Ausbreitung von Coronavirus: Studie stellt düstere Prognose

1.4.2020, 08:00 Uhr
Pflegepersonal versorgt im Nürnberger Südklinikum einen Patienten. Um die Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht zu sprengen, muss das öffentliche Leben ruhen.

© Roland Fengler Pflegepersonal versorgt im Nürnberger Südklinikum einen Patienten. Um die Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht zu sprengen, muss das öffentliche Leben ruhen.

Christian Drosten ist tief besorgt. In seinem Podacst beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) kommentiert der Leiter der Virologie an der Berliner Charité die Forschungsergebnisse britischer Kollegen: "Die Aussichten sind wirklich verzweifelnd, es ist wirklich schlimm, was man aus dieser Studie liest." Wissenschaftler des renommierten Imperial College in London haben mithilfe eines komplexen Rechenmodells untersucht, wie sich die Corona-Fallzahlen und damit die Belastung des Gesundheitssystems in Zukunft entwickeln könnte – abhängig davon, welche Maßnahmen ein Staat gegen die Pandemie ergreift.

Zwar betrachtet die Studie Großbritannien und die USA, den Autoren zufolge lassen sich die Ergebnisse aber durchaus auf andere Industriestaaten übertragen.Allerdings verfügt Deutschland über wesentlich mehr Intensivbetten als Großbritannien. In der Bundesrepublik kommen auf 100000 Einwohner etwa 34 solcher Betten, in Großbritannien sind es derer nur sechs. Das gilt es bei der Bewertung der Studie ebenso zu berücksichtigen wie die Fehleranfälligkeit mathematischer Modelle.



Wichtig für die Einordnung der Befunde sind auch die Grundannahmen auf denen die Berechnung beruht. Diese sind zum Teil eher pessimistisch. So geht man etwa davon aus, dass 50 Prozent aller Corona-Patienten, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen, versterben. "Kollegen von mir, die in der Intensivmedizin arbeiten, schätzen, dass in Deutschland die Sterblichkeit dieser Patienten vielleicht bei 30 bis 40 Prozent liegt", relativiert Drosten. Die britischen Forscher rechnen außerdem damit, dass nur die Hälfte der Haushalte, die unter Quarantäne gestellt werden, sich daran auch halten.

Coronavirus: Quarantäne und Social Distancing reichen nicht

"Das ist eine steile Annahme", kommentiert Deutschlands bekanntester Virologe. Er gehe davon aus, dass deutlich mehr Menschen eine Quarantäne auch einhalten würden. Trotzdem sei die Studie des Imperial College gut und eine der besten, die derzeit verfügbar seien. Die Forscher untersuchen darin unterschiedliche Szenarien. Darunter solche, die die Ausbreitung des Virus und den Anstieg der Fallzahlen lediglich verlangsamen sollen, aber auch solche, die Corona zurückdrängen und die Fallzahlen sinken lassen sollen. Dabei wird klar, dass Maßnahmen, die die Ausbreitung nur verzögern, einen Kollaps des Gesundheitssystems nicht vermeiden können.

So prüfen die Wissenschaftler zum Beispiel, was passieren würde, würde man nur mögliche Coronafälle und enge Kontaktpersonen unter Quarantäne stellen sowie älteren Personen empfehlen, von ihren Mitmenschen Abstand zu halten. Ergebnis: Zwar ist das besser als gar nichts zu tun, die Zahl der Todesfälle würde sich halbieren. Allerdings wäre der Bedarf an Intensivbetten noch immer achtmal so hoch wie das Angebot. "Das kann man vergessen. Da hätten wir die italienische Situation", sagt Drosten. Bleiben also nur die Strategien, die das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen bringen. Die Experten rechnen die Konsequenzen zweier solcher Maßnahmenpakete durch, die sich im Wesentlichen dadurch voneinander unterscheiden, dass in einem Szenario Schulen und Universitäten geschlossen bleiben, im anderen Fall jedoch nicht.

Nur das Maßnahmenbündel aus Isolation erkrankter Patienten, sozialer Distanzierung (Abstand halten) in der gesamten Bevölkerung plus der Schließung von Universitäten und Schulen ist ausreichend wirksam. Nur dann reicht die Kapazität auf den Intensivstationen aus, um allePatienten versorgen zu können. Die Maßnahmen, die Bundes- und Staatsregierung jetzt verhängt haben, sind grundsätzlich also dazu geeignet einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Das ist die gute Nachricht. "Allerdings muss man das Ganze dann für fünf Monate durchhalten. Das ist eine sehr lange Zeit", gibt Drosten zu Bedenken. Dazu kommt, dass das Virus höchstwahrscheinlich in voller Stärke zurückkehrt, sobald das normale Leben wieder angelaufen ist.

"Wir brauchen einen Impfstoff oder ein Medikament!"

Theoretisch sei alternativ denkbar, Schulschließungen und soziale Distanzierung immer erst dann anzuordnen, wenn die Zahl der schwer Erkrankten ein kritisches Niveau erreicht hat. Und sie dann wieder zurück zu nehmen, sobald sich die Lage beruhigt hat. Die Regierung könnte die Beschränkungen des öffentlichen Lebens gewissermaßen an- und ausschalten. Die Isolierung Erkrankter und ihrer Kontaktpersonen müsse aber permanent erfolgen.


Corona-FAQ: Häufige Fragen zum Virus


Das wäre effektiv, so die Wissenschaftler. "Aber man müsste das zwei Jahre durchhalten, das ist natürlich nicht denkbar", kommentiert Virologe Drosten. Wie soll Schulunterricht effektiv sein, der immer wieder unterbrochen wird? Wie soll unter solchen Bedingungen der Wirtschafts- und Kulturbetrieb gelingen? Die derzeit geltenden drastischen Einschränkungen können Krankenhäuser zwar durchaus wirksam vor einem Ansturm schwerkranker Patienten schützen, das zeigen die Berechnungen der Wissenschaftler des Imperial College. Doch der Ausnahmezustand kann nicht zur Dauerlösung werden.

"Hinter der Studie steht deswegen die Botschaft: Wir brauchen etwas anderes. Wir müssen einen Impfstoff oder ein Medikament finden", bilanziert Drosten. Damit das möglichst schnell gelingt, wird man womöglich "regulative Dinge außer Kraft setzen, was Impfstoffe angeht". Die komplexen Verfahren, die eigentlich für Sicherheit und Wirksamkeit eines Impfstoffes sorgen sollten, könnten also verkürzt werden. Ein Risiko, doch vielleicht der einzig gangbare Weg.


Kommentar: Es ist Zeit für ein Danke!


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