Überfall auf Polen: Die perfiden "Fake News" der Nazis

1.9.2020, 09:45 Uhr

"Für den Mann bin ich alles zu opfern bereit", schrieb Joseph Goebbels nach der ersten Begegnung mit Adolf Hitler. Sein Biograf Peter Longerich diagnostiziert eine "tiefsitzende psychische Abhängigkeit" des Propagandaministers von seinem Idol. © Archiv

Dass Donald Trump lügt, das lässt sich belegen. Dank kritischer Medien, die sämtliche Aussagen des US-Präsidenten auf ihren Wahrheitsgehalt checken. Qualitätszeitungen wie die New York Times oder die Washington Post haben ihre Recherche-Teams sogar aufgestockt, um Trump auf die Finger schauen zu können – wenn er wieder mal per Tweet Unwahrheiten verbreitet, zum Beispiel.


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Solche Medien, die ihrer Wächter- und Kontrollfunktion nachkommen, gab es im Nationalsozialismus nicht. Hitler hatte sehr schnell auch Zeitungen und Rundfunk an die Kandare seines Regimes gelegt und sich mit Joseph Goebbels einen trickreichen Propagandaminister an die Seite geholt.

Hitlers Lügen

Deshalb erscheinen Trumps Lügen, Prahlereien und Pöbeleien im Vergleich zu den ganz gezielt verbreiteten Falschmeldungen der Nazis schon fast wie Bubenstreiche (was keine Entschuldigung dafür sein kann, dass Präsidenten lügen). Zumal es eben innerhalb des "Großdeutschen Reiches" niemanden gab, der Hitlers Lügen als das bezeichnete, was sie waren: Lügen. Wer das dennoch öffentlich oder auch privat wagte, der musste um sein Leben bangen in der braunen Diktatur.

"Dahin war es nach sechs Jahren immer tiefer krallender Naziherrschaft gekommen", schrieb der Historiker Golo Mann in seiner "Deutschen Geschichte 1919–1945": "Ein Einziger konnte befehlen, was er wollte. Fünfundsiebzig Millionen Menschen folgten nach." Auch auf dem Weg in einen von Hitler angezettelten Krieg, der sich dann rasch zum Zweiten Weltkrieg entwickelte. Und den der "Führer" nicht zuletzt deshalb entfesselte, weil er den Weltkrieg Nummer eins selbst als Gefreiter miterlebt hatte und die vermeintlichen deutschen Fehler in der Neuauflage vermeiden wollte.

Ziel war der Krieg

Wer sich vor Augen hält, wie schnell und gezielt die Nationalsozialisten die erst am Ende marode, lange aber vorbildlich demokratische Weimarer Republik abwickelten und eine allumfassende Diktatur aufbauten, der wird dem Historiker Gerhard Schreiber zustimmen. Er analysiert in seiner "Kurzen Geschichte des Zweiten Weltkriegs": "Hitler, der gemeinsam mit militärischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Repräsentanten deutscher Revanche- und Aggressionspolitik 79 Monate lang einen Krieg vorbereitete, den er dann...rund 68 Monate führte, befand sich im Sommer 1939 am Ziel."

Und dieses Ziel war der Krieg. "Ich fasste den Entschluss bereits im Frühjahr", sagte er am 22. August vor seinem militärischen Führungsstab auf dem Obersalzberg, seiner Alpen-Residenz oberhalb von Berchtesgaden, von der aus er rund ein Drittel seiner zwölf Diktatoren-Jahre regierte. "Ich habe nur Angst, dass mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt."

Enorme Rückendeckung

Derlei "Schweinehunde" gab es etliche. Sie wollten Krieg um jeden Preis verhindern. Allen voran der britische Premier Neville Chamberlain, der allerdings mit seiner Appeasement-Politik, besiegelt 1938 im Münchner Abkommen, Hitler den Weg zur Attacke eher erleichtert hatte. Auch die Franzosen und phasenweise die Italiener, eigentlich Hitlers Verbündete, versuchten im Sommer 1939, den Krieg zu verhindern – was Hitler empörte. Denn er musste seinen "Plan Weiß", den Befehl zum Überfall auf Polen, ein paar Tage verschieben.

