Corona-Pandemie: Ruf nach einem "Jugendgipfel"

11.2.2021, 18:26 Uhr
Seit einem Jahr passé: In einer Welt vor Corona konnten sich junge Menschen für Freizeitaktionen treffen und sich mit Gleichgesinnten austauschen - hier ein Foto aus einem Pfadfinderlager.

© Patrick Pleul, dpa Seit einem Jahr passé: In einer Welt vor Corona konnten sich junge Menschen für Freizeitaktionen treffen und sich mit Gleichgesinnten austauschen - hier ein Foto aus einem Pfadfinderlager.

"Vielleicht", spottet Wolfgang Schröer, "müssten wir uns was von den Friseur-Innungen abgucken." Ihr Ziel, dass in diesen Tagen annähernd so intensiv über junge Menschen wie über Frisuren geredet werde, hätten die Jugendverbände jedenfalls verfehlt. Schröer, Professor für Sozial- und Organisationspädagogik an der Universität Hildesheim, ergreift in einer Pressekonferenz des bayerischen Jugendrings (BJR) Partei für eine Bevölkerungsgruppe, die sich von der Corona-Politik offenbar stark vernachlässigt fühlt: Jugendliche und junge Erwachsene.

45 Prozent haben Zukunftsängste

In einer bundesweiten Online-Befragung durch die Universität unter 7000 Zwölf- bis 27-Jährigen im November gaben 65 Prozent an, dass ihre Sorgen von der Politik nicht gehört würden. Rund 45 Prozent äußerten Zukunftsängste. Neben psychischen Belastungen und finanziellen Sorgen gaben überraschend viele Befragte aber auch an, mangels geeigneter Endgeräte nur unzureichend am neuen digitalen Alltag teilnehmen zu können.


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"Es gibt Gipfel über Gipfel, aber immer noch keinen Jugendgipfel", kritisiert Matthias Fack, Präsident des Jugendrings. "Vielleicht bräuchte es auch eher ein Jugendtal, in das die Politiker hinabsteigen." Es werde in Lockdown-, Schul- und Öffnungsdebatten aktuell nur über junge Menschen entschieden, aber nicht gemeinsam mit ihnen. Der Verband kritisiert außerdem eine verkürzte Wahrnehmung: "Jugendliche sind nicht nur Schüler und Schülerinnen. Und sie sind keine Objekte, die in Schulen und Kitas betreut werden müssen." Die Gruppe umfasse neben Abiturienten und Studenten auch Auszubildende, Wohnungssuchende, Praktikanten, Freiwilligendienstler oder Alleinlebende.

Kampagne "Hört auf die Jugend!"

Das bayerische Sozialministerium habe sich im Frühjahr 2020 offen gezeigt, was die Wiederöffnung von Jugendeinrichtungen im Sommer betraf, sagt Fack. Schon da sei es aber oft nur darum gegangen, "zweckdienlich" zu handeln, etwa zur Ferienbetreuung. Seit Herbst vermissen Verbandsvertreter Perspektiven. Dabei hätten sich gerade Jugendliche beispielhaft solidarisch an die Corona-Regeln gehalten und sähen sich durch aufgebauschte Einzelfälle von "Corona-Partys" verunglimpft.

Bereits seit November hätten sie keinerlei Raum mehr gehabt, um sich mit Gleichaltrigen – außerhalb der damals noch geöffneten Schulen – zu treffen. Der Bayerische Jugendring fordert daher Impf-Priorität für das Personal in der Jugendarbeit und ein Wiederhochfahren von Angeboten. Mit einer Kampagne in den sozialen Medien will der Verband in diesen Tagen unter dem Motto #hörtaufdiejugend für seine Position werben; Jugendliche können dabei von ihren Sorgen und Wünschen erzählen.

Keine Praktika, keine Berufsberatung

Wie Klaus Umbach, der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit Bayern, berichtet, erschwert die Corona-Krise vielen jungen Menschen die Zukunftsplanung. Lehrstellen seien unsicher geworden, Praktikumsplätze und Berufsbörsen entfielen. Dies treffe besonders jene Mädchen und Jungen, die zu Hause wenig Unterstützung bekommen. "Wir brauchen eine Öffnungsstrategie etwa für die Jugendsozialarbeit an Schulen oder Jugendmigrationsdienste." Sonst gehe aus der Krise eine abgehängte Generation hervor.


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Die Universität Hildesheim führte bereits im Frühjahr-Lockdown 2020 eine ähnliche Jugendbefragung zu den Folgen der Pandemie durch. Für Wolfgang Schröer, der auch Vorsitzender des Bundesjugendkuratoriums ist, beweist schon die auffallend große Resonanz bei der Teilnahme den Ernst der Lage. "Die offenen Antworten in den Freitextkästchen haben uns geradezu überrollt, noch nie haben wir so viele Reaktionen bekommen." Die Jugend als Zeit des Übergangs kehre nie wieder, und das spürten die Betroffenen, schildert Schröer. Er zitiert zwei Beispiele. "Warum muss es erst eine Studie geben, damit wir gehört werden?" und "Die Corona-Pandemie hat mir wertvolle Zeit genommen".

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