Kommentar zur Wahl 2021

Inhalte? Ach was! Die seltsamste Bundestagswahl aller Zeiten

10.9.2021, 18:26 Uhr
NN-Chefredakteur Michael Husarek mit einem Kommentar zur Bundestagswahl.

© Arne Dedert, dpa NN-Chefredakteur Michael Husarek mit einem Kommentar zur Bundestagswahl.

Haben Sie es auch satt? Permanent skizzieren uns Politiker, was wir nicht wählen dürfen. Allen voran die Unionsvertreter. Das ohnehin höchst unwahrscheinliche Linksbündnis wird als Untergang des Abendlandes dargestellt. Natürlich, der Wahlkampf nähert sich zwei Wochen vor der Stimmabgabe seinem Höhepunkt. Dennoch ist das Spektakel im Grunde ein Armutszeugnis, vor allem für diejenigen, denen die Angst ins Gesicht geschrieben steht.

Und das sind nun mal Armin Laschet und Markus Söder. Sie haben am meisten zu verlieren. Der Kanzlerkandidat stünde im Falle einer Niederlage wohl vor dem politischen Aus, ohne Bundestagsmandat und ohne innerparteiliche Unterstützung, der wiedergewählte CSU-Chef wäre zumindest angeschlagen, zumal Söder bislang kein einziges passables Wahlergebnis liefern konnte. Wobei der Nürnberger mehr Zeit als Laschet hat. Seine Benchmark sind die Landtagswahlen 2023, erst diese entscheiden über seine Zukunft.

Ob Söder tatsächlich noch durch die Hintertüre Kanzler werden könnte, falls es einem möglichen Wahlsieger Olaf Scholz nicht gelänge, ein Bündnis zu schmieden, ist für die politischen Berichterstatter spannend, die Menschen in der Bundesrepublik dürfte dieses Geplänkel eben so wenig interessieren wie die substanzlose Dauerwarnerei vor einem Linksbündnis.

Stattdessen sollten endlich Inhalte ins Zentrum rücken: Deutschland steht vor einem ganzen Reigen an Herausforderungen. Das beginnt bei der Klimakatastrophe auf die wir sehenden Auges zusteuern, geht über die während der Pandemie schonungslos offengelegten Schwächen bei der Digitalisierung und der Bildungspolitik weiter bis hin zu einer außenpolitischen Stunde Null. Denn der Westen in seiner alten Form ist als Konstante der Weltpolitik gescheitert, das Desaster in Afghanistan dient als eindrucksvoller Beweis dafür.

Wer spricht noch über Rente?

Darüber zu reden, sich mit den Konzepten der jeweils anderen Seite zu beschäftigen, das könnte lohnenswert und vor allem aufklärerisch für die Wählerinnen und Wähler sein. Doch all diesen Megathemen droht wohl das Schicksal, dem seriöse Debatten über die künftige Sozialpolitik bereits zum Opfer gefallen sind. Keiner will so richtig drüber sprechen.

Oder wann haben Sie zuletzt eine ernsthafte Auseinandersetzung über die Zukunft der Renten gehört? Das jetzige System fährt gegen die Wand, alle wissen das, keiner traut sich an das heiße Eisen zu langen. Politiker, die in Vier-Jahres-Zyklen denken, können sich dieses Vorgehen leisten, unser Land nicht. Der Wahlkampf 2021 kann deshalb bereits vor seinem Höhepunkt als einer der seltsamsten in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet werden. Gleiches dürfte für die bevorstehende Sondierung gelten: Erstmal dürfte dieses Land in den kommenden vier Jahren von einer Dreier-Koalition regiert werden. Hoffentlich geht es dann auch um Inhalte.

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