Söder rechtfertigt Corona-Regeln: "Mich belastet die hohe Zahl an Toten"

6.12.2020, 17:47 Uhr
Bayerns Ministerpräsident Söder hat bei einer Sonderkabinettsitzung am Sonntag eine weitere Verschärfung der Corona-Maßnahmen angekündigt.

© via www.imago-images.de, imago images/Sammy Minkoff Bayerns Ministerpräsident Söder hat bei einer Sonderkabinettsitzung am Sonntag eine weitere Verschärfung der Corona-Maßnahmen angekündigt.

Markus Söder packt es in einen Scherz, aber eigentlich wirkt er genervt. Neben ihm steht Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler und Wirtschaftsminister, und verbreitet ungehemmten Optimismus. Die Corona-Lage sei beherrschbar, spätestens ab dem elften Januar müssten Gastronomie, Hotellerie und Skibetriebe wieder öffnen dürfen. Das sei "ganz klar" sein "Wunsch und Perspektive".

"Ich bin übrigens Realist und nicht einfach nur Optimist", kontert Söder ungefragt. Aiwangers Naturell sei eben "ein extrem optimistisches". Für ihn selbst gilt das offenkundig nicht. Söder mahnt weiter, er verschärft, er drängt. Am Donnerstag hatte er noch angekündigt, er werde die Entwicklung die kommenden zwei Wochen beobachten und dann reagieren. Jetzt sind aus den zwei Wochen zwei Tage geworden.

Für Söder sind es die nackten Zahlen, die zählen, die Fakten. Der weiche Lockdown habe zwar gewirkt, sagt er, aber "er hat nur eine milde Wirkung". Söder erkennt "bestenfalls eine leichte Seitwärtsbewegung bei den Infektionszahlen." Doch das reiche bei weitem nicht aus. Immer mehr Kliniken kommen an ihre Leistungsgrenzen, etwa in Nürnberg, der Stadt, die zum Corona-Hotspot geworden ist und der nun ab Mittwoch weitere, schärfere Regeln drohen.

Klare Ansage

"Alle vier Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch an Corona", warnt Söder. "In Bayern alle 20 Minuten." Ihn belaste "die Nonchalance, mit der die Todesfälle in Deutschland unter Statistik abgehakt werden. Ich kann mich damit nicht abfinden. Mich belastet das." Söder ist Jurist, er kann abstrahieren. Und deshalb ist seine Ansage an Hubert Aiwanger deutlich, auch wenn er ihm dafür dankt, dass er alle Beschlüsse mitträgt: "Es hängt nicht davon, ab, was wir uns vorstellen, sondern was wirkt. Es ist nicht entscheidend, was wir wollen, sondern was wir tun müssen."

So also blickt Aiwanger darauf, wann er endlich wieder "in die Wirtschaft gehen, skifahren oder im Hotel übernachten kann". Und Söder darauf, wie er eine dritte Welle verhindert, vor der viele Experten bereits warnen. Deshalb legt das Kabinett nun deutlich früher nach bei den Maßnahmen, setzt es auf Ausgangsbeschränkungen, auf mehr Tests in Heimen und Kliniken, auf Schulen mindestens im Hybridbetrieb ab Klasse acht. Der kleine Grenzverkehr fährt runter; der Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen wird verboten; und die Einzelhändler müssen sich darauf einstellen, dass die Behörden stärker kontrollieren, ob sie sich an die Regeln halten (siehe Text unten). Und Silvester wird nun doch ein recht bescheidenes Fest werden.

Auch diesmal wieder zeigt sich, dass Söder die öffentliche Diskussion sehr genau verfolgt. Während der Pandemie hat er seine Wortwahl regelmäßig angepasst. Er spricht nicht mehr vom Verschärfen, sondern vom Vertiefen oder Verbessern. Er zeigt längere Zeitachsen auf, die über Weihnachten und Silvester hinausreichen. Er erklärt, warum er was für richtig hält. Und er bindet den Landtag mit ein.

Es ist das erste Mal, dass er die Abgeordneten nicht nur via Regierungserklärung im nachhinein informiert, sondern sie abstimmen lassen will. "Ich möchte das durch den Landtag absegnen lassen", sagt er. "Die sollen dort Farbe bekennen." Dass das mehr als nur symbolisch sein soll, versichert er natürlich. Auch wenn er den Landtag nicht fragen müsste, sagt er zu, dass, "wenn er nicht zustimmt, das auch nicht in kraft tritt."

Linie hält

Natürlich weiß Söder, dass dies nicht passieren wird. Seine Koalition steht hinter den Vorgaben; alles andere wäre das Ende seiner Amtszeit. Auch die Opposition hat in der Vergangenheit die große Linie mitgetragen, von der AfD abgesehen. Doch sie leugnet die Gefährlichkeit des Virus ohnehin. Die FDP kritisiert Söders Pläne zwar regelmäßig, auch diesmal wieder. Im Grundsatz aber geht sie den Weg dann doch mit.


Söder will neue Ministerpräsidentenkonferenz vor Weihnachten


Dabei steckt Söder in einem Dilemma, ihm gehen die Stellschrauben aus, die er noch anfassen will. Den Einzelhandel schließen wie im Frühjahr etwa lehnt er ab. Und die für Weihnachten verkündeten Lockerungen beim Besuchsrecht tastet er ebenfalls nicht an. Bayern, sagt er, sei "ein christlich geprägtes Familienland". Und er wolle "den Menschen schon ein bisschen Hoffnung geben".

Es ist ein Balanceakt, das weiß der bayerische Ministerpräsident natürlich. Und so sagt er einerseits, er habe den Lockdown "lieber kürzer und klarer als endlos verlängert". Er will das Land "nicht dahindämmern lassen, sondern handeln, zum richtigen Zeitpunkt". Und trotzdem fährt sein Kabinett den Lockdown nur in kleinen Schritten hoch.

Dabei ist die nächste Eskalationsstufe schon absehbar. "Die Wissenschaftler werden uns sehr bald noch härtere Vorschläge machen", sagt Söder, und meint die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester. Dann könnten doch noch die Geschäfte wieder schließen müssen. Außer natürlich, die Zahl der Neuinfektionen sinkt vorher deutlich. Doch darauf hoffen mag Söder nicht.

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