Jubel für den Hass: Wie Hitlers Truppen in Franken Fuß fassten

23.2.2020, 10:58 Uhr
Jubel für den Hass: Wie Hitlers Truppen in Franken Fuß fassten

© Stadtarchiv Nürnberg

"Mensch, der hat a Gosch‘n. Den kunnt ma braucha": So schwärmte der Vorsitzende der Deutschen Arbeiter-Partei (DAP), Anton Drexler, am 12. September 1919. Er hatte da kurz zuvor bei diesem Partei-Abend einen sehr spontanen Auftritt eines bisher Unbekannten erlebt.

Der Mann hieß Adolf Hitler und war das, was man heute V-Mann nennt: Er stand in Diensten des Militärs und sollte im Auftrag der Reichswehr die Parteienlandschaft in München erkunden.

Wer beim Blick zurück auf diese Zeit etliche Parallelen zur Gegenwart sieht, der irrt (leider) nicht. Auch aktuell fanden sich unter den V-Männern der deutschen Geheimdienste zwielichtige Figuren, die den Objekten ihrer Beobachtung offenbar zu nahe standen – siehe NSU, siehe die NPD-Verbotsverfahren etc.


"Hitlers Lieblingsstadt": Reise in die Zeit der Reichsparteitage 


Der ehemalige Gefreite Hitler jedenfalls erlebte an diesem Septemberabend im Münchner "Sterneckerbräu" eine Partei ganz nach seinem Gusto. Stramm national, antisemitisch – er hörte wohl zufrieden zu. Bis dann ein anderer Gast das Wort ergriff und vehement für einen bayerischen Separatismus kämpfte. Da fiel der völkisch denkende Beobachter Hitler erregt aus seiner Zuschauer-Rolle und redete den Mann derart in Grund und Boden, dass der Separatist den Saal verließ – was DAP-Chef Drexler sein dialektgefärbtes Lob für Hitler entlockte.

In der zweiten Septemberhälfte trat der ehemalige Kriegsteilnehmer aus Braunau am Inn dann dieser Partei bei. Und am 24. Februar 1920 wurde daraus offiziell die NSDAP, die also keine Neugründung war, sondern aus der Umbenennung der DAP entstand.

Star der Nationalsozialisten

Man traf sich wieder in einem Bierlokal, im Festsaal des Münchner Hofbräuhauses. Es kam zu den üblichen Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern dieser Partei. München war damals, nach der kurzlebigen, durch Soldaten und rechte Freikorps niedergeschlagenen Räte-Republik, ein oft blutiger Tummelplatz heftigster politischer Grabenkämpfe – Kommunisten und Bolschewisten gegen Nationalisten und Rechtsextreme; die zu unauffällige Mitte spielte in diesen Kontroversen kaum eine Rolle.

Jubel für den Hass: Wie Hitlers Truppen in Franken Fuß fassten

© Stadtarchiv Nürnberg

Zum Abschluss der Versammlung präsentierten Drexler und Hitler das 25-Punkte-Programm der Partei mit neuem Namen. Es ging – das war damals Konsens – gegen den "Schandfrieden" von Versailles, der Deutschland Gebietsverluste und hohe Reparationen auferlegte. Es ging gegen die "Zinsknechtschaft" – und es ging vor allem gegen die Juden. Was Hitler mit ihnen vorhatte, das machte er nicht erst in "Mein Kampf" öffentlich sehr deutlich. Am 16. September 1919 schrieb er einen Brief an Adolf Gemlich – einen der Teilnehmer der Kurse, die Hitler im Auftrag der Armee für Kriegsheimkehrer hielt. Er beschloss seine dort erstmals schriftlich fixierten, radikal antisemitischen Forderungen damit, sein "letztes Ziel aber muss unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt sein".

Die "Entfernung der Juden überhaupt": Da taucht sein später im Holocaust umgesetztes Ziel der "Endlösung", der Vernichtung der Juden, zum ersten Mal auf. Und er wiederholte das immer wieder, in vielen Reden. Dass er da zusehends seine Rolle fand, das hat er ebenfalls dem Militär zu verdanken: Hauptmann Karl Mayr entdeckte die rhetorische Begabung Hitlers, als dieser vor den Front-Heimkehrern dozierte. Und er machte ihn zum Informanten für die Truppe – ohne Mayrs Talentsuche, schreibt Hitler-Biograf Ian Kershaw, "hätten wir möglicherweise nie etwas von Hitler erfahren".


Frankens Kultstätte der Nazi-Propaganda 


So aber wurde aus einem "Niemand" (Kershaw), aus einem der vielen "namenlosen, armen Teufel", die sich damals in München herumtrieben, innerhalb von drei Jahren eine Galionsfigur des rechten Flügels, "in nationalistischen Kreisen ging die Rede von Hitler als dem deutschen Mussolini, man zog Vergleiche mit Napoleon".

