Kommentar: Die Spaltung in den USA wird bleiben

5.11.2020, 19:47 Uhr

Der ehemalige Senator, der 36 Jahre in der kleineren, feineren der beiden Parlamentskammern saß, versteht etwas von der Suche nach Mittelwegen. Er weiß, dass Geduld gefragt ist, wenn dicke Bretter gebohrt werden sollen. Was dem 77-Jährigen fehlt, ist das Charisma, das einen Barack Obama einst zum umjubelten Hoffnungsträger werden ließ. Zieht er ins Weiße Haus ein, übernimmt ein Profi des Politikbetriebs das Staatsruder. Einer, der für die Rückkehr zur Normalität steht, nicht für den Aufbruch zu neuen Ufern. Es wäre in diesen Zeiten schon viel.

Bidens knapper Sieg, wenn er sich denn am Schluss tatsächlich bestätigen sollte, ändert allerdings nichts an dem Riss, der quer durch die Vereinigten Staaten geht. Donald Trump hat mindestens 68 Millionen Stimmen bekommen, fünf Millionen mehr als 2016. Die hohe Beteiligung, ein Rekord in der jüngeren Geschichte der USA, ist nicht allein darauf zurückzuführen, dass Alarmierte, die die Zukunft der Demokratie gefährdet sahen, keine weitere vier Jahre mit einem Möchtegern-Monarchen im Weißen Haus riskieren wollten. Auch der Amtsinhaber hat seine Anhänger mobilisiert.


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Fast die Hälfte der Wähler hat in Kauf genommen, dass er praktisch täglich die Wahrheit verbog, dass er Regeln brach und bei seinen Attacken, gegen wen auch immer, keinerlei Hemmschwelle kannte. Trumps Beliebtheitswerte haben die Marke von 50 Prozent nie überschritten, zu keiner Zeit war eine Mehrheit seiner Landsleute einverstanden mit seiner Amtsführung. Nur: Seine Basis, die in ihm den furchtlosen, kantigen, gegen den Strich bürstenden Rebellen im Kampf gegen eine bequem gewordene Elite sah, hat ihm die Treue gehalten. Seine Anhänger sind ihm im November 2020 mindestens so loyal verbunden wie im November 2016.

Die soziale Ungleichheit, die Angst vor dem Abstieg hat eine große Gruppe weißer Amerikaner ohne College-Abschluss bewogen, Trump zu feiern, als wäre er ihr Retter in höchster Not. In Menschen dunkler Hautfarbe, in Großstädtern, die auf ein Gewehr im Schrank gut verzichten können und lieber Wein als Bier trinken, in Leuten, die sonntags nicht in die Kirche gehen, sehen viele von ihnen, natürlich bei weitem nicht alle, "die Anderen", von denen sie ein breiter Graben trennt. Die Spaltung wird bleiben. Und mit ihr der Nährboden für Populisten. Für den Trumpismus.

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