Mammutaufgabe

Debatte im Bundestag: Wie wird Sterbehilfe künftig geregelt?

Katja Kiesel

Volontärin

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18.5.2022, 20:40 Uhr
Es wird davon ausgegangen, dass bis zu 950 Menschen pro Jahr Sterbehilfe beantragen könnten

© Sebastian Kahnert/dpa Es wird davon ausgegangen, dass bis zu 950 Menschen pro Jahr Sterbehilfe beantragen könnten

Bis zum Karlsruher Urteil im Februar 2020 stellte der Paragraf 217 die auf Wiederholung angelegte Beihilfe zum Suizid unter Strafe. Er verbot damit Sterbehilfevereine, erschwerte Palliativmedizinerinnen und -medizinern die Arbeit und machte es Betroffenen weitgehend unmöglich, Hilfe beim Suizid zu bekommen. Das Gericht begründete seinen Entschluss, das Verbot zu kippen, damit, dass es das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, zu sehr einschränke. Es leite sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab und schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Es umfasse auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gleichermaßen machten die Richter deutlich, dass der Gesetzgeber die Suizidhilfe regulieren kann.

Drei Gesetzentwürfe eingereicht

Weil diese Mammutaufgabe bislang nicht erfüllt ist, ist die Sterbehilfe aktuell straffrei. So ungeregelt soll es aber nicht bleiben: Aus dem Parlament liegen drei Gesetzentwürfe von fraktionsübergreifenden Gruppen vor, für die während der Orientierungsdebatte am immer wieder geworben wurde. Die Abgeordneten im Plenarsaal berieten rund eineinhalb Stunden über eine Neuregelung der Sterbehilfe.

Dabei ging es sehr sachlich, teilweise aber auch persönlich zu. So berichtete Michael Kruse aus der FDP-Fraktion von seiner bald 100-jährigen Großmutter, mit der er regelmäßig und schon lange Gespräche darüber führe, was es bedeutet, wenn der Lebenswille langsam schwindet: "Sie sagt häufig: ‚Ich habe mein Leben gelebt und wenn ich einmal weggetreten bin, dann helft mir bitte beim Sterben." Aus diesen Gesprächen wisse er, wie hoch die Verantwortung sei, dem selbstbestimmten Willen nach dem Sterben mit Respekt entgegenzutreten und nachzukommen.

Mehrere Rednerinnen und Redner verwiesen in ihren Beiträgen auf die Würde eines Menschen, zu welcher auch das Recht gehöre, das eigene Leben selbstbestimmt zu beenden. Die wegweisende Entscheidung Karlsruhes eröffnete eine neue Ausgangslage, in der die Erlangerin Martina Stamm-Fibich aus der SPD-Fraktion eine Chance erkennt: "Begreifen wir das Urteil als Chance, einen Rahmen für Menschen mit dauerhaftem und freiverantwortlichem Sterbewunsch zu schaffen, würdevoll aus dem Leben zu scheiden."

Nicht zu schwer, nicht zu leicht

Renate Künast (Grüne) widerspricht der Ansicht, das Bundesverfassungsgericht habe dem Bundestag mit dem Urteil nun eine Aufgabe auferlegt: "Wir können alles so lassen, wie es ist. Die Frage ist, ob wir das wollen. Wir brauchen eine rechtseinheitliche Regelung und wir dürfen uns nicht davor drücken."

Man dürfe, so Künast, den Menschen diesen Weg nicht zu schwer machen, gleichzeitig aber auch nicht zu leicht. Künast hatte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der stärker nach dem Grund des Suizidwunsches Betroffener differenziert. Möchte eine schwer erkrankte Person sterben, sollen Medikamente zur Selbsttötung verschrieben werden dürfen, wenn zwei Ärzte unabhängig voneinander den nicht veränderlichen Sterbewillen bezeugen. Bei Menschen, die nicht wegen einer Krankheit, sondern wegen anderer Gründe sterben möchten, müsse es eine langfristige Dokumentation des Suizidwillens geben.

Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) sprach sich hingegen für eine Verankerung im Strafrecht und damit den Gesetzentwurf von einer Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci (SPD) aus, der dem ursprünglichen Paragrafen 217 am nächsten ist: "Es wäre der Tragweite der Entscheidung keinesfalls angemessen, wenn ein Beamter am Schreibtisch in der Arzneimittelbehörde mit einem Stempel einen Suizid quasi staatlich absegnet." Prävention sei hier an oberste Stelle zu setzen. Ausnahmen sieht der Vorschlag für volljährige Personen vor, die sich mindestens zwei Untersuchungen durch eine Fachärztin oder einen Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie im Abstand von drei Monaten sowie einer umfassenden Beratung unterziehen.

Keine Strafandrohung

Für indiskutabel hält Katrin Helling-Plahr (FDP) eine Neuregelung der Sterbehilfe im Strafrecht: "Wir sollten denjenigen, die bereit sind, Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten, mit Respekt begegnen, als ihnen mit Strafe zu drohen." Nach ihrem Gesetzentwurf soll ein breites Netz an Beratungsstellen geschaffen werden. Diese sollen Betroffene begleiten und ergebnisoffen beraten. Frühestens zehn Tage nach einer Beratung sollen Ärztinnen und Ärzte dann Medikamente zur Selbsttötung verschreiben dürfen.

Noch vor der Sommerpause sollen die Entwürfe in erster Lesung beraten werden. Anschließend folgen Anhörungen, im Herbst könnte es eine Entscheidung geben.

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