Kommentar: Die "Diktatur der Virologen" gibt es nicht

13.5.2020, 15:50 Uhr
Virologe Christian Drosten von der Charité steht seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder in der Öffentlichkeit.

© Christophe Gateau Virologe Christian Drosten von der Charité steht seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder in der Öffentlichkeit.

Wer noch einen Beweis dafür gebraucht hätte, dass wir es auch in Deutschland nicht mit einer "Diktatur der Virologen" zu tun haben, müsste das nun bestätigt sehen. Die Lockerungen der Reisebeschränkungen, die nach und nach quer durch ganz Europa gelten sollen, zeigen ziemlich eindeutig: Das Primat der Entscheidung liegt bei der Politik.


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Es ist auffällig, dass die Virologen, von denen sich die Bundesregierung wie die Länder beraten lassen, sich zu den ins Auge gefassten Lockerungen überaus schweigsam verhalten. Weder Christian Drosten von der Berliner Charité, der als der kompetenteste Experte in Deutschland gilt, noch das Robert-Koch-Institut oder das Helmholtz-Institut wollten das zunächst öffentlich bewerten.

Auch die Regierungen berufen sich bei ihren Plänen diesmal, anders als sonst, nicht auf die Virologen. Mit anderen Worten, welche Beschränkungen gelockert werden, ist eine politische Entscheidung. Ob die deutschen Urlaubsweltmeister nach Österreich reisen, nach Frankreich, nicht aber nach Italien oder Spanien, hat zwar auch mit der Höhe der Fallzahlen in diesen Staaten zu tun.

Doch letztlich bleibt dieser Beschluss ein Stück weit willkürlich. Das festzustellen, bedeutet andererseits nicht, diese Entscheidungen grundsätzlich für falsch zu halten. Es ist eine enorm schwierige Abwägung. Die vermehrte Reisetätigkeit wird mit Sicherheit zu einem Anstieg der Corona-Infektionen führen müssen. Das lässt sich mit den vorgeschriebenen Vorsichtsmaßnahmen eindämmen, aber nicht gänzlich vermeiden. Das wäre allerdings auch so, wenn viele Deutsche ihren Urlaub in Bayern verbringen würden statt in Österreich.



Wer freilich Reisen dorthin erlaubt, muss das auch für Griechenland zulassen, wo die Zahl der Corona-Fälle noch ziemlich gering geblieben ist. Klar ist, würden die Reiseverbote nicht gelockert, große Teile der Tourismusindustrie, Fluglinien wie Hotels und Gasthäuser, würden dieses Jahr nicht überstehen. Den Virologen wird man nicht etwas Falsches unterstellen, wenn man vermutet, dass sie über die Lockerungen nicht glücklich sind.

Doch sie alle haben von Anfang an betont, dass sie nur fachliche Bewertungen abgeben können. Die Entscheidungen müssen die Politiker treffen. Wirtschaftsfaktor Tourismus. Der Druck, die harten Einschränkungen nach und nach wieder aufzuheben, ist zuletzt enorm groß geworden. Nicht nur im so reisefreudigen Deutschland, sondern noch mehr in den Staaten, deren Wohl und Wehe noch viel mehr vom Tourismus anhängt.

In Griechenland beispielsweise tragen die Urlauber für unfassbare 30 Prozent der Wirtschaftsleistung und ein Viertel zur Gesamtbeschäftigung bei. Dabei sind die Reiseregelungen nur ein kleiner Ausschnitt des Spektrums, wie wir Europäer miteinander umgehen. Wie wir diese Krise bewältigen, mit welchen Schäden, wie solidarisch wir uns zeigen, wird mitbestimmen, in welchem Zustand die EU anschließend sein wird. Sehr vielversprechend sieht es derzeit nicht aus.


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