Manipulativ und destruktiv

Psychischer Missbrauch: Das steckt hinter dem Begriff "Gaslighting"

Elias Thiel

E-Mail zur Autorenseite

27.2.2024, 14:20 Uhr
Gaslighting funktioniert nur, wenn das Opfer dem Täter vertraut.

© Anemone123 / Pixabay Gaslighting funktioniert nur, wenn das Opfer dem Täter vertraut.

In diesem Artikel:

"War das wirklich so oder bilde ich mir das nur ein?" Solche Fragen sind für Opfer von Gaslighting typisch. Gaslighting bedeutet, dass eine Person die Selbstwahrnehmung eines anderen Menschen manipuliert - durch Lügen, Verdrehungen und Unterstellungen. Das kann das Opfer erheblich verunsichern und psychisch belasten.

Im Laufe der Zeit kann diese Form des Missbrauchs sogar psychische Krankheiten auslösen, darunter Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen oder wahnhafte Zustände.

Die wissenschaftliche Bezeichnung für Gaslighting lautet "invalidierende Kommunikation". Das Wort "invalidieren" bedeutet entwerten. "Wer einen anderen Menschen invalidiert, vermittelt ihm, dass seine Gefühle, Gedanken und Wahrnehmungen unwichtig oder falsch sind", definiert das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales.

In der Psychologie wird es als "eine Form von psychischer Gewalt beziehungsweise Missbrauch" bezeichnet. Opfer werden gleichzeitig manipuliert und zutiefst verunsichert. Sie vertrauen dem Täter mehr als sich selbst. In der Folge stellt das Opfer seine eigene Wahrnehmung der Realität mehr und mehr in Frage und verliert an Selbstvertrauen.

Die Bezeichnung "Gaslighting" hat seinen Ursprung in dem Theaterstück "Gas Light" von Patrick Hamilton aus dem Jahr 1938. Es spielt im nebligen London des Jahres 1880 in der Wohnung von Jack Manningham und dessen Frau Bella. Der Ehemann manipuliert Bella und leugnet, die Dinge zu sehen, die sie sieht - unter anderem eine flackernde Gaslaterne. Bella beginnt allmählich, an ihrem Verstand zu zweifeln und ihr droht die Einweisung in eine Anstalt. Am Ende gelingt es aber, die Manipulation zu aufzudecken. Täter nennt man entsprechend "Gaslighter", die Opfer "Gaslightee".

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wie erkennt man, dass es sich um Gaslighting handelt? Diese Anzeichen sprechen dafür:

  • Ständige Schuldgefühle: Man entschuldigt sich für alles, ohne den genauen Grund zu kennen. Daher sind Angst und Scham Dauer-Begleiter bei Betroffenen. Sobald man sich erklären möchte, rastet das Gegenüber aus. Dies bedeutet: Egal, worum es geht, das Opfer ist immer schuld. Der Täter untermauert dies mit Behauptungen, Unterstellungen und angeblichen Beweisen für die "Schuld", bis das Opfer tatsächlich selbst daran glaubt.
  • Zuneigung: Der Täter zeigt sich immer wieder liebevoll und vermeintlich fürsorglich. Von einem Moment auf den anderen wird man von Liebe und Zuneigung überschüttet, im nächsten Augenblick wird die Zuneigung wieder entzogen. Danach wird betont, dass kein anderer Mensch das Verhalten des Opfers jemals aushalten würde und dass es froh sein kann, dass es vom "Gaslighter" geliebt wird – ein Psychospiel.
  • Negative Gedanken über sich selbst: Man hinterfragt alles, was man tut oder denkt. Zudem fühlt man sich oft verwirrt und nicht liebenswert. Das Opfer redet sich selbst ein, nicht gut genug zu sein.
  • Abwertung: Der Gaslighter kritisiert, beleidigt und erniedrigt das Opfer immer wieder, um es zu verletzen und Unsicherheit zu verbreiten.
  • Zweifel: Der Täter verbreitet immer wieder neue Lügen und Intrigen, sodass das Opfer weiter verunsichert wird. Dies kann so weit gehen, dass Betroffene wirklich an den eigenen Erinnerungen zweifeln und einen Realitätsverlust vermuten.
  • Gefühle werden heruntergespielt: Da man immer wieder darauf hingewiesen wird, dass das Verhalten übertrieben ist, spielt man seine eigenen Gefühle mit der Zeit herunter. Jedes Mal denkt man sich: "Du reagierst schon wieder über. Das redest Du Dir ein."
  • Isolation: Zudem kommt es zu einer fortschreitenden Isolation. Man sieht die Freunde und Familie immer seltener, da der Täter das Opfer absichtlich isoliert. Dies tut der Täter, um den Betroffenen noch abhängiger zu machen und damit das Gaslighting nicht ans Licht kommt.
  • Dominanz: Der Gaslighter versucht, Kontrolle und Macht über das Opfer auszuüben, indem er bedroht, einschüchtert oder Handlungen überwacht.
  • Projektion: Gleichzeitig gibt der Täter dem Opfer nicht nur die Schuld für Dinge, die er selbst tut, sondern projiziert auch seine eigenen Schwächen, Unzulänglichkeiten und Fehler auf das Opfer.
  • Ausreden für das Verhalten des Täters: Betroffene suchen die Schuld lieber bei sich selbst als bei dem Täter, da es sich oftmals um geliebte Partner oder Familienmitglieder handelt.
  • Manipulation: Gaslighting und Manipulation stehen ebenfalls in einem engen Zusammenhang. Der Gaslighter versucht, das Opfer zu beeinflussen, indem er die Wahrnehmung, das Urteilsvermögen oder das Gedächtnis in Frage stellt. Die Manipulation umfasst beispielsweise Verhaltensweisen wie Kontrolle, Täuschung, Drohungen, Lügen oder Verleumdung.

