Neue Lernkultur

Wie Schule Spaß macht: Unterricht im Freien

Victoria Porcu

15.4.2022, 15:10 Uhr
Mit den Händen etwas herstellen, unterschiedliches Material kennenlernen, stolz sein auf das Ergebnis: Unterricht im Freien ist ein Gewinn auf vielen Ebenen.   

© Silke Baumgärtel, NNZ Mit den Händen etwas herstellen, unterschiedliches Material kennenlernen, stolz sein auf das Ergebnis: Unterricht im Freien ist ein Gewinn auf vielen Ebenen.  

Ein Tag auf dem Abenteuerspielplatz mit ihrer 4. Klasse war ein Schlüsselerlebnis für Silke Baumgärtel. Während die Schüler im Klassenzimmer oft müde und antriebslos auf ihren Stühlen saßen, erkannte die Lehrerin ihre Kinder draußen kaum wieder: "Es war, als wären sie nach Monaten des Homeschoolings und der sozialen Isolation wieder zum Leben erwacht."

Das war letztes Jahr vor den Sommerferien. Mittlerweile hat Baumgärtel, die an der Nürnberger Scharrergrundschule unterrichtet, in ihrer neuen 4. Klasse einen Draußentag etabliert. Alle zwei Wochen findet nun dienstags der Unterricht auf dem Abenteuerspielplatz Goldbachwiese statt. Auf dem Gelände mit viel Grün, Zugang zum Goldbach und Kletterhügel können die Kinder ihrem natürlichen Bewegungs- und Entdeckungsdrang nachgehen.

Der Lernstoff kommt dabei keineswegs zu kurz, im Gegenteil: Gelernt wird automatisch ganz nebenbei. "Draußenschule bedeutet nicht, dass man seine Arbeitsblätter draußen ausfüllt", erklärt Oliver Kunkel. Er ist Lehrer an einem Schweinfurter Gymnasium und praktiziert dort seit Jahren das ursprünglich aus Norwegen stammende Konzept. "Es geht um ein ganzheitliches Lernen, bei dem alle Sinne, Bewegungen und die Umgebung mit einbezogen werden. Die Schüler sollen eigene aktive Erfahrungen machen, anstatt das Wissen nur aus Büchern zu übernehmen."

So werden abstrakte Zahlen und Mengen fassbar - und Mathe macht Spaß.

So werden abstrakte Zahlen und Mengen fassbar - und Mathe macht Spaß. © Silke Baumgärtel, NNZ

Dabei bedarf es Kreativität und einer guten Vorbereitung, um den lehrplanbezogenen Unterrichtsstoff" nach draußen zu übersetzen", wie es Silke Baumgärtel formuliert. Seit 30 Jahren arbeitet sie als Lehrerin, und die neue Herausforderung macht ihr großen Spaß. Die Gestaltung des Draußentags ist dabei ein Prozess: "Ich bin immer wieder am Optimieren meines Vorgehens."

So sieht der Unterrichtstag draußen aus

Der grobe Ablauf sieht so aus: Von der Schule läuft sie mit den Schülern und einer Studentin als weitere Begleitperson zehn Minuten zu Fuß zum Spielplatz. Dort angekommen, wird an der Feuerstelle ein Lied gesungen. Anschließend folgen zwei Unterrichtseinheiten von je eineinhalb Stunden mit einer Pause und viel Bewegung.

Bevor es pünktlich zurück zum Schulgelände geht, reflektiert die Gruppe über den Tag. Dabei ist auch der gemeinsame Fußweg bereits Teil des Konzepts. "Oft suchen die Kinder das Gespräch, und dadurch habe ich das Gefühl, viel näher an ihnen dran zu sein", sagt die Lehrerin. Der Draußentag wirkt sich auch positiv auf das Klassenklima und den Zusammenhalt aus.

Oliver Kunkel betrachtet die Draußenschule auch aus wissenschaftlicher Perspektive. Die neuesten Erkenntnisse sowie viele praktische Beispiele hat er in seinem Buch "Neugier entfesseln" zusammengefasst. "Die allerwichtigste Erfahrung, die wissenschaftlich belegt wurde, ist, dass die Motivation von draußen lernenden Kindern nicht sinkt", sagt Kunkel. Motivation führt dazu, dass das Gehirn intensiver lernt und bei der nächsten Anstrengung wieder lernen möchte.

Dabei hat Kunkel den direkten Vergleich gemacht. Dieselbe Lerneinheit in Mathe wurde in einer Klasse im Klassenzimmer und in einer Draußenklasse durchgenommen. Das Ergebnis: Die Kinder im Wald hatten weniger Angst, Fragen zu stellen, haben zugegeben, wenn sie etwas falsch hatten und wollten tatsächlich die Rechnung lösen. Die Gruppe im Klassenzimmer musste immer wieder zur Arbeit motiviert werden, versuchte Fehler zu vertuschen und wollte die Aufgabe möglichst schnell erledigt haben. Kunkel: "Gerade Fächer, die Druck machen, sollten nach draußen verlagert werden."

Sein Wissen gibt er etwa im Rahmen von Fortbildungen über den Bayerischen Elternverband weiter. Auch Vera Krause, Lehrerin an der Nürnberger Bismarckschule und Fachberaterin für Umwelterziehung an Grund- und Mittelschulen in Nürnberg, will Mut für Unterricht im Freien machen und setzt auf einen niedrigschwelligen Ansatz: "Draußen bedeutet erstmal, raus aus dem Klassenzimmer zu kommen."

So können der Pausenhof oder der Schulgarten ein Anfang sein. An der Bismarckschule gibt es etwa eine hauseigene Imkerei sowie einen Schulwald in Erlenstegen für die Draußenklassen. "Das Wichtigste ist, dass man sich traut! Es muss nicht gleich alles perfekt sein, vieles an Material und Ideen gibt es bereits." (Auf der Seite des Bayerischen Elternverbands finden Sie Infos und Ansprechpartner.)

Wie auch Kunkel fungiert Krause als Anlaufstelle für Lehrkräfte, die Interesse haben. Am Ende zeigt sich: Draußenschule heißt nicht nur mehr Bewegung, dahinter steckt eine ganz neue Lern- und Unterrichtskultur. Silke Baumgärtels Begeisterung für das Konzept ist auf jeden Fall ansteckend: Mittlerweile verlegt eine weitere Kollegin der Scharrergrundschule ihren Unterricht regelmäßig auf den Aktivspielplatz Goldbachwiese.

Für Lehrkräfte gibt es am Dienstag, 24. Mai, über das Staatliche Schulamt der Stadt Nürnberg die Veranstaltung "Raus mit uns – draußen lernen und draußen unterrichten". Anmeldungen sind auf der Seite https://fibs.alp.dillingen.de/ möglich.

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