Reisen im Schlafwagen: Nachtzug erlebt Mini-Boom

4.1.2020, 05:55 Uhr
Eine Frau ruht sich in einem Schlafwagen des Nightjets der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) aus, der zwischen Hamburg und München fährt.

© Foto: Harald Eisenberger/ÖBB/dpa Eine Frau ruht sich in einem Schlafwagen des Nightjets der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) aus, der zwischen Hamburg und München fährt.

Draußen vor dem Fenster dämmert es, die Hügel der Toskana ziehen vorbei. Es gibt Frühstück. Einen Becher Kaffee, in einem bunten Pappkarton liegt ein eingeschweißtes Croissant, Marmelade und Streichkäse. Dann passiert der Nachtzug CNL 389, der am Vortag um 21.03 Uhr vom Hauptbahnhof in München abgefahren ist, die imposanten Stadtmauern von Orvieto. Und Rom, das Ziel der Reise, ist nicht mehr weit.

Viele Buchungen, trotzdem Verluste

So war das Anfang 2008. Die Deutsche Bahn hatte wenige Monate zuvor die Kooperation mit der italienischen Staatsbahn beendet, statt teils jahrzehntealter Waggons waren jetzt relativ moderne Fahrzeuge im Einsatz und bei der DB herrschte Zuversicht, mit dem eigenen Angebot verstärkt Reisende auf die Schiene zu locken, die der gemächlichen, zwölfstündigen Fahrt im rollenden Hotelzimmer mehr abgewinnen konnten als dem engen Sitzplatz im Billigflieger.


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Heute zählt die Relation München–Rom zu den erfolgreichsten Nachtzugverbindungen für den Betreiber. Der heißt allerdings nicht mehr DB, sondern Österreichische Bundesbahn (ÖBB). Die Deutsche Bahn AG hatte Ende 2015 bekanntgegeben, alle verbliebenen Linien des klassischen Nachtzugverkehrs zum Fahrplanwechsel im Dezember 2016 "in einem Schritt" einzustellen. Stattdessen wurde nur noch mit Sitzwagen gefahren.

Als Grund wurden jahrelange Verluste genannt. So sei 2015 mit etwa 1,3 Millionen Buchungen ein Umsatz von 90 Millionen Euro gemacht worden, unter dem Strich wurde aber ein Verlust in Höhe von 31 Millionen Euro eingefahren. Zudem wurde das betagte Wagenmaterial als Problem angeführt. Die nötigen Investitionen in die Modernisierung ließen sich nicht amortisieren, hieß es aus der DB-Chefetage.

Angestaubtes Image

Für die ÖBB war das Geschäft hingegen interessant. Das Unternehmen investierte in seinen "Nightjet" und übernahm 40 Prozent der DB-Nachtzuglinien, dazu 42 Schlaf- und 15 Liegewagen, die innen komplett überholt und außen dunkelblau umlackiert wurden. 2018 reisten 1,4 Millionen Gäste mit den Nightjets. 2019 werden es nach Angaben von ÖBB-Chef Andreas Matthä 1,5 Millionen Passagiere gewesen sein.


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Auf einzelnen Linien wie etwa zwischen Wien und Zürich liegen die Zuwachsraten sogar bei 20 Prozent. Dabei bekam der Nachtzug spätestens mit dem Siegeszug von Ryanair und anderen Billigfliegern ein angestaubtes Image und galt vielen als Reisemittel für erwachsen gewordene Interrail-Romantiker, die sich eine Nacht im Hotel sparen wollen und kein Problem damit haben, sich mit fremden Menschen in ein Abteil zu legen.

Neue Züge mit mehr Komfort

Doch seit die Klimadebatte an Fahrt aufgenommen hat, gibt es auf dem Nischenmarkt zumindest einen Miniboom. Die ÖBB hat aktuell 18 Nightjet-Linien, dazu kommen noch acht weitere Verbindungen, die in Kooperation mit Partnern wie der Schweizer SBB betrieben werden.

Das Netz reicht von Hamburg und Berlin im Norden, Düsseldorf und Zürich im Westen sowie Mailand und Rom im Süden. Dazu kommen Anfang 2020 zwei wöchentliche Züge, die Wien und Innsbruck über München mit Brüssel verbinden. Für Ende 2020 ist ein Nachtzug zwischen Amsterdam, München und Wien geplant.

Bei Siemens haben die Österreicher 13 neue Nachtzüge bestellt, die ab 2022 rollen werden. Auch, um die Qualität zu heben. Deshalb gibt es in den neuen Fahrzeugen auch keine Liegewagen mit sechs Schlafmöglichkeiten mehr, sondern nur noch vier Liegen pro Kabine. Die Standard- und Deluxe-Abteile verfügen künftig über eine eigene Toilette und Dusche.

Zusätzlich können Familien ein größeres Familienabteil für eine gemeinsame Fahrt im Nachtzug buchen. Auch Minisuiten für Alleinreisende werden im Angebot sein.

Höhere Kosten als bei normalen Fernzügen

In Schweden baut die Bahn ebenfalls seit zwei Jahren das Nachtzug-Angebot aus, was auf den langen Strecken von Nord nach Süd auf viel Zuspruch stößt. Dazu sollen nach dem Willen der schwedischen Regierung künftig auch über die Grenze hinweg andere europäische Städte angesteuert werden.

In Schottland hat der Betreiber des "Caledonien Sleeper" ebenfalls viele Millionen in neue Nachtzüge für die Strecke zwischen London, Glasgow und Edinburgh investiert. In Zukunft sollen sie die englische Hauptstadt auch mit Aberdeen, Inverness und Fort William verbinden.

Reich wird dabei kein Betreiber. Die Kosten für einen Nachtzug, der eine Mischung aus Hotel- und Bahnbetrieb mit entsprechend höherem Personal- und Logistikaufwand ist, liegen deutlich über normalen Fernzügen. "Wirtschaftlich ist das Nachtzuggeschäft okay, aber man wird damit nicht reich. Es ist und bleibt ein Nischengeschäft", sagte ÖBB-Chef Matthä kürzlich in einem Interview mit der Wirtschaftswoche.

"Nachtzüge sind rollende Werbung"

Doch auch wenn nicht jede Linie für sich genommen profitabel bewirtschaftet werden könne, bringe der Nachtzug "ein enorm positives Image. Nachtzüge sind rollende Werbung. Das wirkt sich auf andere Geschäftsfelder aus. Wir haben die zufriedensten Kunden in der Europäischen Union", sagt Matthä.

Die Deutsche Bahn wollte bisher dennoch nicht wieder mit eigenen Fahrzeugen einsteigen. Selbst bei steigender Nachfrage sei die Nische zu klein, um betriebswirtschaftlich für den Staatskonzern interessant zu sein, hieß es stets. Doch laut Matthä gibt es Gespräche zwischen DB und ÖBB über eine Kooperationspartnerschaft, um etwa beim Ticketvertrieb zusammenzuarbeiten oder auch Nachtzüge gemeinsam zu betreiben.

In einem Strategiepapier forderten die Grünenpolitiker Cem Özdemir, Matthias Gastel und Franziska Brantner aus dem Bundestag und Michael Cramer aus dem EU-Parlament bereits vor einem halben Jahr den Aufbau eines europäischen Nachtzug-Netzes bis zum Jahr 2030. Ein solches Netz könne eine "attraktive Alternative" zum Flugverkehr bieten.

Helfen würde dabei vor allem eine Internetplattform, über die Reisende zentral Nachtzugfahrten in ganz Europa buchen könnten. Die aber gibt es bislang nicht.

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