Schnelltests

Corona: Treiben viele Tests die Infektionszahlen nach oben?

22.3.2021, 09:41 Uhr
Corona: Treiben viele Tests die Infektionszahlen nach oben?

© Quelle: RKI | Montage: Witzgall

Testen vor Schulbeginn, vor dem Restaurantbesuch oder dem Treffen mit mehreren Freunden: Der Fahrplan für Lockerungen in der Corona-Pandemie sieht einen breiten Einsatz von Antigen-Schnelltests als zentrales Instrument vor. Doch wie sinnvoll sind die Tests wirklich?

"Schnelltests sind alles andere als ein Allheilmittel”, behauptet der Epidemiologe Friedrich Pürner. Der Mediziner leitete bis Ende 2020 ein bayerisches Gesundheitsamt und wurde nach seiner öffentlichen Kritik an einer zu sehr an Inzidenzwerten orientierten Politik von seinem Posten abberufen. Bereits im November bemängelte er gegenüber unserem Medienhaus in Bezug auf die Inzidenzzahlen: "Ich nenne das die Zahl der positiv Getesteten, nichts anderes ist das."

In der aktuell geplanten Test-Strategie der Bundesregierung sieht er eine Fortsetzung dieser Problematik. "Spätestens, wenn breitflächig und unabhängig von Symptomen getestet wird, könnte das zu einer stark verzerrten Darstellung des Infektionsgeschehens führen", befürchtet der Mediziner. "Schnelltests ergeben nur dann Sinn, wenn Gruppen getestet werden, die einen hohen Anteil an Infizierten aufweisen. Vor allem, wenn dann noch hinzukommt, dass die Positivrate nicht berücksichtigt wird."


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Was besagt die Positivrate?

Die Positivrate - also das Verhältnis von positiven zur Zahl der durchgeführten PCR-Tests - wird vom Robert-Koch-Institut nicht tagesgenau, sondern einmal pro Woche bekanntgegeben, weshalb die täglich gemeldeten Fallzahlen nicht exakt bewertet werden können. Bislang verläuft die Entwicklung der deutschlandweiten Positivrate in etwa analog zur Inzidenzzahl, steigt allerdings etwas geringer an.

In Bayern werden die Werte vom LGL tagesgenau erfasst. Hier zeigt sich seit etwa Mitte Februar ein leichter Anstieg, wobei Tageswerte durchaus stärker schwanken können. Auch hier verläuft der Anstieg in etwa analog zur Inzidenz, wenn auch etwas schwächer.

Pürner befürchtet, dass sich dies ändern könnte, sobald Antigen-Schnelltests bei einer breiten Bevölkerung eingesetzt werden. Die Aussagekraft dieser Tests hängt laut RKI stark von deren Qualität sowie vom Anteil der tatsächlich Infizierten unter den getesteten Personen (der Prävalenz) ab. Je geringer der Anteil an wirklich Infizierten ist, desto geringer ist auch die Aussagekraft. Je seltener eine Krankheit besteht, desto mehr falsch-positive Ergebnisse gibt es.

Das heißt konkret: Sind 1000 von 10.000 Getesteten tatsächlich infiziert, sind statistisch gesehen 180 falsch-positive Ergebnisse und 200 falsch-negative zu erwarten.

Bei lediglich fünf tatsächlich Infizierten unter 10.000 Getesteten ist die Fehlerquote hingegen deutlich höher: Hier muss man mit etwa 200 falsch-positiven und einem falsch-negativen Ergebnis rechnen. Bei millionenfacher Anwendung würde diese Tendenz sich verstärken.

Corona: Treiben viele Tests die Infektionszahlen nach oben?

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Schnelltest-Ergebnisse gehen nicht in Statistik ein

Zwar gehen die Ergebnisse der Schnelltests nicht in die Statistik ein, führen aber dazu, dass in der Folge deutlich mehr PCR-Tests stattfinden werden, die ebenfalls eine gewisse Fehlerquote bergen. Bei einem breiten Einsatz könnten sich dadurch Abweichungen verstärken und zu einer stark verzerrten Darstellung des tatsächlichen Infektionsgeschehens führen, vor allem, wenn man die Zahl der durchgeführten Tests nicht berücksichtigt.

Ein Beispiel dafür, wie das Vernachlässigen der Positivrate mitunter zu falschen Schlüssen führen kann, ist die zuletzt stark steigende Inzidenz in den Altersgruppen 0-4 und 5-14. Zwar haben sich die Positiv-Fälle in beiden Gruppen mehr als verdoppelt - allerdings ist auch die Anzahl der Tests gestiegen. Betrachtet man die vom RKI errechnete Positivrate bis Mitte März, so sinkt diese in beiden Gruppen.

