Bayerns Plan für den Schulstart

Steht die Durchseuchung der Kinder bevor? Das sagen Ärzte

4.9.2021, 05:55 Uhr
Wenn Luftfilter vorhanden sind, könnte auf Quarantäne unter Umständen ganz verzichtet werden, erklärt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.

© Ole Spata, dpa Wenn Luftfilter vorhanden sind, könnte auf Quarantäne unter Umständen ganz verzichtet werden, erklärt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.

Steht die Durchseuchung der Kinder und Jugendlichen bevor? Ein Schreckensszenario für Eltern, das auch andere Experten vermeiden möchten.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, warnt: "Auch wenn Kinder seltener schwer erkranken, dürfen wir eine Durchseuchung der Schulen nicht zulassen", sagte er der Augsburger Allgemeinen.

Zwar wolle auch der Lehrerverband möglichst vollständigen Präsenzunterricht, so Meidinger - "aber nicht, indem man Gesundheitsschutzmaßnahmen herunterfährt und vor der Infektionsgefahr an Schulen kapituliert".

Kinderärzte in der Region äußern sich nur vorsichtig: Christoph Fusch, ärztlicher Leiter der Klinik für Neugeborene und Jugendliche am Klinikum in Nürnberg, will keine Entwarnung geben: "Man kann nie vorhersehen, was passiert", sagt er. Doch bisher waren Kinder- und Jugendliche deutlich weniger betroffen als Erwachsene. Im Nürnberger Klinikum und in Neumarkt wurden 2020 nur 17 und 2021 bisher 22 Kinder und Jugendliche, die das Virus hatten, behandelt. "Bei einigen war es ein Zufallsfund, bei anderen war Covid die Ursache für die Aufnahme im Krankenhaus", erklärt der Arzt.

Und im Gegensatz zu den Erwachsenen, die oft wegen einer bereits diagnostizierten Corona-Infektion ins Krankenhaus müssen, wurde das Virus bei Kindern und Jugendlichen erst bei der Aufnahme ins Krankenhaus festgestellt. "Wir haben im Jahr 5300 Neuaufnahmen, alle werden getestet", berichtet Fusch. Auf der Intensivstation musste in den vergangenen zwölf Monaten in Nürnberg und Neumarkt wegen Corona kein Kind behandelt werden.

Zurück zur Normalität

Trotzdem sollten aus Sicht des Arztes Kinder geimpft werden, weil - ohne Impfung - fünf bis sechs Prozent der erkrankten Kinder Langzeitfolgen hätten. Bisher seien die Maßnahmen aus seiner Sicht sinnvoll gewesen. "Da aber immer mehr geimpft wird und die Zahl der Genesenen zunimmt, sieht es nicht so aus, dass die Krankenhäuser überlastet werden." Fusch ist dafür, langsam zur Normalität zurückzukehren und schlägt vor: "Man könnte Maßnahmen, wie die Maskenpflicht im Unterricht langsam rausnehmen, muss dabei aber sorgfältig beobachten, was passiert." Er ergänzt: "Die Erfahrung eines normalen Unterrichts ist wichtig."

Michael Hubmann, Kinderarzt in Zirndorf, ärztlicher Leiter des Fürther Impfzentrums und stellvertretender Vorsitzender des Berufsverbandes für Kinder und Jugendärzte (BVKJ) in Bayern, ist dagegen aufgrund der Problematik der Reiserückkehrer für eine Übergangszeit dafür, die Maskenpflicht beizubehalten, damit die Schulen auch sicher offen gehalten werden können: "Wissenschaftliche Daten betreffen immer die Vergangenheit. Was das Delta-Virus mit sich bringen wird, wissen wir noch nicht", sagt Hubmann.

Er ist regelmäßig in Kontakt mit dem bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) sowie dem Gesundheits- und Sozialministerium. "Wir können schon unsere Meinung einbringen, aber am Ende ist es eine politische Entscheidung. Handelt die Regierung zu strikt, riskiert sie eine Klage, handelt sie zu offen, ist auch eine Klage möglich", sagt Hubmann.

Die Regeln für das neue Schuljahr, unter anderem mit Präsenzunterricht und Maskenpflicht, sieht er als guten Mittelweg. "Der Pool-Test in den Grundschulen ist ein enormer Schritt nach vorne", sagt Hubmann.

Inzidenzschranken fallen weg

Wie die Politik der Infektionsgefahr in Schulen begegnen will, stellten CSU-Ministerpräsident Markus Söder und FW-Kultusminister Michael Piazolo in einer Pressekonferenz klar. Für die Schulen bedeutet das wie in anderen Bundesländern auch: Die Inzidenzschranken für Wechsel- und Distanzunterricht fallen weg, es geht zurück zum Präsenzunterricht.

"Bis auf Weiteres gilt eine inzidenzunabhängige Maskenpflicht - auch nach Einnahme des Sitz- bzw. Arbeitsplatzes", heißt es im Bericht aus der Kabinettssitzung.

Infiziert sich ein Kind, wird es keine 14-tägige Quarantäne mehr für die ganze Klasse geben. Stattdessen gilt eine fünftägige Quarantäne nur für diejenigen, die mit dem oder der Infizierten direkten Kontakt hatten, also zum Beispiel durch direkte Sitznachbarschaft. Wenn Luftfilter vorhanden sind, könnte auf Quarantäne unter Umständen ganz verzichtet werden, so Söder.

Mehr Tests

Die Tests an den Schulen werden nochmals ausgeweitet: An weiterführenden Schulen wird drei Mal pro Woche ein Selbsttest durchgeführt. Bis die Lollitests in der Grundschule zur Verfügung stehen, wird auch dort drei Mal wöchentlich getestet.

Neben Masken, Impfen und Lüften nannte der Minister das Impfen als vierten Baustein. Auf die Frage nach einer Garantie, dass das gesamte kommende Schuljahr in Präsenz stattfinden werde, antwortete der Minister abwägend: Vom derzeitigen Standpunkt aus sehe er dabei keine Einschränkungen, aber man wisse nicht, was uns erwarte, so Piazolo. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass Garantien schwierig zu geben seien. Doch nicht nur das ist eine Lehre aus der Krise, über die der Minister spricht: "Die letzten anderthalb Jahre haben deutlich gemacht, wie wichtig Präsenzunterricht für Kinder und Jugendliche ist", sagte er.

Wuppertal an der Spitze

In einigen anderen Bundesländern ist das Schuljahr 2021/22 schon in vollem Gange. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen läuft die Schule seit dem 18. August wieder - und auch wenn Faktoren wie Reiserückkehrer und die Impfquote ebenso berücksichtigt werden müssen, hat das Folgen für die Inzidenz: Mit 246 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen (Stand 3.9.2021) lag Wuppertal im Bergischen Land an der bundesweiten Spitze. Bei den 5- bis 14-Jährigen lag der Inzidenzwert in der Kalenderwoche 34 bei 758.

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