Interview mit Krankenschwester: "Wir sind immer voll belegt"

3.5.2021, 05:50 Uhr
Die Schutzmaßnahmen sind extrem hoch und auf die Dauer körperlich belastend: Ein Pfleger widmet sich in voller Corona-Schutzmontur einem Patienten.

© Kay Nietfeld/dpa, NNZ Die Schutzmaßnahmen sind extrem hoch und auf die Dauer körperlich belastend: Ein Pfleger widmet sich in voller Corona-Schutzmontur einem Patienten.

Was hat sich in Ihrem Job verändert, seit Covid-Patienten eingeliefert werden?

Die Arbeit auf einer Intensivstation ist schon ohne sie sehr fordernd. Seit nun die Covid-Patienten bei uns sind, kommt eine eine psychische Komponente hinzu. Da Besuche bei uns nur in seltenen Ausnahmefällen gestattet sind, sind wir meist der einzige Ansprechpartner der Patienten, hören uns ihre Ängste an. Mit Facetime versuchen wir, den Kontakt für Angehörige herzustellen und führen lange Telefonate. Dazu kommen noch strenge Hygienemaßnahmen, das fordert einen körperlich extrem.


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Wie muss man sich das vorstellen?

Das ist so aufgrund eines Hygienekonzepts, das bei uns der ersten Corona-Welle in Kraft getreten ist. Seitdem hatten wir unter dem Personal keinen einzigen Infektionsfall mehr, es funktioniert also. Aber es erfordert vollen Einsatz. Bevor wir uns den Covid-Patienten nähern, müssen wir einen langärmeligen Schutzkittel anziehen. Darüber kommt eine Plastikschürze, damit man sich zwischen der Betreuung verschiedener Patienten nochmal desinfizieren kann. Dazu kommen zwei bis drei Paar Handschuhe, eine FFP3-Maske, eine Schutzbrille, ein shield und eine Haube über die Haare.


Wie lange müssen sie derart gerüstet während einer Schicht arbeiten?

Nach der Übergabe geht es in voller Montur durch eine Schleuse, in der Regel zweimal pro Schicht für jeweils zwei bis drei Stunden. Zwischendrin kann man eine Stunde raus und geht dann wieder ein. Das gilt aber nur dann, wenn es gut läuft. Der Regelfall sieht anders aus, häufig bin ich auch schon mal vier Stunden ohne Pause drinnen.

Ist die Station, auf der Sie eingesetzt ist, immer voll belegt oder haben Sie noch freie Intensivpflege-Plätze?

Derzeit sind wir eigentlich immer voll belegt. Kaum wird jemand entlassen - oder es stirbt jemand -, kommt sofort ein neuer Patient nach. Rein theoretisch hätten wir noch ein paar wenige Betten zusätzlich. Das Problem ist aber, dass es kein Personal dafür gibt. Wir haben Unterstützung aus der Anästhesiepflege und einigen Ärzten, ansonsten könnten wir das kaum stemmen. Weil die Betreuung eines Covid-Patienten mit all den notwendigen Isolationsmaßnahmen wesentlich aufwändiger ist als ein „normaler“ Intensivpatient.


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Wie wirkt sich diese außergewöhnliche Belastung auf Sie und Ihre Kollegen aus?

Das merkt man uns schon an, wir alle arbeiten nahe an der physischen und psychischen Belastungsgrenze, manchmal sogar etwas darüber. Das hat sich in den letzten Wochen noch einmal gesteigert. Wir haben seit Beginn der dritten Welle erste Krankheitsausfälle von eigentlich superengagierten Kolleginnen und Kollegen, die ihren Job wirklich gerne machen, die aber einfach psychisch so fertig sind, dass sie zuhause nicht mehr richtig schlafen können. Weil sie die Bilder von den Covid-Patienten nicht mehr aus dem Kopf kriegen.

Baut man als Krankenschwester oder Krankenpfleger enge Bindungen zu den Covid-Patienten auf?

Absolut. Wegen der extremen Isolation sind wir oft die einzigen, mit denen sie reden können, und das über Tage oder Wochen hinweg. Das kann man nicht einfach so loslassen, wenn die Schicht zu Ende geht.

Wieviel Zeit verbringt ein Covid-Patient etwa auf der Intensivstation?

