Rechte spielen in Coronakrise mit Verschwörungstheorien

30.4.2020, 06:00 Uhr
Reichsbürger demonstrieren, wie hier vergangenes Wochenende in Berlin, gegen die Bundesrepublik und ihre Coronamaßnahmen. Die BRD erkennen sie nicht an. Bei ihr handele es ich um eine GmbH, behaupten die Rechten und propagieren stattdessen die Farben Schwarz-Weiß-Rot, wie sie die Nationalsozialisten verwendet haben.

Reichsbürger demonstrieren, wie hier vergangenes Wochenende in Berlin, gegen die Bundesrepublik und ihre Coronamaßnahmen. Die BRD erkennen sie nicht an. Bei ihr handele es ich um eine GmbH, behaupten die Rechten und propagieren stattdessen die Farben Schwarz-Weiß-Rot, wie sie die Nationalsozialisten verwendet haben.

Sie wahrten den Mindestabstand, als sie sich vergangenen Samstag zu einer Protestaktion vor der Nürnberger Lorenzkirche versammelten. Die rund 45 Frauen und Männer, die sich teilweise auf einer Yogamatte niederließen, machten einen friedlichen Eindruck, als sie eher stumm gegen die Coronamaßnahmen der Regierung protestierten. Mancher Passant blieb stehen und zollte den Kämpfern für Freiheit, wie sie sich selbst gerne nennen, nichtsahnend Respekt.

Doch in Wahrheit halten viele dieser Menschen gar nichts von Mindestabstand und Schutzmaske. Denn sie sind der Überzeugung, das Coronavirus gebe es gar nicht und sei eine Erfindung der Regierung, um die Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen. Die Masken dienten dazu, die Bürger zu erniedrigen. Zielscheibe ihres Hasses ist vor allem Microsoft-Gründer Bill Gates. Er wolle angeblich in Massenimpfungen jedem Menschen einen Chip einpflanzen lassen. In teilweise geheimen Internet-Chatgruppen tauschen sie ihre kruden Ansichten aus. Dem gemeinsamen Rechercheteam von Nürnberger Nachrichten und Bayerischem Rundfunk liegen die Chat-Inhalte vor.

In diesen Gruppen haben Verschwörungstheoretiker gemeinsam mit Impfgegnern und Rechten zu dieser nicht angemeldeten Demo aufgerufen, weitere Aktionen sollen an verschiedenen Orten in der Region folgen. Wo genau, verrate man kurzfristig, damit die "Merkel-Miliz", wie sie die Polizei verachtend titulieren, hinters Licht geführt werde. Das Polizeipräsidium Mittelfranken bestätigte dem Rechercheteam, dass die Veranstaltung am Samstag weder angemeldet war noch man vorab "Erkenntnisse über die inoffizielle Durchführung" gehabt habe.

Spiel mit der "Merkel-Miliz"

Die Internet-Chats offenbaren eine unheilige Allianz, die sich in der Coronakrise zusammengefunden hat. "Da entsteht eine eigene Dynamik, wo jeder Post den anderen noch übertreffen muss, da gibt es keinerlei Verpflichtung zum Faktencheck oder zur Quellenüberprüfung", sagt Robert Andreasch, der seit Jahren die Entwicklung der rechtsextremen Szene dokumentiert. Für die Mitglieder entstehe so der Eindruck, hier werde "Geheimwissen" vermittelt.

Oftmals handelt es sich stattdessen um steile rechtsextremistische Thesen. Auf dem Flugblatt, das am Samstag in Nürnberg die Gruppe "Nicht ohne uns" verteilte, ist vom "Notstands-Regime" die Rede und von der "Gleichschaltung der einst freien Presse". "Eine Machtübernahme über unsere Grundrechte durch das Gesundheits- bzw. Pharmakonzernministerium unter Jens Spahn und der angeschlossenen Ämter akzeptieren wir nicht", heißt es da.

Rechtsextremismus-Expertin Birgit Mair aus Nürnberg vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, die den Flyer kennt, weist darauf hin, dass solche Vergleiche die NS-Verbrechen verharmlosen. Sie gehörten ins Reich rechter Verschwörungstheorien, ebenso der Zusatz, die Regierung wolle "uns in Todesangst halten".

Auftrieb bekommen derzeit Rechte — darunter auch Reichsbürger und Identitäre — von Ärzten, die in Internetvideos umstrittene Äußerungen zum Virus verbreiten. Der Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann etwa, der mit seiner von ihm gegründeten Partei "Widerstand 2020" absolute "Freiheit" propagiert, behauptet, niemand könne einschätzen, wie gefährlich die von Corona verursachte Krankheit Covid-19 sein soll, weil über die Medien "jeden Tag Panik gemacht" werde.

Befindet sich ein Tunnel unter Deutschland?

Der Experte für Schwindelanfälle ist mehrfach hart aus der Ärzteschaft kritisiert worden, viele seiner Behauptungen wurden widerlegt. Dennoch werden seine YouTube-Videos von Verschwörungstheoretikern gerne geteilt, auch in den geheimen Corona-Chatgruppen bezieht man sich auf ihn.

Oder auf die verharmlosenden Thesen des Mikrobiologen Prof. Dr. Sucharit Bhakdi. Die Maßnahmen der Bundesregierung seien "überzogen" und führten in den "kollektiven Selbstmord", behauptet Bhakdi. Das Robert-Koch-Institut hat ihm mehrere Fehler in seinen Aussagen nachgewiesen, dennoch gilt er in der Szene als glaubwürdig. Auch die Äußerungen des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten und Arztes Wolfgang Wodarg werden in den Chatrooms zitiert, obwohl sie bei Medizinern und Wissenschaftlern auf heftigen Widerspruch stoßen.

Verschwörungsideologen verbreiten dazu die Behauptungen im Darknet, dem geheimen Teil des Internets, unter Deutschland befinde sich ein Tunnelsystem mit Eingängen beim neuen Berliner Flughafen und bei Stuttgart 21. Dort sei ein Großteil der Flüchtlinge untergebracht und werde vom Militär ausgebildet. Wenn der Bürgerkrieg in Deutschland beginne, würden sie freigelassen und das Massaker beginne. Dafür müsse man sich nun wappnen.


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