Pläne für Atommüll-Endlager: Keiner will es, einer kriegt es

13.9.2020, 05:18 Uhr

In Asse in Niedersachsen gibt es eines von etlichen Zwischenlagern für radioaktiven Abfall. Es gilt als einigermaßen marode. © Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Da ist mal wirklich politische Weitsicht gefragt. Der deutsche Atommüll soll am Ende für eine Million Jahre sicher verwahrt werden. Dabei ist der älteste fossile Nachweis des Homo sapiens, also des tiefer nachdenkenden Menschen, nur rund 300.000 Jahre alt. Ende des Monats wird die Bundesgesellschaft für Endlager (BGE) Gebiete auflisten, in denen hochradioaktive Abfallstoffe aus Atomkraftwerken gelagert werden können. In dieser Liste taucht vermutlich auch das Fichtelgebirge auf.


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Die bayerische Staatsregierung beschränkt ihr Nachdenken in dieser heiklen Angelegenheit vor allem in eine Richtung: Nicht bei uns. Im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern (FW) von 2018 ist das stramm formuliert: "Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist."

Die Idee des Umweltministers

Im Freistaat ging das erste deutsche AKW in Betrieb – das war Anfang der 1960er Jahre in der Nähe von Großwelzheim in Unterfranken –, und bis heute wurde in keinem anderen Bundesland mehr Atomstrom erzeugt, aber der dabei angefallene gefährlich strahlende Müll soll gefälligst woanders entsorgt werden.

Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (FW) hat auch schon eine Idee, wo das sein könnte. "Es wäre sinnvoller gewesen, den Standort Gorleben weiter zu untersuchen. Hier sind bereits 1,6 Milliarden Euro investiert worden." In der niedersächsischen Gemeinde existiert ein Zwischenlager für hochradioaktiven Abfall schon seit 25 Jahren. Mindestens ebenso lange leisten Menschen dort allerdings erbitterten Widerstand gegen das Projekt.

Aus Sicht von Ludwig Hartmann, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag, habe gerade "die AKW-Partei CSU mit ihrer Verantwortung für mehr als jede vierte Tonne hochradioaktiven Atommülls deutschlandweit kein Recht", irgendeinen möglichen Standort rundheraus abzulehnen.

Mangelnde Solidarität

Für Hartmanns Kollegen, den SPD-Fraktionsvorsitzenden Horst Arnold aus Fürth, zeugt die Haltung der Staatsregierung von mangelnder Solidarität mit den anderen Bundesländern: "In dieser Frage kann sich Bayern nicht einfach einen schlanken Fuß machen." Eine Lösung der schwierigen Aufgabe müsse am Ende allerdings im höchsten Maß bürger- und umweltverträglich sein, betont der Politiker.

Was alle eint, ist das Vertrauen in die Wissenschaft. Eine Entscheidung auf "wissenschaftlicher Grundlage statt auf regionalpolitischen Kriterien" verlangt Arnold. Geologen und Physiker seien da kompetent, "und sicher nicht Markus Söder und Thorsten Glauber", ätzt Hartmann.

Bayerns Umweltminister Glauber ist tief von der weisen Voraussicht des Koalitionsvertrages überzeugt, dass das schöne Bayernland von einem deutschen Endlager auf ewig verschont bleibt. Das werde sich im Rahmen der weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen auch so ergeben, teilte er kürzlich mit. Dabei ist die Sache mit der Wissenschaft gar nicht so einfach.

Davon kann Andreas Peterek ein Lied singen. Er ist Chef des Geoparks Bayern-Böhmen im oberpfälzischen Parkstein (Kreis Neustadt an der Waldnaab) mit seinem markanten Basaltkegel. Den hat ein erloschener Vulkan hinterlassen. Der Geologe arbeitet seit Jahren im Arbeitskreis Endlager mit, den der Fichtelgebirgs-Landkreis Wunsiedel eingerichtet hat.

Da ist einiges im Fluss

Um Risiken möglichst auszuschließen, soll das riesiges Atommülldepot für Deutschland nur in einem Gebiet angelegt werden, in dem Vulkane schon vor mindestens einer Million Jahre erloschen sind. Das sei, so der renommierte Experte, Maßgabe gewesen.



In der nördlichen Oberpfalz, an der Grenze zu Oberfranken, hat es mit den feuerspeienden Bergen bedauerlicherweise aber erst vor 300 000 bis 700 000 Jahren ein Ende. Da ist tief unter der Erde noch Bewegung möglich. Nun, so Peterek, gehe es um die Frage, welcher Sicherheitsabstand gelten solle. Da ist noch einiges im Fluss.