Im Durchschnitt etwa 15 Tage, es kann aber auch deutlich länger dauern. Wenn der PCR-Test passt und sich die Atmung stabilisiert hat, dürfen die Covid-Patienten in die sozusagen „normale“ Intensivstation hinüberwechseln. Inzwischen ist aber immer mehr anerkannt das Krankheitsbild „Long Covid“, an dem einige von ihnen leiden. Das bedeutet, sie haben die akute Infektion zwar überstanden, aber noch so viele Symptome, dass sie auf intensive Pflege angewiesen sind. Die verbringen manchmal 70 oder 80 Tage auf Station.

Musste ihr Krankenhaus aufgrund der Auslastung der Intensivstation schon mal Patienten abweisen?

Ja, das ist gar nicht so selten. Das sieht im gesamten Großraum nicht anders aus. Es gibt ein Netzwerk von leitenden Intensivmedizinern in der Metropolregion. Da spricht man sich untereinander ab, vor allem dann, wenn Anfragen aus weiter entfernten Landkreisen kommen. Da kann es durchaus auch zu rechtlichen Problemen kommen.

Wie das?

Es kommt vor, dass Kliniken, die jemand abgewiesen haben, von den Angehörigen des Patienten verklagt werden. Soweit ich weiß, ist ein solcher Fall derzeit in Regensburg anhängig. Die mussten jemanden ablehnen, dem eventuell nur noch eine sogenannte Ecmo-Anlage geholfen hätte, das ist eine sehr spezielle Form der künstlichen Beatmung. Das ist fast schon ein bisschen wie eine Triage in Notfallsituationen und absolut tragisch. Keiner will eigentlich darüber entscheiden, nur sind die Kliniken, seit es Covid gibt und es an die Kapazitätsgrenzen geht, immer wieder dazu gezwungen.

Wissen Sie, ob der abgewiesene Patient verstorben ist?

Das ist zumindest sehr wahrscheinlich.


Wie viele Patienten mit dieser Behandlungsform betreuen Sie zurzeit?

Aktuell sind es vier, und deren Pflege ist weitaus aufwändiger als für andere Covid-Patienten. Das obliegt nur erfahrenem Personal. Wir hätten Kapazitäten für acht Ecmo-Patienten. Was passiert, wenn ein neunter vor der Tür steht, kann ich nicht sagen.

Die Pandemie bestimmt seit über einem Jahr die politische Debatte. Was empfinden sie, wenn sich Politiker zum Beispiel darüber äußern, das im Juni vielleicht die Biergärten schon wieder aufmachen können?

Ich sehe das kritisch. Gleichzeitig bin ich ein wenig hin- und hergerissen, das geht auch vielen meiner Kollegen so. Ich kann verstehen, dass es die Leute satt haben, auch im Freien auf strikte Hygiene zu achten. Ich sehe ferner, dass der Lockdown vielen Betrieben großen Schaden zufügt, deswegen bin ich etwas zwiegespalten. Wenn ich aber das Verhalten von Leuten beobachte, sobald sie ein paar mehr Freiheiten haben, mache ich mir Sorgen. Zum Beispiel im Tiergarten, wenn sie zusammen an einem Gehege stehen und Masken tragen, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion nicht sonderlich hoch. Aber manche sind eben unvernünftig, nehmen die Masken in solchen Situationen ab mit dem Argument „Wir sind doch draußen im Freien.“. Und dann hustet der Nebenmann einem vielleicht doch ins Gesicht. Da schließt sich der Kreis: Je unvernünftiger die Leute sich verhalten, desto mehr Patienten haben wir.

Das heißt, Sie persönlich würden den Menschen, die sich draußen aufhalten, raten, weiterhin eine FFP2-Maske zu tragen?

Ja, sobald sie auf engem Raum sind unbedingt. Bleiben wir beim Beispiel Tiergarten: Sobald 20 Leute eng beieinander am Affengehege stehen, die Maske abnehmen und mal kurz nicht auf Mindestabstand achten, steigt das Infektionsrisiko rasant. Das sollte niemand vergessen. Im Extremfall landet man dann in der Intensivstation, das kann ganz schnell gehen.

Und es trifft nicht nur ältere Menschen. Wie alt war der jüngste Patient, der bei Ihnen mit Covid in die Intensivpflege kam?

Das war eine junge Frau um die 20. Sie war etwa 40 Tage bei uns auf Station, zeitweise war es sehr, sehr kritisch. Sie hatte eine Immunerkrankung, das muss man dazusagen. Eine normale Grippe hätte sie damit schon weggesteckt, aber gegen das Coronavirus ist sie nicht angekommen. Sie hat es gerade so geschafft.

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