten. In der frühen Phase der Pandemie lechzte noch alles nach echter Expertise. Virologen erfuhren eine seltene Wertschätzung. Charité-Professor Christian Drosten wurde der Liebling der Nation. Gerade sein Eingeständnis, noch viel zu wenig über das Virus zu wissen, und seine Bereitschaft Irrtümer einzugestehen, verschafften ihm Sympathie. Sich kritisch vorantasten, Zweifel zulassen, permanent dazulernen – die Urprinzipien wissenschaftlichen und aufklärerischen Denkens faszinierten.

Das ist vorbei, obwohl sich die Situation nicht wesentlich verändert hat. Den Experten schlägt plötzlich tiefstes Misstrauen entgegen.

Falsche Schlussfolgerung

Dass die Katastrophe bisher ausblieb, bedeutet jedoch nicht, dass die Grundannahmen falsch, sondern nur, dass die Gegenmaßnahmen richtig waren. Man nennt das, wie der Soziologe Armin Nassehi kürzlich in einem Interview erklärte, das Präventionsparadox. Verhinderte Schäden sieht man nicht.

Was man sehen würde, das wären die fatalen Folgen einer zweiten Welle, die uns hoffentlich erspart bleibt. Nicht die Beschwichtiger und die kühnen Verschwörungstheoretiker würden dann zur politischen Verantwortung gezogen, sondern die, die deren Drängen nachgaben. Krisen sind die Zeit der Regierenden – mit allen Risiken.


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