Das gilt auch für die Frage, wie sicher eine so brisante Lagerstätte im mächtigen Granit des Fichtelgebirges ist. "Der ist zerklüftet und wasserdurchlässig", erklärt der Geologe. Um Gefahren weitgehend auszuschließen, die von radioaktivem Abfall im Granit ausgehen könnten, sei man auf die Idee gekommen, ihn mit Ton zu ummanteln. Ob eine solche "geotechnische Barriere" hält, ist unter Fachleuten noch nicht abschließend geklärt.

Andreas Peterek geht unter diesen Voraussetzungen davon aus, dass das Fichtelgebirge höchsten noch in der ersten Runde auf der Liste möglicher Atommüll-Standorte auftaucht, danach aber mangels Eignung rausfällt. Mit dieser Hoffnung im Rücken gibt sich der Wunsiedeler Landrat Peter Berek (CSU) höchst gelassen: "Wir beobachten, was passiert."

Atomklo will keiner haben

Seinen Landrats-Kollege Sebastian Gruber (CSU) aus Freyung in Niederbayern, ein Landkreis, der mit seinen Granit-Gebieten ebenfalls immer wieder als Standort für den strahlenden Müll im Gespräch ist, treibt der Plan ebenfalls nicht sonderlich um. Er zeigt sich großmütig: "Wer Atommüll produziert, muss sich auch Gedanken über dessen sichere Lagerung machen."

Fachliche und wissenschaftliche Gründe müssten dabei "oberste Priorität" haben. Zur Sicherheit schiebt er nach: Der Granit in seinem Landkreis werde dann "aus geologischer Sicht für die tiefengeologische Endlagerung schon im Zwischenbericht nicht weiter in Betracht kommen". Das gewaltige Atomklo für Deutschland will eben keiner haben.

"Prinzip weiße Landkarte"

In ihrem mit Spannung erwarteten ersten Bericht wird die Bundesgesellschaft wohl noch ziemlich viele Regionen nennen, die für die Lagerung der ungeliebten Altlast geeignet sein könnten. Die BGE mit ihren fast 2000 Mitarbeitern ist für die geologische Erkundung und die Bewertung der Ergebnisse zuständig. Sie soll so den sichersten Ort aufspüren, streng nach geologischen Kriterien, ohne politische Vorgaben. Man spricht vom "Prinzip der weißen Landkarte".

Fachleute gehen davon aus, dass in dem jetzt angekündigten Bericht noch eine hohe zweistelligen Zahl möglicher Lagerstätten genannt wird. Dann geht das Aussieben weiter. Bis 2031 soll dann die Entscheidung fallen, wo tief unter der Erde nicht nur die im Salzstock von Gorleben zwischengelagerten Castoren verschwinden können, sondern zugleich all der andere Nuklearmüll Deutschlands mit seinen insgesamt 16 bestehenden Zwischenlagern, den AKW-Standorten.

30.000 Kubikmeter strahlender Abfall

Das letzte der Atomkraftwerke im Land wird 2022 abgeschaltet. Ihre radioaktive Hinterlassenschaft ist riesig. Es geht um rund 30.000 Kubikmeter strahlenden Abfall. Niemand geht davon aus, dass ein Landkreis den vor der Haustür haben will, sei die wissenschaftliche Begründung auch noch so wasserdicht. Zivilgesellschaftlicher Zoff gilt als programmiert, wenn der Standort erst einmal feststeht.

Bayerns Nachbarland Tschechien plant ebenfalls ein Atommüll-Endlager. Einer von vier Standorten liegt im Südwesten Tschechiens, auf dem Gebiet der Gemeinde Chanovice, nur 125 Kilometer von Regensburg entfernt.

Entscheidung 2025

Dort, im Böhmerwald, könnte der hoch radioaktiv Abfall aus dem Atomkraftwerken Dukovany und Temelin mehr als 500 Meter unter der Erde im Granitgestein eingebunkert werden. Die Entscheidung soll bereits bis 2025 fallen.

Als weitere Lagerstätten sind Janoch in der Nähe des AKW Temelin in Südböhmen, Horka bei Trebic sowie Hradek bei Jihlava, dem früheren Iglau, in der Diskussion. Die beiden letztgenannten Orte liegen rund 200 Kilometer von Passau entfernt, aber umso näher an Österreich.

Lagerung in Zwischenlagern

Chanovice schneide bei allen Bewertungskriterien einigermaßen gut ab, hieß es bei der Endlagerbehörde Surao mit Sitz in Prag. Es gebe dort eine geeignete Gesteinsformation großen Ausmaßes, zum anderen fließe das Grundwasser hier mit geringer Geschwindigkeit.

Die tschechischen Meiler produzieren jährlich 80 bis 100 Tonnen an abgebrannten Brennelementen. Sie werden noch in Zwischenlagern an den Kernkraftwerken gelagert. Bis zur Wende im Ostblock vor 30 Jahren musste sich Tschechien keine Sorgen um eine Endlagerung machen. Da ging der gesamte Strahlenmüll in die Sowjetunion.