Propaganda: Die gelenkte NS-Presse musste den Begriff "Krieg" vermeiden und schrieb, wie hier die "Fränkische Tageszeitung", von einem "Gegenschlag". © Repro: NN-Archiv

Zuvor hatte er enorme Rückendeckung bekommen, quasi eine Einladung zum Angriff: Stalin stimmte einem von den Nazis angebotenen Nichtangriffspakt der beiden Diktatoren zu – als sich das abzeichnete, ließ Hitler auf dem Obersalzberg Champagner servieren. Das geheime Zusatzprotokoll enthielt den Plan, wie Nazi-Deutschland und die Sowjetunion nicht bloß Polen, sondern auch den Rest Europas unter sich aufteilen wollten.

Schon Wochen zuvor hatte Goebbels die Stimmung gegen Polen angeheizt. Übergriffe auf Deutsche dort wurden zugespitzt und beherrschten die Schlagzeilen.

"Großmutter ist tot"

Ein paar Beispiele aus der in Nürnberg erschienenen Fränkischen Tageszeitung: 28. August: "Das unsagbare Martyrium der Deutschen in Polen", 29. August: "Viehische Greuel. Entmenschte polnische Horden wüten". Und am 1. September, dem Tag des Kriegsbeginns, hieß es: "Der Vorschlag des Führers abgelehnt. Warschau will nicht verhandeln, aber polnische Banden greifen an." Das Blatt kommentierte: "Polen will den Krieg."

Dazu diese Meldung – perfekte Fake News: "Etwa um 20 Uhr am Donnerstag wurde der Sender Gleiwitz durch einen polnischen Überfall besetzt. Die Polen drangen mit Gewalt in den Senderaum ein."

Was tatsächlich geschah: Die SS bekam die für die Attacke vereinbarte Parole "Großmutter ist tot". Darauf stürmten SS-Männer in polnischen Uniformen den Sender. Als angebliche Beweise für den "Überfall" wurden dann noch einige zuvor getötete und in polnische Uniformen gesteckte Häftlinge des KZ Sachsenhausen im Sender deponiert – die "Inszenierung einer Lüge", so der Historiker Antony Beevor.

Krieg nie in der Überschrift

In der Wochenendausgabe vom 2./3.September meldete das NS-Blatt: "Die ersten Erfolge des Gegenstoßes. Die Wehrmacht übernahm den aktiven Schutz Großdeutschlands." So nannten die Nazis ihre Attacke auf Polen – und kaschierten dabei die gezielte Vernichtung der Eliten im Nachbarland. Die sogenannte "Intelligenzaktion" begann ebenfalls am 1. September, etwa 60.000 Polen wurden ermordet, weitere 50.000 landeten im KZ.

Doch das Regime säuselte: Hitler selbst vermied das Wort "Krieg", als er am 1. September die berühmte Lüge aussprach: "Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen." Dabei hatte die zum Panzerkreuzer aufgerüstete "Schleswig-Holstein" schon eine Stunde zuvor das Feuer auf die polnische Westerplatte bei Danzig eröffnet. Zuvor begannen Bomber mit ihrer Attacke auf das Städtchen Wielun – der Auftakt des Krieges.

Goebbels aber verbot Überschriften, in denen "das Wort Krieg enthalten ist. Nach der Rede des Führers schlagen wir nur zurück", so lautete die Anweisung an die gleichgeschalteten Redaktionen im Reich.

"Reichsparteitag der Ehre"

Damit reagierten die Nazis auf die alles andere als kriegsbegeisterte Stimmung, auch hier in der Region: "Es herrscht nicht die überschwängliche Begeisterung der Augusttage von 1914. Das kann nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass die gegenwärtige Generation noch zum größten Teil den opferreichen Weltkrieg erlebte", hieß es im Monatsbericht des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken.

Und in Nürnberg wurde der Reichsparteitag abgeblasen, für den die Vorbereitungen auf Hochtouren gelaufen waren. Am 2. September hätte es starten und bis 11. September dauern sollen, dieses ritualisierte Massen-Treffen der Nationalsozialisten. Die Spektakel auf dem Reichsparteitagsgelände hatten jedes Jahr einen Zusatz im Titel. "Reichsparteitag der Ehre" etwa 1936. Das Treffen 1939 wurde abgesagt, ohne Angabe von Gründen. "Reichsparteitag des Friedens" hätte es heißen sollen.