Gerhard Schröder: Söder macht einen ordentlichen Job

6.2.2021, 15:27 Uhr
Von Hannover aus zugeschaltet: Gerhard Schröder führte das Interview per Video-Call. Rechts Gregor Schöllgen, links NN-Chefredakteur Alexander Jungkunz

© Roland Fengler Von Hannover aus zugeschaltet: Gerhard Schröder führte das Interview per Video-Call. Rechts Gregor Schöllgen, links NN-Chefredakteur Alexander Jungkunz

So läuft ein Interview in Corona-Zeiten ab: Ex-Kanzler Gerhard Schröder sitzt, gut gelaunt, in seiner Kanzlei in Hannover, der Erlanger Historiker Gregor Schöllgen – der mit Schröder ein Buch geschrieben hat – kommt in unsere Redaktion. Wir sprechen per Videoschalte über das Buch – und natürlich auch über die Krise in Russland. Da bleibt Schröder, der Aufsichtsratschef von Nord Stream 2, äußerst zurückhaltend....

Sie werfen in Ihrem Buch einen sehr pessimistischen Blick auf die Lage. „Die Welt liegt im Koma“, schreiben Sie. Ist wirklich alles so schlecht?

Schröder: Wir versuchen ein realistisches Bild der internationalen Politik zu liefern. Und da liegt einiges im Argen. Wir wollen aufrütteln.

Schöllgen: Und wir wollen die Blickrichtung ändern. Wenn wir Europäer weiter auf China, Russland und Amerika fixiert bleiben, übersehen wir, was sich auf der anderen Seite des Mittelmeers, also sozusagen vor unserer eigenen Hautür, abspielt. Die Krisen, Kriege und Katastrophen aller Art und Dimension, die sich seit Jahrzehnten in Zentralafrika, der Sahelzone und in Nordafrika aufbauen, betreffen uns unmittelbar. Die Migration Hunderttausender gen Norden ist nicht zuletzt auch eine Flucht vor den Folgen jahrzehntelanger europäischer Kolonialherrschaft.


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Sie fordern nichts weniger als eine „neue Weltordnung“. Wer soll die denn auf den Weg bringen?

Schröder: Welche Rolle soll eigentlich Europa in einer Welt spielen, die auf der einen Seite beeinflusst wird von den USA und auf der anderen Seite durch Asien unter der Führung von China – einer sehr dynamischen Ökonomie? Europa hat nur eine Chance, wenn es einiger wird, ökonomisch wie auch politisch. Es muss auch bereit sein, etwa mit den Franzosen zusammen, in der unmittelbaren Nachbarschaft militärisch Verantwortung zu übernehmen. Ohne eine europäische Armee wird es nicht gehen.

Diese Idee ist schon oft gescheitert...

Schöllgen: … was aber nicht heißen muss, dass es wieder so kommen wird. Die Welt hat sich in den vergangenen Jahren derart dramatisch verändert, dass es keine vernünftige Alternative gibt.

Aber Macrons Initiative wurde von deutscher Seite abgebürstet.

Schröder: Die Bundesregierung muss offener werden für seine Vorschläge. Was Macron formuliert hat, das ist durchaus diskussionswürdig – mehr Integration in der Euro-Zone, aber eben auch diese militärische Komponente.

Sie plädieren in Ihrem Buch vehement für die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip in der EU, das seit Jahren für Lähmung sorgt. Wer soll das auf den Weg bringen?

Schöllgen: Durch eine gemeinsame Verfassung. Die Initiative muss von den Mitgliedern der Euro-Zone kommen. Denn diese Staaten haben mit der gemeinsamen Währung schon einmal einen beträchtlichen Teil ihrer nationalstaatlichen Souveränität abgetreten. Deshalb plädieren wir dafür, dass Europa noch einmal entschlossen versucht, was 2004 fast gelungen ist, nämlich eine europäische Verfassung auf die Beine zu stellen, die diesen Namen verdient. Wenn wir dieses Fundament nicht legen, wird das gemeinsame europäische Haus den Stürmen der Gegenwart und der Zukunft nicht standhalten können.

Schröder: Wenn wir es nicht schaffen, im Euro-Raum mehr als nur die Geldpolitik zu koordinieren, sondern endlich auch andere Felder wie die Finanz-, Wirtschafts- und auch die Sozialpolitik, dann werden wir mit der Währung immer Schwierigkeiten haben.

Schöllgen: Wir müssen auch über eine Weiterentwicklung der Währungs- zur Fiskalunion nachdenken.

Schröder: Bereits das Heidelberger Programm der SPD von 1925 hat formuliert, dass das langfristige Ziel die Vereinigten Staaten von Europa ist. Soweit würde ich gar nicht gehen, aber deutlich mehr Koordination ist nötig. Es geht nicht um Gleichmacherei. Die Kultur in Europa etwa muss nicht vereinheitlicht werden, sie lebt von der Vielfalt. Aber in der Ökonomie ist Vielfalt gelegentlich gefährlich.

Trump ist weg, Biden stellt die ersten Weichen. Sie blicken im Buch skeptisch auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Wie sehen Sie Bidens Start?

Schröder: Die ersten Positionsbestimmungen zeigen: Da scheint sich etwas in die richtige Richtung zu bewegen! Wiedereintritt in die WHO, ins Pariser Klimaabkommen – die Nagelprobe wird das Verhältnis zum Iran sein und zu anderen großen Mächten wie Russland und China. Nicht schlecht angefangen, aber es darf nicht darüber hinwegtäuschen: America First bleibt auch unter Biden die Maxime.