Es gibt einige Techniken, die Gaslighter anwenden. Sie behaupten beispielsweise, ihr Opfer hätte etwas getan oder gesagt, woran es sich selbst nicht erinnern kann. "Du flirtest ständig mit dem Nachbarn!" könnte ein Vorwurf lauten. Die Täter behaupten ebenfalls häufig, selbst etwas Bestimmtes gesagt oder getan zu haben, obwohl das nicht stimmt: "Natürlich war ich gestern die ganze Nacht zu Hause!" Sie bestreiten, dass ein Ereignis stattgefunden hat, verstecken wichtige Dinge oder legen sie an einen anderen Platz, damit das Opfer an seinen Erinnerungen zweifelt.

Oder sie werfen dem Opfer unangemessenes Verhalten oder Aussehen vor. Teilweise zeigen sie auch vermeintliche Fürsorge: "Wenn du dich dick fühlst, bleib lieber zu Hause, dann lachen dich die anderen nicht aus."

15 typische Gaslighting-Aussagen

Diese Sätze müssen sich Menschen, die von Gaslighting betroffen sind, oftmals anhören:

  1. "Das habe ich nie gesagt."
  2. "Das bildest Du Dir ein."
  3. "Du hörst Dich verrückt an, weißt Du das?"
  4. "Beruhig Dich mal, Du bist immer so dramatisch."
  5. "Niemand sonst würde Dich jemals lieben."
  6. "Doch, ich erinnere mich daran, dass Du dem zugestimmt hast."
  7. "Ich glaube, Du brauchst dringend Hilfe."
  8. "Wie siehst Du eigentlich aus?"
  9. "Du bist total paranoid!"
  10. "Du lügst jedes Mal!"
  11. "Mit Deiner Wahrnehmung stimmt was nicht."
  12. "Ich fürchte, Du leidest unter Realitätsverlust."
  13. "Sei froh, dass ich noch zu Dir halte."
  14. "Du bist überempfindlich!"
  15. "Deine Erinnerung spielt Dir einen Streich."

Nachdem man weiß, wie man Gaslighting erkennen kann, stellt sich die Frage nach den Gaslighting-Folgen für Betroffene. Was kann eine Gaslighting-Manipulation bei den Menschen anrichten?

Gaslighting wird in der Psychologie bereits umfassend diskutiert und bezeichnet eine Form von psychischer Gewalt. Obgleich Betroffene nicht körperlich verletzt oder bedroht werden, können die durchgehenden Zweifel an der eigenen Realität schwerwiegenden Folgen haben. Somit drohen ein niedriges Selbstwertgefühl, Ängste, Depressionen, verringerte Lebensfreude oder sogar Suizidgedanken.

