Falschangaben und Datenklau? Registrierpflicht in Gaststätten in der Kritik

17.6.2020, 06:00 Uhr
Mit der Öffnung der Gastronomie muss sich nun jeder Gast eintragen und seine Daten hinterlassen. Manchmal passiert das einfach in einem gemeinsamen Gästebuch.

© NEWS5/Höfig Mit der Öffnung der Gastronomie muss sich nun jeder Gast eintragen und seine Daten hinterlassen. Manchmal passiert das einfach in einem gemeinsamen Gästebuch.

Ein Gastwirt ist kein Datenschutzbeauftragter. Und so lief bei der eingeschränkten Wiedereröffnung der bayerischen Gastronomie einiges so, dass sich Datenschützern die Nackenhaare aufstellten. Vielerorts wurde die vorgeschriebene Registrierpflicht der Gäste so gehandhabt, dass jedermann leicht einsehen konnte, wer wann dem Etablissement schon seine Ehre gegeben hatte. Zwischenzeitlich sollte aus dem Restaurantbesuch dann auch noch ein mehrseitiges Verwaltungsverfahren werden.

Gästelisten liegen vereinzelt einfach aus

Dass jeder Gast sich mit Namen und Kontaktdaten – wenigstens einer Telefonnummer – identifizieren muss, bevor er bedient wird, entspricht der berechtigten Forderung der Infektiologen nach Rückverfolgbarkeit. Personen, die sich womöglich im Wirtshaus angesteckt haben könnten, sollen so leicht ermittelt werden können. Die Vorschrift geht auf die bitteren Erfahrungen mit den gastronomischen Virenschleudern in Tiroler Skigebieten zurück, welche für die europaweite Ausbreitung des Coronavirus maßgeblich verantwortlich gemacht werden.

Doch die Infektiologen haben ihre Rechnung nicht mit den Datenschützern gemacht. In vielerorts ausgelegten Eintragungslisten konnte jeder Gast sehen, ob Frau Meier von nebenan oder Rentner Huber von gegenüber auch schon da gewesen waren. Nicht jedem Wirtshausbesucher war das recht. Eine unbekannte Zahl von ihnen soll daher Pseudonym und falsche Kontaktdaten hinterlassen haben, was überhaupt nicht im Sinne des Infektionsschutzes ist und sogar teuer werden kann.

"So geht das natürlich nicht", sagt der Landesgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Bayern, Thomas Geppert. Entweder müsse das Personal der Gaststätte die Personalien auf einer nicht einsehbaren Liste eintragen oder es müsse für jeden Gast ein einzelner Zettel parat liegen, der dann eingesammelt wird.

Wenn deutsche Bürokraten eine Regelungslücke entdecken, dann füllen sie diese gerne so aus, dass den Anwendern Hören und Sehen vergehen. So erging es dem Wirt der Münchner Gaststätte "München72". Das neue vom bayerischen Wirtschaftsministerium entworfene zweiseitige Formular mit zahlreichen Belehrungen und Erläuterungen für jeden einzelnen Gast (im Anhang) sei geeignet, die "Gastronomie vollends gegen die Wand zu fahren", beschwerte er sich bei Wirtschafts-minister Hubert Aiwanger (FW): "Wir sind Hendlverkäufer, keine Wohnungsverkäufer."

Wird wirklich alles vernichtet?

Aber auch, wenn die Daten der Besucher ordnungsgemäß erhoben werden, hinterlässt die Zettelwirtschaft eine datenschutzrechtliche Grauzone. Die Listen und Zettel sollen zwar nach vier Wochen vernichtet werden, aber ob dies auch zuverlässig geschieht und ob nicht interessante Gästedaten zuvor Eingang in hauseigene Marketing-Aktivitäten finden, kann keiner kontrollieren.

Wie so oft kommt die Lösung aus den Software-Schmieden. Mit einem Quick Response-Code (QR-Code) arbeiten schon einige fortschrittliche Wirte, um den Gästen ohne potentiell infektiöse Speisekarten ihr Angebot nahezubringen. Dazu muss einfach die auf den Tischen ausgelegte quadratische Matrix gescannt werden und schon erhält der Gast die Komplette Speisekarte nebst Bildchen auf sein Smartphone.

Daten per QR-Code

Auf demselben Weg sollen die Gäste nun auch ihre persönlichen Daten in völlig anonymisiertem Zustand hinterlassen, was ihnen umgehend ebenfalls via Smartphone bestätigt wird. Der Wirt habe damit kaum noch Aufwand und bekomme die persönlichen Informationen seiner Gäste gar nicht mehr zu Gesicht, preist Dehoga-Bayern-Geschäftsführer Geppert den QR-Code. Entwickelt wird der Dienst von der Münchener AKDB, die vor allem digitale Lösungen für Kommunen und öffentliche Einrichtungen erarbeitet. Der "einfache und sichere" Web-Dienst soll für die Wirte kostenlos oder zumindest sehr preiswert sein, heißt es bei der Dehoga Bayern.

Problem also bald gelöst? Nicht so ganz. Denn wer nicht ständig ein (intaktes) Smartphone mit (funktionierendem) Internetzugriff mit sich führt, könnte bald als Gast zweiter Klasse behandelt oder gar abgewiesen werden. Geppert zerstreut diese Bedenken: Selbstverständlich würden die Wirte nach wie vor auch reale Registrierungszettel für diejenigen bereithalten, die kein Smartphone zücken können oder wollen; das ganze basiere auf Freiwilligkeit.


Download, Sicherheit, Nutzen: Antworten zur Corona-Warn-App


Doch mit der Freiwilligkeit ist das so eine Sache, geben Verbraucherschützer zu bedenken. Auch die Beantragung einer Kreditkarte ist freiwillig und doch kann man ohne sie de facto kein Hotel oder keinen Flug buchen und keinen Leihwagen mehr anmieten. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat soeben kritische Fragen an die gestern gestartete staatliche Corona-App formuliert, die analog auch für den QR-Webdienst in Gaststätten gelten könnten: "Wie freiwillig wird die freiwillige Nutzung langfristig wirklich sein? Wird die App zur Zugangsvoraussetzung für Restaurants und Theater?"

Ähnliche Überlegungen stellt auch Klaus Müller, Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband an. Solche Programme dürften nicht zu Diskriminierungen führen, sagte er mit Blick auf die Corona-App: "Ich warne davor, dass Restaurants, Geschäfte oder Flughäfen die Freiwilligkeit der App faktisch aushöhlen, indem sie nur App-Nutzern Zutritt gewähren", sagt er. "Diese Gefahr ist real."

Klar ist auch, wer durch einen denkbaren faktischen Smartphone-Zwang vom Gaststättenbesuch ausgeschlossen wäre, nämlich ältere Menschen. Nur 64,5 Prozent der über 70-Jährigen haben 2019 wenigstens einmal ein Smartphone benutzt.


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