Rechte sollten nicht geteilt werden

Kommentar: Unterscheidung zwischen Geimpften und Ungeimpften spaltet die Gesellschaft

5.7.2021, 15:28 Uhr
Sollen Geimpfte in Zukunft andere Rechte haben als Ungeimpfte? Kassenärzte-VorstandschefGassen schlägt das vor. 

© Cecilia Fabiano/LaPresse via ZUMA Press/dpa Sollen Geimpfte in Zukunft andere Rechte haben als Ungeimpfte? Kassenärzte-VorstandschefGassen schlägt das vor. 

Spätestens, wenn jeder ein Impfangebot hatte, sollten alle Maßnahmen zurückgenommen werden, und das ohne Unterscheidung zwischen Geimpften und Ungeimpften: Was hierzulande wie eine Utopie klingt, wird im Vereinigten Königreich gerade vorbereitet. Am 19. Juli sollen Corona-Maßnahmen dort weitgehend aufgehoben werden.

Dass die Briten, anders als Kassenärzte-Vorstandschef Gassen das nun für Deutschland vorgeschlagen hat, die Rückgabe der Freiheiten dabei nicht an den Impfstatus knüpfen, hat gute Gründe. Zum einen garantiert eine Impfung nach aktuellem Kenntnisstand keine sterile Immunität. Das heißt: Ein Geimpfter ist zwar in der Regel vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt, kann das Virus aber durchaus an seine Umgebung weitergeben.


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Außerdem würde eine solche Regelung einen stark spaltenden Effekt auf die Gesellschaft haben, beispielsweise, wenn ein Teil der Menschen am Arbeitsplatz, in der Kantine etc. Maske tragen müsste, der andere wiederum nicht. In diesem Moment nämlich würde die Maske sich von einem medizinischen Gebrauchsgegenstand hin zu einem Symbol entwickeln, das Menschen einteilt in potentielle Gefährder und "Harmlose".

Dabei ist schon die Grundannahme falsch: Warum sollte ein Ungeimpfter eine übermäßige Gefahr für einen Geimpften darstellen? Das individuelle Risiko einer Erkrankung sollte ab dem Moment, in dem jeder ein Impfangebot hatte und dieses wahrnehmen konnte, in die Reihe sämtlicher anderer Lebensrisiken eingehen, denen wir permanent ausgesetzt sind, und die wir sonst nur sehr abstrakt wahrnehmen.

Immer neue Mutationen und Virusvarianten lassen das gesamtgesellschaftliche Ziel einer aus einer hohen Impfquote resultierenden Herdenimmunität ohnehin in weite Ferne rücken, weshalb wir allmählich hin zu einer individuellen Risikoabwägung kommen sollten. Schließlich kann sich jeder, der es möchte, gut durch eine Impfung schützen.


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Und dass sich durch eine indirekte Impfpflicht unterm Strich mehr Leute zu einer Impfung bewegen ließen, ist eine reine Hypothese. Gut denkbar wäre nämlich, dass Menschen, die ohnehin skeptisch sind, durch eine Pflicht eher abgeschreckt würden und ein möglicher positiver Effekt dadurch aufgefressen würde.

Außerdem würde ein medizinischer Eingriff, wie es eine Impfung ist, auf diese Weise zum Ticket für Freiheitsrechte verkommen. Ein denkbar falscher Weg, denn jeder Mensch sollte Risiko und Nutzen eines Eingriffs in seinen Körper gemeinsam mit seinem Arzt und ohne Druck von außen gegeneinander abwägen, so wie es auch bei anderen medizinischen Entscheidungen geschieht. Gesunde Menschen sollten wieder als gesunde Menschen behandelt werden, fernab des hypothetischen Verdachts, potentielle Virenherde zu sein.

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