Erst 1921 übernahm Hitler – nach etlichen Querelen – den Vorsitz der NSDAP, er musste dazu gedrängt werden, da ihm seine Existenz als gefeierter Redner angenehmer war als die Arbeit in der Organisation der Partei. Zeitweise war er im Groll ausgetreten und ließ sich erst nach dem für ihn auch später üblichen "Gebaren einer Primadonna" (Kershaw) überreden, doch dabei zu bleiben,

Da war er schon der Star der Nationalsozialisten, ein nicht schlecht bezahlter Redner. "Er verdiente mit der einzigen Sache, von der er etwas verstand, seinen Lebensunterhalt: mit Reden" (Kershaw).

 "In diesen Nächten wuchs mir der Hass"

Ende 1920 hatte er schon auf über 30 Massenveranstaltungen gesprochen – oder genauer: gebrüllt. Zwei Stunden oder länger hetzte und agitierte er. Den meisten Beifall bekam er, wenn er die Juden attackierte – und auch da schon in brutaler Offenheit androhte, was er mit ihnen vorhat: Er forderte die "Internierung in Konzentrationslagern", um die "jüdische Unterhöhlung unseres Volkes" zu verhindern.

Das war seine Verschwörungstheorie: Die Juden sind an allem schuld. Und eine wachsende Zahl von Anhängern ließ sich – damals natürlich noch ohne Internet, aber mit Propaganda bei Reden und in Parteiblättern – ohne Widerspruch auf diese krude Weltsicht ein.

In seinem Selbstverherrlichungsbuch "Mein Kampf" schrieb Hitler den berühmten Satz: "Ich aber beschloss, Politiker zu werden." Angeblich fasste er diesen Entschluss, als er verwundet im Lazarett von Pasewalk im November 1918 von der Kriegsniederlage und der Revolution erfuhr. Für all das machte er – wen sonst in seiner Sicht auf die Welt – "die Juden" verantwortlich. Und schrieb später: "In diesen Nächten wuchs mir der Hass, der Hass gegen die Urheber dieser Tat... Mit den Juden gibt es kein Paktieren, sondern nur das harte Entweder-Oder." Und dann folgt der Satz mit dem Entschluss, Politiker zu werden. Ein Satz, der – wie Ian Kershaw analysiert – zu den vielen Fake News gehört, die Hitler gern verbreitete. Nach Kriegsende war der Ex-Gefreite ohne Ziel in München unterwegs. Und die Politik kam dann zu ihm – der sich darauf zunächst nicht einlassen wollte.

Um Franken machte der NSDAP-Frontmann lange einen Bogen. Denn das war das Terrain eines anderen Hardcore-Antisemiten: Julius Streicher, der den großen Nürnberger Ableger der DSP (Deutschsozialistische Partei) leitete. Lange beharkten sich die im Kern sehr ähnlichen Rechtsextremen Hitler und Streicher. Der ließ in Nürnberg Zettel kleben, auf denen (wie auch in Hitlers Reden) bereits sehr massiv mit Sanktionen gedroht wurde: "Kauft nicht bei Juden! Nehmt keine jüdischen Ärzte! Lauft nicht zu jüdischen Rechtsanwälten! Verlangt judenfreie Zeitungen!"

Viele Anhänger rund um Ansbach 

Eine ganz und gar "judenfreie" Zeitung schuf Streicher 1923 mit dem Hetzblatt "Der Stürmer", der mit der stets wiederholten Zeile erschien "Die Juden sind unser Unglück!" und manchmal selbst Hitler zu drastisch antisemitisch war.

Streichers Gift, das er in Worten verbreitete, setzten manche in Taten um: Der "Centralverein der Staatsbürger jüdischen Glaubens" beschwerte sich Anfang der 1920er Jahre wegen einer Häufung antisemitischer Ausschreitungen und Schändungen jüdischer Friedhöfe bei der Regierung von Mittelfranken – erfolglos. Denn gerade die Gegend um Ansbach war rasch ein Terrain, auf dem braune Parolen überdurchschnittlich viele Anhänger fanden.

1922 kamen die beiden Ultrarechts-Redner zusammen: Streicher diente sich auch aus Geldnöten der NSDAP an, Hitler ließ sich darauf ein, bezahlte die Schulden des anderen Judenhassers und eroberte spätestens nach der Übernahme der DSP durch seine NSDAP rasch Franken.

Am 20. Oktober 1922 gründete Streicher deren Nürnberger Ortsgruppe, die rasant wuchs. Die Nationalsozialisten sorgten mit Radau und Aggression für Aufsehen – beim "Deutschen Tag" im Oktober 1922 in Coburg, wo SA-Truppen Gegner niederknüppelten, und später dann auch im Nürnberger Stadtrat, den sie für Schaureden und Krawall missbrauchten. Nur der liberale Oberbürgermeister Hermann Luppe hielt ihnen lange und mit Haltung stand. Bis ihn Hitlers Partei nach ihrer Machtübernahme 1933 aus dem Amt drängte.

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