Kommentar: Wir waren zu gutgläubig

22.2.2016, 08:05 Uhr
Kommentar: Wir waren zu gutgläubig

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Was haben wir in den vergangenen Monaten diskutiert und manchmal auch gestritten. Nicht erst seit der Silvesternacht von Köln, sondern schon geraume Zeit vorher. Immer mehr Flüchtlinge kamen in unser Land. Was wir bislang nur aus wohliger Distanz beobachtet haben, fand nun ein Stück weit vor unserer Haustür statt.

Flüchtlingsströme - was verträgt dieses Land, was vertragen andere Länder, was verträgt Europa? Willkommenskultur - wie weit kann diese gehen? Integration - wie und womit kann diese am besten gelingen? Obergrenzen, Ausreisezentren, Türkeihilfe, Grenzzäune, Asylpaket II, Familiennachzug, Verfahrensbeschleunigung, Fluchtursachen bekämpfen und vieles, vieles andere mehr.

Als Journalisten haben wir versucht, die anschwellende Menge an Informationen zu sortieren, wir haben uns um eine Einordnung bemüht und wir haben die schrillen Töne vernommen, die von einer bestimmten Seite immer lauter tönten. "Lügenpresse", das traf ins Herz. Nicht beim ersten Mal, sondern spätestens nach Köln, nachdem wir selbst anfingen unsere Arbeit immer mehr in Frage zu stellen.

Wir Journalisten sind aber auch ganz normale Bürger dieses Landes. Das heißt, wir haben in unserem Freundes- und Bekanntenkreis diskutiert und machmal auch gestritten. Was ist richtig, was ist verkehrt? Wir haben um Antworten gerungen, unterschiedliche Meinungen gehört und versucht diese untereinander abzuwägen. Als Mensch habe ich versucht, mir meinen Respekt vor der Meinung eines anderen Menschen zu bewahren.

Als Journalist habe ich mich selbst überprüft, ob ich Meldungen unterschlage, bei denen Flüchtlinge schlecht wegkommen. Ob ich die Nationalität eines in der Polizeimeldung genannten Täters bewusst nicht nenne. Ob ich bei den Kommentaren unter den Artikeln unserer Plattform, bei kritischen Äußerungen gegenüber Ausländern und Flüchtlingen nicht zu schnell mit Verweis auf die Netiquette eine Veröffentlichung unterbunden habe.

Wie naiv war ich eigentlich?

Ich werfe mir heute vor, dass ich es mit meinem Verhalten Menschen, die in Clausnitz Busse mit Flüchtlingen aufhalten und in Bautzen Flüchtlingsheime anzünden, viel zu leicht gemacht habe. Ich werfe mir vor, dass ich jenen, die dazu Beifall klatschen oder auch nur zu Hause zustimmend nicken, nicht genügend Paroli geboten habe.

Allen, die auch auf nordbayern.de schreiben: "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen..." , entgegne ich jetzt: "Nein, darf man nicht!" Wir haben keinerlei Verpflichtung, den Boden für geistige wie reale Brandstifter zu bereiten, geschweige denn, ihnen eine Plattform zu bieten.

Wir sind keine "Lügenpresse" und ich muss mich nicht einmal damit auseinandersetzen, weil der Vorwurf mindestens so absurd ist, wie die unzähligen Gerüchte, die über Flüchtlinge in die Welt gesetzt werden. Jene Menschen, die uns Zensur und einseitige Berichterstattung vorwerfen, sind mit Argumenten nicht erreichbar, sie sind zu keiner zielgerichteten Diskussion fähig und sie sind eine Gefahr für dieses Land, für diese Demokratie und für alles, was in den vergangenen 70 Jahren in (West-)Deutschland erreicht wurde.

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