Wahlkampf und Pandemie

Macht die Politik eine Corona-Pause?

25.6.2021, 15:00 Uhr
Er warnt unverändert weiter: Gesundheitsminister Jens Spahn.

© Jürgen Heinrich via www.imago-images.de, imago images/Jürgen Heinrich Er warnt unverändert weiter: Gesundheitsminister Jens Spahn.

Man darf sich keinen Illusionen hingeben. Wenn ein Wahlkampf stattfindet, dann befinden sich Politikerinnen und Politiker in einem anderen Modus. Es gibt so vieles, um das sie kämpfen müssen: ihr eigenes Überleben als Abgeordnete, gute Ergebnisse für die Partei, die heißbegehrte Aufmerksamkeit der Wählerschaft.

Das ist nicht unbedingt die Voraussetzung, um Tag und Nacht über eine drohende vierte Corona-Welle beziehungsweise die Ausbreitung der gefürchteten Delta-Variante nachzudenken. Zumal dann nicht, wenn sich die Bürger im Sommerurlaub befinden und nicht unbedingt mit den Feinheiten einer Pandemie belästigt werden wollen.

Armin wird wegen seiner Äußerungen zur Delta-Variante heftig kritisiert.

Armin wird wegen seiner Äußerungen zur Delta-Variante heftig kritisiert. © via www.imago-images.de, imago images/Political-Moments

Schon beim vielbeachteten Dreier-Auftritt Annalena Baerbocks, Armin Laschets und Olaf Scholz´ im Bundestag fiel auf: Das Virus spielte eher eine Nebenrolle. Das lag einerseits am Thema der Debatte – der Europapolitik, aber sicher auch an der momentan sehr entspannten Pandemielage.

Virus passt nicht zur Stimmung

Angesichts einstelliger Inzidenzwerte, einer gerade erst begonnenen Öffnung von Gastronomie und Kultur, einer weit verbreiteten Urlaubsstimmung und des Public Viewings bei der Fußball-Europameisterschaft lässt sich Covid-19 derzeit schlecht „verkaufen“. Wenn schon, dann spricht man über die enormen fiskalischen Folgen, also die Finanzierung der Milliardenkosten. Aber nicht unbedingt darüber, was im Herbst passieren könnte.

Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union, handelte sich mit einer Äußerung zu Corona gerade erst viel Spott ein. „Wenn trotz der Verbreitung der Delta-Variante die Inzidenz nicht steigt, scheint ja die Auswirkung nicht so groß zu sein“, sagte er vor Journalisten in Düsseldorf. Dabei ließ er Erkenntnisse außer Acht, die sich inzwischen herumgesprochen haben sollten – den Sommer, der es dem Virus derzeit schwer macht, die enorme Aggressivität der Delta-Variante, die bei anderer Witterung rasch für einen exponentiellen Anstieg sorgen könnte und einiges anderes.

Karl Lauterbach: Deutschlands bekanntester Corona-Politiker muss um seinen Wahlkreis bangen.

Karl Lauterbach: Deutschlands bekanntester Corona-Politiker muss um seinen Wahlkreis bangen. © dpa/Oliver Berg

Weiß er es nicht besser? Das vermuteten manche Kritiker in den Sozialen Netzwerken. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen, selbst Arzt, bezweifelte die Lernfähigkeit Laschets angesichts von eineinhalb Jahren Pandemie. Im Gegensatz zur Kanzlerin, die „jederzeit CT-Werte und Viruslastkonzentrationen“ erklären könne, habe der Kanzlerkandidat nur wenig zu bieten.

"Begründete Sorge"

Oder will der Ministerpräsident derzeit einfach die Wählerschaft nicht beunruhigen? Damit handelt er dann aber gegen die Warnungen seines eigenen Expertenrates in NRW, der gerade erst erhebliche Befürchtungen wegen der Delta-Variante äußerte. „Das Virus dürfte Teil unserer Lebenswirklichkeit bleiben“, hieß es in einer Stellungnahme. Die Sorge um einen Anstieg im Herbst sei „begründet“.

Baerbock, Laschet, Scholz - Wie positionieren sich das Kandidatentrio im Wahlkampf zu Corona?

Baerbock, Laschet, Scholz - Wie positionieren sich das Kandidatentrio im Wahlkampf zu Corona? © Oliver Ziebe

Natürlich ist im Wahlkampf-Sommer 2021 nicht nur das „Modell Laschet“ zu beobachten. Diejenigen, die seit März vergangenen Jahres regelmäßig warnten, bleiben auch jetzt dabei. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) etwa sagte gestern „Aus einem zu sorglosen Sommer darf auf keinen Fall ein Sorgenherbst werden“. Damit hatte er in erster Linie die Sommerurlauber(innen) vor Augen, aber wohl auch seine Politiker-Kollegen.

Auch Dauer-Mahner Karl Lauterbach – vom Berliner Tagesspiegel gerade erst als „die rote Ampel des Pandemie-Fernsehens“ bezeichnet – wird sich vermutlich weiter zu Wort melden. Gerade erst wies er darauf hin, dass in Israel in den Innenräumen die Maskenpflicht wieder eingeführt werde – trotz hoher Impfquote und günstiger Witterung.

Lauterbach warnt weiter

Lauterbach selbst wird nicht nur zu Corona sprechen können, sondern sich in seinem Wahlkreis Leverkusen in den ganz normalen Wahlkampf begeben müssen. Ihm droht trotz seiner Popularität das Politik-Aus. Die SPD hat ihn nicht mit einem sicheren Listenplatz ausgestattet und im Wahlkreis hat er es mit starker Konkurrenz zu tun. So könnte der Medizinprofessor just zum Beginn einer vierten Welle im Oktober sein Bundestagsbüro räumen müssen.

Die Idee mancher Wahlkämpfer, das Thema Pandemie bis zum 26. September auf kleiner Flamme zu kochen, könnte auch ein großer Fehler sein. Denn Umfragen zeigen, dass in der Bevölkerung immer noch ein sehr großes Interesse daran herrscht und es durchaus auch noch viele Sorgen gibt.


79 Prozent der Befragten antworteten den Meinungsforschern, dass sie nach wie vor eine Maskenpflicht beim Einkaufen für richtig hielten. 67 Prozent gehen davon aus, dass sich Deutschland auf eine vierte Welle einstellen muss. Verleugner und Verdränger scheinen also eher in der Minderzahl zu sein.

Einen Sommer verschlafen

Schon im Jahr 2020, in dem bekanntermaßen kein alle Kräfte bindender Bundestagswahlkampf stattfand, musste sich die Politik vorwerfen lassen, den Sommer glatt verschlafen zu haben. Weder bereitete man die Schulen auf den Wiedereinstieg im Herbst vor noch wurde an einem ausgefeilten Testsystem gearbeitet, das vor dem Beginn der Impfungen extrem wichtig gewesen wäre.



Eines wird allerdings trotz Wahlkampf, Wahl und möglicherweise monatelanger Koalitionsverhandlungen nicht geschehen: dass die Regierung und insbesondere das Gesundheitsministerium auch nur einen Tag ohne politische Führung wäre. Die bisherigen Verantwortlichen machen einfach geschäftsführend weiter – und zwar so lange, bis ein neues Kabinett vereidigt ist und die Ministerriege ihre Ressorts im fliegenden Wechsel übernimmt.

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