Kommentar: Wahldebakel beschleunigt das Ende der USA als Weltmacht

6.11.2020, 19:05 Uhr

Freunde spannungsreicher Hollywood-Filme mögen das ja unterhaltsam finden: Seit drei Tagen werden in den USA Stimmen ausgezählt, Eilmeldungen und Sondersendungen in Serie produziert. Und jeden Morgen folgt wieder der gespannte Blick auf das Smartphone, ob sich nun der rote oder der blaue Balken ein Stückchen weiter in Richtung der magischen Zahl 270 verschoben hat. Das ist ein Wahlkrimi, keine Frage, aber sicher kein Werbeprogramm für die Stärken der Demokratie.

Nichts gegen genaues und fehlerfreies Auswerten von Wahlzetteln, jede Stimme, die ordnungsgemäß abgegeben wurde, muss zählen. Aber ein antiquiertes Abstimmungssystem, das aus den Tagen zu stammen scheint, als die Stimmzettel noch per Pferd durch die Prärie zum nächsten Wahllokal transportiert werden mussten, ist im Jahr 2020 ein Desaster. Eine Demokratie, in der Wahlmänner und Landesparlamente das Votum der Wähler übergehen können und Briefwahlunterlagen in manchen Staaten auch noch einige Tage nach dem eigentlichen Urnengang eintreffen dürfen, ist fehler- und manipulationsanfällig und bedarf dringend einer Modernisierung.

Die schöne, edle Demokratie der USA, die für viele Völker über zwei Jahrhunderte hinweg ein Leitstern war, ist in ihrem Kern morsch und brüchig. Und nicht wenige Amerikaner sind ihrer überdrüssig geworden. Viel zu viele stimmten für einen Mann, der mit jeder seiner Äußerungen diese Demokratie verhöhnt und sie mit fragwürdigsten juristischen Mitteln immer weiter beschädigt.

Müde und ermattet wird daher nicht nur der neue Präsident aus diesen Nach-Wahltagen hervorgehen. Das ganze Land wird mit einem furchtbaren Kater aufwachen, den man andernorts nicht zu Unrecht als Schwäche interpretieren dürfte. In Peking und Moskau wird man das Auszählungsdebakel amüsiert registriert haben. Wohl wissend, dass die derart geschwächten und gespaltenen USA auf Jahre hinaus vor allem mit sich selbst beschäftigt sein werden und keinen Konsens über die zukünftige weltpolitische Rolle des Landes herstellen können. Ernsthaft Konkurrenz um die globale Vorherrschaft müssen China und Russland immer weniger fürchten.


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Man muss das nicht unbedingt bedauern. Die USA sind eben auch das Land, das in den vergangenen Jahrzehnten zahllose völkerrechtswidrige Kriege geführt hat und die Rolle des fairen geopolitischen Vermittlers schon längst nicht mehr überzeugende einnehmen kann.


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Aber die Alternativen sind leider auch alles andere als überzeugend. Die Vereinten Nationen und die Europäische Union sind auf andere Art mindestens ebenso zerstritten und gespalten wie die USA und fallen deswegen als Ordnungsmacht aus. Und die Vorstellung, despotisch regierte Großmächte wie China und Russland könnten in Zukunft das Gesicht der Welt formen, macht angesichts zahlloser Kriege und des Klimawandels auch keinen Mut.

Ach, Amerika, vielleicht ist das, was Du uns gerade zeigst, ja auch gar kein spannender Krimi - sondern ein Horrorfilm.

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