Schöllgen: Biden wird die Politik gegenüber Russland, China und auch Europa schon deshalb nicht grundlegend ändern können, weil sein Spielraum im Innern stark eingeschränkt ist. Fast die Hälfte der Amerikaner hat Trump gewählt. Viele von ihnen wollen die Partnerschaften, die wir kannten und schätzten, so nicht mehr.

Sie schreiben, Russland stecke eigentlich immer schon in der Defensive, sei eigentlich schwach. Gerade demonstriert Putin aber sehr viel Stärke... Wie sehen Sie sein Vorgehen gegen Nawalny?

Schröder: Wir haben ein Buch über internationale Politik geschrieben, keines über Herrn Nawalny. Aber sein Fall führt zur Frage: Wie soll unser Verhältnis zu Russland künftig sein? Wir brauchen ein partnerschaftliches Verhältnis, keine Neuauflage des Kalten Krieges. Denn kein internationales Problem ist ohne die Einbeziehung Russlands lösbar. Gegenseitige Sanktionen helfen da nicht. Was wir stattdessen brauchen, sind politische Veränderungen auf beiden Seiten. Und das geht nur über Dialog.

Schöllgen: Und wir müssen dem russischen Sicherheitsbedürfnis Rechnung tragen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion war auch ein militärischer und politischer, wirtschaftlicher und weltanschaulicher Triumph des Westens über die Sowjetunion, ihr Imperium und ihren Militärpakt. Wie sich das aus russischer Sicht darstellt, liegt auf der Hand. Das müssen wir ernst nehmen.

Droht da nun so etwas wie in Belarus? Ständige Proteste gegen ein erstarrtes Regime?

Schöllgen: Offensichtlich ist der russische Machtappart erstmals seit Beginn des Jahrtausends ernsthaft in die Defensive geraten. Wer Regimegegner unter fadenscheinigem Vorwand ins Gefängnis stecken, friedliche Demonstranten zusammenknüppeln und verhaften lässt, handelt nicht aus einer Position der Stärke heraus. Das ist gefährlich. Denn Regime, die sich in die Ecke gedrängt fühlen, reagieren nicht selten irrational oder auch durch eine Flucht nach vorn. In dieser Situation das Gespräch mit der russischen Führung abzubrechen oder sie durch falsche Maßnahmen zusätzlich unter Druck zu setzen, ist der falsche Weg.

Schröder: Neben dem politischen Aspekt gibt es auch ökonomische Gründe. Die Arbeitsplätze in Deutschland hängen vom Export ab. Mit wem sollen wir aber Handel treiben? Ich lese und höre: Mit Russland nicht. Mit Saudi-Arabien nicht wegen des brutalen Mordes an einem Regimekritiker. Mit China nicht, weil das nicht unser System ist. Ich frage mich: Mit wem denn dann? Wir müssen die Realitäten zur Kenntnis nehmen. Wer glaubt, man könne Länder wie Russland oder China mit Sanktionen zu einer veränderten Politik zwingen, der irrt.

Nun fordert auch Frankreich ein Ende von Nord Stream 2, „Ihrem“ Projekt. Sie verteidigen es sicher weiter...

Schröder: In der Tat. Wir haben uns aus guten Gründen in meiner Regierungszeit entschieden, aus der Kernenergie auszusteigen. Und wir wollen aus Klimagründen auch aus der Kohle raus. Das ist vernünftig. Die Erneuerbaren Energien wachsen – aber Fakt ist: wir brauchen für eine längere Übergangszeit Erdgas. Das ist von den fossilen Energieträgern der umweltfreundlichste. Wir verbieten Fracking bei uns – aber wollen Fracking-Gas aus den USA kaufen, das mit Tankern übers Meer geschippert wird. Wo ist da die Vernunft?

Da spricht der russische Lobbyist Schröder...

Schröder: …nein, ich spreche über die deutschen Interessen. Wir sind Industrienation. Wer da Arbeitsplätze will, braucht eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung, Das geht noch für Jahrzehnte nur mit Erdgas. Im Übrigen: Wenn wir über Wasserstoff nachdenken – auch da kann diese Pipeline neue Möglichkeiten eröffnen.

Schöllgen: Was will man eigentlich mit einem Stopp von Nord Stream 2 erreichen? Russland schwächen? Dann müsste man alle Kanäle - derzeit sind es vier - schließen, durch die derzeit russisches Gas nach Europa kommt. Auch die beiden, welche die Ukraine queren. Will man das?

Blicken wir auf die Innenpolitik in einem Super-Wahljahr... Sehen Sie irgendeine Chance für Ihren Parteifreund Olaf Scholz?

Schröder: Es ist schwierig, aber er hat eine Chance, wenn ich mir die Probleme der Union ansehe. Die haben noch keinen Kanzlerkandidaten, und das wird noch interessant, ob der CDU-Chef wirklich zugunsten von Herrn Söder verzichtet. Söder mach einen ordentlichen Job, er bestimmt auch schon die Linie des CDU-Teils der Bundesregierung. Aber ein bayerischer Kanzlerkandidat hat es nie leicht gehabt, (lacht) mein Freund Edmund Stoiber wird ihm davon berichten können…

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