Söder im Interview: "Corona nutzt jede kleine Chance"

19.12.2020, 10:33 Uhr

Markus Söder stand uns im Interview Rede und Antwort. © Sven Hoppe, dpa

Wie fühlen Sie sich kurz vor Ende dieses Jahres?

Markus Söder: Ich bleibe hochkonzentriert und motiviert. Aber Corona besorgt mich sehr, denn die Zahlen sind aktuell so hoch wie nie. Wir haben seit Monaten zwei Viren, die durchs Land laufen: Corona und das Virus der Verunsicherung, von Hass, Hetze und Fake News, das das gesamte Corona-Management auch untergräbt. Beides zusammen ist eine sehr gefährliche Mischung.

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Wann lassen Sie sich selbst impfen?

Söder: Wenn ich dran bin. Die Impfung ist der Lichtblick, aber auch noch eine große Herausforderung. Denn es steht zwar die ganze Impflogistik, aber es ist aktuell noch zu wenig Impfstoff für alle da. Deshalb macht eine Priorisierung Sinn. Aber auch bei den ersten Zielgruppen, den Senioren, wird es dauern. Das Impfen wird noch eine Geduldsprobe.



Was passiert nach dem 10. Januar? Ende des Lockdowns?

Söder: Das kann ich mir kaum vorstellen. Die aktuellen Zahlen sind weiter viel zu hoch und steigen weiter. Jetzt kommt erst einmal Weihnachten, unser schönstes emotionales Fest im Jahr. Aber es könnte auch zur größten Herausforderung überhaupt werden. Daher mein ganz klarer Appell: Man muss nicht die maximale Zahl an möglichen Kontakten ausschöpfen, sondern sollte sehr sensibel feiern. Die einzig wahre Langzeitstrategie ist die Impfung. Da die Versorgung mit Impfstoff aber offenkundig dauert, müssen wir uns noch für längere Zeit auf Abstand, Hygieneregeln und Masketragen einstellen.

Schlechte Karten für 2021?

Söder: Nein. Der Impfstoff ist ein Stück Hoffnung. Aber aktuell stirbt alle 13 Minuten in Bayern und alle zwei Minuten in Deutschland ein Mensch an Corona. Das ist dramatisch, und das ist auch die Grundempörung, die mich umtreibt – mit welchem Achselzucken manche diese Zahlen betrachten.

Was macht die 93-jährige Tante, die vielleicht ihr letztes Weihnachten erlebt. Soll sie die Einladung der Familie ablehnen?

Söder: Feiern im engsten Familienkreis ist möglich. Allein muss keiner die Feiertage verbringen. Aber alles ausnutzen, was theoretisch erlaubt ist, darüber sollte man genau nachdenken.



Sie gelten als Antreiber. Aber die bayerischen Zahlen sind nicht besser, im Gegenteil... Sind Sie besser im Reden als im Handeln?

Söder: Fakt ist, dass die Zahlen überall in Deutschland sprunghaft steigen. Für Bayern gibt es folgende Gründe: Zum einen war der Sockel der Infektionen seit Frühjahr immer der höchste. Selbst wenn die Neuinfektionen zurückgehen, bleibt die Gesamtzahl leider erstmal hoch. Zweitens: Wir sind Grenzland Nummer eins mit über 1000 Kilometern Grenze. Unsere Nachbarn Tschechien und Österreich hatten teils dramatisch höhere Zahlen. Das überträgt sich bei offenen Grenzen schnell. Das ist auch der Unterschied zu Taiwan, Japan oder Australien: Inseln haben von Natur aus andere Möglichkeiten. Der dritte Grund: Wir haben viele Grenzpendler – die meisten in Deutschland mit 46 000. Sehr viele Hotspots sind in Grenznähe. Gerade Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen pendeln aus Tschechien oder Österreich ein.



Wenn Sie zurückblicken: Was würden Sie heute anders machen? Manche sagen: Der Knick kam am 14. Oktober. Da gab es eine der Runden der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin, sie hatte einen Mediziner geladen, der sagte, es sei nicht fünf vor, sondern schon zwölf. Dennoch gab es kaum oder unzureichende Beschlüsse. Warum?

Söder: Die Kanzlerin, ich und einige andere Ministerpräsidenten waren immer der Auffassung, dass wir konsequenter vorgehen müssen. Aber dafür brauchen Sie Mehrheiten und Akzeptanz. Diese waren Anfang Oktober noch nicht da. Grundsätzlich haben wir mit unserer Einschätzung und unserem Kurs recht behalten. Dabei meinen viele, man könne mit einfachen und bequemen Maßnahmen durchkommen. Corona ist ein heimtückisches Virus und nutzt jede kleine Chance. Allein an dem Scheitern Schwedens in der Corona-Politik zeigt sich, dass es keine bessere Alternative zu einem Lockdown gibt. Leider.

Blick auf Bayern: Dass die Lernplattform Mebis erneut in die Knie gegangen ist, hat Schüler und Lehrkräfte gleichermaßen empört, was lief da schief? Wann werfen Sie Ihren Kultusminister raus?