Auch der Statistiker Helmut Küchenhoff von der LMU in München teilt die Einschätzung, dass mehr testen nicht unbedingt die beste Lösung ist. Gemeinsam mit Kollegen ordnet er in regelmäßig erscheinenden Berichten Zahlen rund um die Corona-Krise ein. "Wenn sich in nächster Zeit durch geplantes intensives Testen die Dunkelziffer verringert, könnte die Betrachtung nur der gemeldeten Inzidenzzahlen zu einer falschen Einschätzung des Infektionsgeschehens führen”, führen die Statistiker in einem der Berichte aus. "Auch die Aussagekraft der PCR-Positivquote wird bei zunehmendem Einsatz bei Symptomlosen geringer”, erklärt Küchenhoff.

Statistiker rät: Auf Krankenhäuser fokussieren

Der Statistiker schlägt deshalb vor, sich bei Entscheidungen vor allem auf die Lage in den Krankenhäusern zu fokussieren. Zwar gebe es hier eine zeitlich verzögerte Darstellung, da zwischen einer Infektion und der Einweisung eine gewisse Zeitspanne vergehe. Trotzdem bilde diese Perspektive das Geschehen letztlich am unverfälschtesten ab, da es hier praktisch keine Dunkelziffer gebe.

Dass man sich der Problematik, die eine breite Symptom-unabhängige Testung mit sich bringt, auch im Gesundheitsministerium bewusst ist, zeigt ein Interview mit Gesundheitsminister Spahn, der im Juni letzten Jahres im ARD-Magazin "Nachbericht aus Berlin" mit Verweis auf die Fehlerquote davor warnte, zu umfangreiches Testen berge die Gefahr von zu vielen falsch-positiven Ergebnissen. "Wenn die Infektionszahlen runtergehen, wir aber das Testen ausweiten, haben Sie auf einmal viel mehr Falsch-Positive als tatsächlich Positive”, warnte Spahn damals.

Die zentrale Frage ist und bleibt auch in Sachen Schnelltests die Philosophie der Pandemie-Bekämpfung. Verfolgt man das Ziel, möglichst jeden einzelnen zu erkennen, der potenziell Infektiös ist, um auf diese Weise Infektionsketten zu durchbrechen, und nimmt dafür die Möglichkeit in Kauf, dass Menschen unbegründet für mehrere Tage in Quarantäne müssen? Oder nimmt man eine gewisse Verbreitung des Virus hin und setzt den Fokus lediglich darauf, dass das Gesundheitssystem insgesamt nicht überlastet wird?

"Es ist ein Ausleuchten der Dunkelziffer"

Auf Nachfrage zu den Gründen für die Wende in der Teststrategie verweist das Gesundheitsministerium auf Aussagen des Ministers in einer Bundespressekonferenz. Dort sagte Spahn: "Dass es insgesamt auch ein Ausleuchten der Dunkelziffer ist, wenn Sie mehr testen, das ist ohne Zweifel so. Wenn mehr getestet wird, vor allem bei Asymptomatischen, werden Sie im Zweifel aber auch tatsächlich Infektionen entdecken, die Sie sonst nicht erkannt hätten."

Auch beim RKI räumt man diese Möglichkeit zwar ein, ordnet das Problem allerdings dem Nutzen unter. "In der Pandemiebekämpfung ist es wichtig, jeden einzelnen Infektiösen zu erkennen. Da ist eine möglicherweise verzerrte Darstellung das kleinere Übel”, sagte Wieler auf eben jenem Pressetermin.

Für den Epidemiologen Pürner verkennt diese Betrachtung allerdings die Schwere der Kollateralschäden, die eine solche Strategie mit sich bringt. "Für Menschen, deren berufliche Existenz durch eine rein an Fallzahlen orientierte Politik gefährdet ist, spielt es sehr wohl eine Rolle, wie realistisch die tatsächliche Lage der Erkrankungen abgebildet wird”, sagt er.

"Alle Maßnahmen wurden letztlich damit begründet, dass man eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden möchte.” Nicht zuletzt für diejenigen, die die Konsequenzen der aktuellen politischen Entscheidungen unmittelbar spürten, sei das kein unwichtiger Nebenaspekt, sondern von zentraler Bedeutung.

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