US-Wahl: Und wieder lagen die Umfragen falsch

4.11.2020, 07:54 Uhr
Hoffen auf einen Sieg des Amtsinhabers: Trump-Fans in Austin, Texas.

© SERGIO FLORES, AFP Hoffen auf einen Sieg des Amtsinhabers: Trump-Fans in Austin, Texas.

Gegen 22 Uhr Ortszeit kristallisiert sich heraus, dass Florida wohl an Donald Trump gehen wird. Dort sind die Stimmen von 29 der insgesamt 538 Wahlmänner und -frauen zu vergeben, allein von der Einwohnerzahl her ist der Bundesstaat im Südostzipfel der USA das Schwergewicht unter den Swing States. Hätte Biden den Kampf um Florida für sich entschieden, wäre es ein Meilenschritt auf dem Weg ins Weiße Haus gewesen.

Würde Trump im „Sunshine State“ als Erster durchs Ziel gehen, auch das war vorher schon klar, wäre für den Herausforderer in der Gesamtrechnung noch nichts verloren. Doch sein Sieg, wie ihn die meisten Meinungsforscher prophezeit hatten, würde am seidenen Faden hängen. Nach Auszählung von 94 Prozent der Stimmen, nach Ortszeit Stand Mitternacht, liegt Biden in Florida um drei Prozentpunkte hinter Trump.

Schlechter als Clinton

Zurückzuführen ist es darauf, dass er im Ballungsraum Miami schlechter abschneidet als Clinton, die dort vor vier Jahren auf 63 Prozent der Stimmen gekommen war. Offenbar hat er bei Latinos, die in der Metropole die Bevölkerungsmehrheit bilden, nicht wie erhofft punkten können. Offenbar hat Trump mit seiner amerikanischen Spielart der Rote-Socken-Kampagne Erfolg gehabt.

Seit Monaten warnt er davor, dass unter einem Präsidenten Biden das Abgleiten in sozialistische Verhältnisse beginne, in eine Misswirtschaft, wie man sie aus Kuba oder Venezuela kenne. Der 77 Jahre alte Veteran, hatte er den Wählern eingeredet, sei in Wahrheit nur eine Marionette an den Fäden des linken Flügels seiner Partei, der nichts anderes als den Sozialismus anstrebe. Bei Emigranten aus Kuba, Nicaragua und Venezuela, die unter linksgerichteten Regierungen schlechte Erfahrungen gemacht haben, haben die Kassandrarufe, so absurd sie in den Ohren neutraler Beobachter klingen, offenbar Gehör gefunden.

Dennoch, die Nacht ist nicht einfach eine Wiederholung dessen, was sich am 8. November vor vier Jahren abspielte. Damals war die Euphorie in den Reihen der Demokraten, die Siegeszuversicht angesichts der klaren Favoritenrolle Hillary Clintons, noch im Laufe des Abends der Ernüchterung, ja, blankem Entsetzen gewichen. Diesmal gibt es Lichtblicke, die lange die Hoffnung nähren, dass es vielleicht doch Joe Biden sein könnte, der ab dem 20. Januar hinterm Schreibtisch im Oval Office sitzt.

In Arizona, neben Nevada der am härtesten umkämpfte Swing State im Westen des Landes, sieht es zunächst nach einem Biden-Sieg aus. Offen bleibt, ob sich der Trend auch im Endergebnis widerspiegelt: In Arizona werden, anders als in vielen anderen Staaten, zuerst die Stimmen jener Wähler ausgezählt, die entweder per Brief abgestimmt oder vorzeitig ein Wahllokal aufgesucht haben.

Bekannt ist, dass Anhänger der Demokraten, aus Angst, sich im Gedränge des Wahltags mit dem Coronavirus zu infizieren, ihre Stimme eher per Brief abgaben als Sympathisanten der Republikaner, die in der Pandemie weniger Vorsicht walten lassen. Die Folge sind vorübergehende Verzerrungen, die keine Schlüsse auf das Endergebnis zulassen. In Pennsylvania beispielsweise wird das Gros der Briefwahlstimmen erst am Tag nach der Wahl ausgezählt. Kein Wunder, dass Trump dort in der Nacht zum Mittwoch mit klarem Vorsprung vor Biden liegt – was sich noch ändern kann.

In Texas, wo die „mail-in ballots“ wiederum anfangs stärker ins Gewicht fallen, sieht es zunächst sogar nach einer positiven Überraschung für den Herausforderer aus. Das letzte Mal, dass dort ein demokratischer Präsidentschaftsbewerber gewann, war im Jahr 1976 gewesen. Diesmal flimmert bei den amerikanischen Nachrichtensendern bis spät in den Abend die Zeile „too close to call“ über die Bildschirme, sobald es um Texas geht. Erst gegen Mitternacht, nachdem vier Fünftel der Stimmen ausgezählt sind, geht Trump in Führung. Alles andere hätte in dem „Lone Star State“, seit vier Dekaden eine Hochburg der Roten, der Republikaner, einen Paukenschlag dröhnen lassen.

In North Carolina, wo Trump 2016 die Nase vorn hatte, steht es lange auf Messers Schneide. Nach Auszählung von 95 Prozent der Stimmen führt der Präsident dort mit 1,4 Punkten vor seinem Widersacher. Das Zwischenergebnis ist zu knapp, als dass die Sender einen Sieger ausrufen würden: „too close to call“.

Der Rostgürtel entscheidet

Dennoch, letztendlich gilt es, ein nüchternes Fazit zu ziehen: Im Sun Belt, im Sonnengürtel im Süden des Landes, ist es Biden nicht gelungen, die Erwartungen zu erfüllen, mit denen er ins Rennen gegangen war. In Staaten wie Florida und North Carolina und selbst in Georgia hatte sich sein Wahlkampfteam Chancen ausgerechnet. Nach aktuellem Stand, der sich hier und da noch ändern kann, scheint zu viel Euphorie im Spiel gewesen zu sein.

Wie es im Moment aussieht, hängt alles davon ab, wem die Wähler im Rust Belt, dem Rostgürtel der alten Industrie, den Zuschlag geben. Alles hängt an der Antwort auf die Frage, ob Biden jene drei Staaten, in denen die Blauen, die Demokraten, über Jahrzehnte den Ton angaben, bevor Trump große Teile der frustrierten weißen Arbeiterschaft auf seine Seite zog, ins blaue Lager zurückholen kann. Michigan, Pennsylvania und Wisconsin: Wer dort das Rennen macht, hat aller Voraussicht nach die Wahl gewonnen.

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