Söder: Der Digitalunterricht läuft insgesamt besser als man denkt – etwa überall dort, wo andere Plattformen als Mebis verwendet werden. Mebis ärgert mich aber in der Tat. Wir haben jetzt Arbeitsgruppen eingesetzt und brauchen bis Mitte Januar eine Lösung.

Die Gesundheitsämter arbeiten oft per Fax oder mit Zetteln – auch in Bayern, der angeblichen digitalen Speerspitze…

Söder: Die Ämter sind seit Monaten voll ausgelastet. Wir haben sie massiv aufgestockt, das geht aber nicht über Nacht. Wir setzen nun auch verpflichtend die Bundeswehr ein, da sie über sehr gute Kontakt-Tracing-Teams verfügt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Das ganze System funktioniert nur bis zu einer bestimmten Infektions-Höhe. Wird sie wie aktuell überschritten, dann läuft die Nachverfolgung aus dem Ruder.

Was, wenn der harte Lockdown nicht funktioniert?

Söder: Der harte Lockdown funktioniert – es ist nur die Frage, wie lang und konsequent er angewendet wird. Das Problem ist doch: Wir diskutieren bei jeder Maßnahme erst einmal die Ausnahmen. Wir müssten die Maßnahmen konsequent und ohne Ausnahmen gemeinsam tragen. Was für alle gilt, ist gerecht. Und wer sich schützt, schützt andere.



Sie haben auch alle Sportarten radikal runtergefahren. Das könnte zu einer Generation übergewichtiger Kinder führen, die teils nicht schwimmen können… Stört Sie das nicht?

Söder: Man kann nach wie vor joggen oder langlaufen. Wenn wir aber bei über 75 Prozent der Infektionen nicht wissen, wo sie überhaupt entstehen, dann macht es keinen Sinn, jeden Einzelbereich herauszupicken und zu sagen: Da kann doch gar keine Infektion entstehen.

Daher ist es klug, Zusatzrisiken und weitere Kontakte auszuschließen. Volle Skilifte zum Beispiel, das geht nicht. Wer da wirtschaftliche Interessen oder seinen Spaß vor gesundheitliche Interessen setzt, wird erleben, dass es am Ende doppelt schwierig wird.

Die CDU hält daran fest, im Januar einen neuen Vorsitzenden zu wählen. Wie schnell wird dann die K-Frage geklärt – wer wird Kanzlerkandidat?

Söder: Es ist gut, wenn die CDU endlich ihre Führung klärt. Aber wir sind mitten in der Pandemie. Ganz wenige Menschen interessiert aktuell, wer nächster Kanzlerkandidat wird. Die Bundestagswahl ist gefühlt unendlich weit weg. Vor Mitte März braucht es keine endgültige Entscheidung.



Ihnen kann ja eigentlich auch egal sein, wen die CDU zum Vorsitzenden wählt. Das Magazin "Cicero" titelt gerade: "Ein Kraftprotz will ins Kanzleramt". Sie liegen in Umfragen vorne… Spielen Sie auf Zeit?

Söder: Meine tägliche gesamte Kraft verwende ich für die Mega-Aufgabe Corona. Denn Corona ist die Katastrophe unserer Zeit. Daher wäre es unangemessen, die Karrierepläne einzelner zu diskutieren, wo die Menschen andere Sorgen haben. Mein Platz ist eh in Bayern.

Günther Beckstein sagt: Söder will schon Kanzler werden – wenn er eine reelle Chance hat…

Söder: Wir haben uns schon länger nicht mehr unterhalten – der Günther und ich…

Baden-Württemberg lässt die Querdenker-Bewegung vom Verfassungsschutz beobachten. Haben Sie das auch vor?

Söder: Der Verfassungsschutz schaut schon sehr genau hin. Die Querdenker sind eine sektenähnliche Bewegung. Da wird versucht, die Menschen ideologisch anzulocken, zu vereinnahmen und zu isolieren. Dann folgt eine Art Gehirnwäsche mit Falschinformationen abstrusester Art. Wer aber in Frage stellt, dass es Corona gibt, wer glaubt, dass mit dem Impfen eine neue Weltordnung umgesetzt wird – mit dem kann man nicht ernsthaft diskutieren. Die Mehrzahl dieser Leute glaubt auch an antisemitische Verschwörungstheorien.

Wie verbringen Sie Weihnachten?

Söder: Daheim mit der Familie. Ich schaue und höre Online-Gottesdienste an – wie an Ostern.



Und Silvester?

Söder: Ehrlich gesagt: Ich feiere Silvester generell nicht so gerne laut und krachend. Wir werden still feiern und überlegen, was hat das alte Jahr gebracht und was könnte im neuen besser werden. Es wird ein stilles Silvester, eines mit Optimismus und Hoffnung: Denn da sind schon die ersten Menschen geimpft. Wir in Bayern werden durch die Corona-Krise kommen und sie überstehen. Vielleicht sogar besser als viele andere Länder. Aber es bleibt eine große Herausforderung. Deshalb: kein Halligalli-Silvester. Einmal ohne Feuerwerk geht auch und immer mehr Menschen fragen sich ohnehin, ob die Böllerei noch zeitgemäß ist.