Nach Biden-Wahl: Wie geht es weiter in den USA?

29.11.2020, 16:30 Uhr
Zwei Personen besuchen nach der Wahl in des USA das Lincoln Memorial im Herzen von Washington D.C:. Was hätte wohl Abraham Lincoln zum Gezerre um das Präsidentenamt gesagt?

© J. Scott Applewhite, dpa Zwei Personen besuchen nach der Wahl in des USA das Lincoln Memorial im Herzen von Washington D.C:. Was hätte wohl Abraham Lincoln zum Gezerre um das Präsidentenamt gesagt?

Wie läuft so eine Amtsübergabe ab?

Der Übergangsprozess beginnt üblicherweise damit, dass der Wahlverlierer den Gewinner anruft, ihm gratuliert und später in einer Rede seine Niederlage einräumt („concession speech“). Donald Trump bricht mit dieser Tradition, erkennt Joe Bidens Wahlsieg nicht an und behauptet weiter öffentlich, er sei der eigentliche Wahlgewinner und habe nur scheinbar verloren, weil seine politischen Gegner bei der Stimmauszählung geschummelt hätten. Joe Biden hat darüber hinweggesehen und in seiner ersten Rede die nationale Einheit beschworen – das ist Tradition in den USA.


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Was ist das nächste wichtige Datum?

Der 8. Dezember ist der 35. Tag nach der eigentlichen Wahl und markiert die sogenannte "Safe Harbour Deadline". Bis zu diesem Tag müssen eventuelle Unstimmigkeiten im Umfeld der Wahl (Betrugsvorwürfe etc.) restlos geklärt sein. Danach lässt sich das Wahlergebnis nicht mehr anfechten. Falls also alles einen „normalen“ Verlauf nimmt, wäre der US-Kongress am 8. Dezember letztlich verpflichtet, das Ergebnis der Wahl offiziell anzuerkennen.

Wann kommen die Wahlmänner ins Spiel?

Das tun sie traditionell am ersten Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember, dieses Datum fällt heuer auf den 14. Dezember. In allen 50 Bundesstaten kommen die "Elektoren" dann zusammen, um den Präsidenten und dessen Stellvertreter in einer geheimen Abstimmung zu wählen. Dies ist an sich bloß Formsache, weil die Wahlleute prinzipiell dazu verpflichtet sind, dem Resultat ihres Bundesstaats zu folgen.

Kann da noch etwas schiefgehen?

Durchaus. Trump und sein Team haben in mehreren umkämpften Bundesstaaten versucht, eine Nachzählung der Stimmen durchzusetzen oder Briefwahlstimmen, die an die Demokraten gingen, für ungültig erklären zu lassen. Bislang sind die Anwälte des Präsidenten mit allen Klagen samt und sonders gescheitert, zuletzt in Pennsylvania. Das Team Trump wollte erreichen, dass die Stimmen von 6,9 Millionen Briefwählern für ungültig erklärt und die Entscheidung über die Wahlmänner, die den Präsidenten wählen sollen, auf das republikanisch beherrschte Parlament des Bundesstaats übertragen wird.

Das ist das taktische Kalkül hinter all diesen Klagen: Sofern sich das juristische Hickhack bis nach dem 8. Dezember hinzöge, d.h. dass dann noch nicht klar wäre, wem die Wahlmänner zugesprochen werden, entscheiden die jeweiligen Parlamente der Bundesstaaten (oder dessen Gouverneur), an wen die Stimmen des „electoral college“ gehen.

Wer zöge daraus einen Vorteil?

Ganz klar Donald Trump. In kritischen „battleground states“ wie etwa Arizona, Michigan, North Carolina, Wisconsin oder Pennsylvania haben die Republikaner eine teils erdrückende Mehrheit sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus (diese beiden Kammern gibt es nicht nur in Washington, sondern auch in jedem US-Bundesstaat) und würden, sofern bis 8. Dezember nicht alles restlos geklärt ist, sehr wahrscheinlich dem Amtsinhaber die Wahlleute zusprechen. Damit könnte es für Biden am Ende nicht mehr reichen.