Betroffene trauen schließlich ihren eigenen Wahrnehmungen nicht mehr. Dies kann dazu führen, dass sie alles infrage stellen: ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihre Erinnerungen, ihr Verhalten und ihren Verstand. Dies kann neben Angststörungen und Depressionen auch Panikattacken, psychotische Phasen oder dissoziative Zustände auslösen.

Das Gaslighting lässt sich in drei Phasen differenzieren:

  1. Irritation: In dieser Phase erscheinen die Aussagen und Vorwürfe des Gaslighters so übertrieben oder absurd, dass das Opfer diese nur schwer glauben kann und vor allem irritiert ist.
  2. Rechtfertigung: Das Opfer versucht in diesem Stadium, die Gunst des Manipulators zu gewinnen. Dabei versucht es, sich zu rechtfertigen oder Gegenbeweise vorzubringen.
  3. Verunsicherung: An diesem Punkt ist das Opfer bereits tief verunsichert und gibt sich oft vergeblich Mühe, dem Gaslighter zu gefallen. Betroffene übernehmen die Ansichten des Manipulators und empfindet sich selbst als minderwertig, inkompetent oder unzurechnungsfähig. Gaslighting kann langfristige und schwerwiegende Auswirkungen haben, wie die Entwicklung von Angststörungen oder suizidalen Gedanken.

Es gibt kein konkretes Profil. Männer und Frauen können Gaslighter und auch Opfer werden. Täter haben jedoch oft eine narzisstische Persönlichkeit. Ziele von Gaslighting kann die Erhöhung des eigenen Selbstwerts sein. Auch Bestätigung durch andere und emotionale Abhängigkeit des Gegenübers sind mögliche Antriebe.

Nicht immer ist Gaslighting etwas, dass der andere in vollem Bewusstsein und mit Absicht verfolgt. Manchmal ist dem Gaslighter auch nicht klar, was er damit anrichtet - er begründet sein Verhalten sich selbst und anderen gegenüber mit Sätzen wie "Das ist doch nur ein Scherz" oder "Das ist doch lustig".

Gaslighting in einer Beziehung ist besonders gefährlich, da eine sehr enge, vertrauensbasierte Bindung zwischen den beiden Partnern besteht. Fälle treten beispielsweise in der Familie, in der Ehe oder Partnerschaft, in einer Freundschaft oder in beruflichen Beziehung auf.

Die eindeutige Identifizierung von Gaslighting in einer Beziehung ist sehr schwierig: Oftmals geben sich Opfer selbst die Schuld und finden Ausreden für ihren Partner. Aufgrund des Vertrauensverhältnisses stellt das Opfer die Aussagen nicht in Frage und wendet sich nicht an Dritte. Stattdessen zweifeln die Betroffenen an sich selbst - und merken oft erst nach Jahren, dass sie manipuliert wurden.

Gaslighting stellt in einer Beziehung einen emotionalen Missbrauch dar und kann ernsthafte Konsequenzen für das Opfer haben.

Gaslighter fliegen auf, wenn sich Unbeteiligte auf die Seite des Opfers stellen. Deswegen achten Täter oft darauf, dass es keine Zeugen gibt, die ihre Manipulationen entlarven können. Sollte eine Person befürchten, von Gaslighting betroffen zu sein, sollte sie sich an andere wenden und über ihre Zweifel sprechen. "Vertrauen Sie vor allem sich selbst. Glauben Sie an das, was Sie sehen, woran Sie sich erinnern", rät das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales. Tauchen die vermeintlichen Fehlerinnerungen nur auf, wenn man zu zweit ist, ist das ein Hinweis auf Gaslighting.

Um sich besser an der eigenen Erinnerung orientieren zu können, wird außerdem empfohlen, Tagebuch zu führen. So kann im Zweifel nachgeschlagen werden, ob man damals etwas so erlebt hat, wie der Täter es behauptet.

Weiterhin wird geraten, dem Gaslighter ein klares Stoppsignal zu geben und Abstand zu halten. Durch professionelle Hilfe - beispielsweise durch ein Gespräch mit einem Psychotherapeuten - kann zudem Sicherheit gewonnen werden.

Gegebenenfalls kann auch fachliche, rechtliche Unterstützung sinnvoll sein, wenn die Sicherheit des Opfers gefährdet ist oder Fragen des Sorgerechts für Kinder geklärt werden müssen.

Weitere interessante Themen auf nordbayern.de:

Verwandte Themen