Was ist mit den berüchtigten "faithless electors"?

Tatsächlich gibt es in den USA kein Bundesgesetz, dass die "Elektoren" dazu verpflichtet, ihre Stimme jenem Kandidaten zu geben, den das Mandat aus ihrem Bundestaat suggeriert. Dies geschieht jedoch äußerst selten, die meisten von den Parteien vorgeschlagenen Mitglieder des "electoral college" sind treue Parteianhänger. Bislang haben "false votes" noch nie dazu geführt, dass ein Wahlergebnis in den USA kippte. Bei den Wahlen 2016 gab es sieben "faithless electors" - so viele wie seit mehr als 100 Jahren nicht mehr. Damit Trump aus solch einem Verhalten einen Vorteil ziehen könnte, müssten Dutzende eigentlich den Demokraten verbundene Wahlmänner für ihn stimmen - äußerst unwahrscheinlich.

Sind noch andere Szenarien denkbar?

Theoretisch kann es sein, dass sich ein Bundesstaat bis zur „Safe Harbour Deadline“ nicht darauf verständigt hat, wer dort gewonnen hat und damit dessen Wahlmänner zugesprochen bekommt. Konsequent zu Ende gedacht, hieße das, dass ein Bundesstaat womöglich überhaupt keine Wahlleute ins „electoral college“ entsendet. Reich rechnerisch wäre es möglich, dass dann weder Joe Biden noch Donald Trump die nötigen 270 Wahlmännerstimmen zusammenbrächte, um sich am 14. Dezember zum Präsidenten wählen zu lassen.

Aber wer wird dann Präsident?

Die Rechtslage ist für diesen Fall strittig, aber die gängige Meinung ist, dass in diesem Fall das Repräsentantenhaus in Washington entschiede, wem die Wahlmänner zustehen. Und in dieser Kammer haben die Demokraten die Mehrheit. Damit liefe es wohl eher auf Joe Biden hinaus. Doch auch dagegen könnte Trump Klage vor dem Supreme Court einlegen – in dem sechs von neun Richtern den Republikanern gewogen sind. Drei davon hatte Trump während seiner Amtszeit selbst ernannt. Manche meinen, dass dies der Weg ist, mit dem er seine zweite Amtszeit retten will.

Was geschieht in Washington derzeit im Hintergrund?

Eine „Übergangsmannschaft" (Transition Team) ist längst dabei, Joe Bidens Präsidentschaft vorzubereiten. Es beschäftigt sich in Absprache mit ihm und seiner Stellvertreterin Kamala Harris unter anderem damit, wer künftig welches Ministerium leiten soll. Außerdem hatte der Demokrat angekündigt, eine Corona-Task-Force einzurichten, dazu sind die ersten Schritte bereits eingeleitet.

Gibt es noch weitere wichtige Daten zu beachten?

Am 3. Januar 2021 wird der neu gewählte Kongress vereidigt. Drei Tage später, am 6. Januar, kommt er erstmals in der neuen Konstellation zusammen, zählt die Stimmen der Wahlleute und bestimmt einen Gewinner. Der amtierende Vizepräsident muss das Wahlergebnis offiziell zu verkünden. Diese Aufgabe fällt also Mike Pence zu. Laut US-Verfassung gilt der Präsident erst ab diesem Moment als offiziell gewählt. Zwei Wochen darauf, am 20. Januar, legt der neue Chef des Weißen Hauses seinen Amtseid ab, damit beginnt seine vierjährige Präsidentschaft.

Falls Biden letztlich Sieger ist, was geschieht dann mit Trump?

Wie manche US-Medien jetzt schon spekulieren, droht ihm Ärger mit der Justiz, da er mit dem Präsidentenamt auch seine Immunität vor Strafverfolgung verloren hätte. Mehrere Verfahren lagen in den letzten Jahren sozusagen auf Eis, darunter der Vorwurf, Trump habe gemeinnützige Gelder veruntreut. Außerdem sind noch einige Verleumdungsklagen von Frauen anhängig, die dem Republikaner sexuelle Belästigung vorwerfen.

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