Als wäre seit Corona nichts gewesen

Dickere Schiffe, irre Aufbauten, mehr Luxus: Dreht die Kreuzfahrtbranche jetzt durch?

17.10.2023, 08:00 Uhr
Ocean Cay ist eine Privatinsel von MSC in der Karibik. Andere Reedereien haben auch Inseln.

© picture alliance/MSC Kreuzfahrten/dpa Ocean Cay ist eine Privatinsel von MSC in der Karibik. Andere Reedereien haben auch Inseln.

Rund 25 neue Kreuzfahrtschiffe mit insgesamt über 20.000 Betten gingen und gehen 2023 in Dienst, darunter auch wieder sechs Mega-Schiffe. 2024 werden es nur noch halb so viele sein. Denn der Dämpfer aus der Pandemie kommt mit Zeitverzögerung.

Die Branche muss erst einen Schuldenberg im hohen zweistelligen Milliardenbereich abbauen. Auch der Personalmangel macht ihr zu schaffen. Entsprechende Sparmaßnahmen merkt man auch als Passagier: Auch Getränke und Servicegebühren werden erheblich teurer, die Kabine wird oft nur noch ein- statt früher zweimal täglich gereinigt.

Im Februar 2024 steht ein neuer Superlativ an: Dann geht die Icon of the Seas auf Jungfernfahrt. Mit 365 Metern Länge und 7.600 Passagieren wird sie das größte Kreuzfahrtschiff der Welt und eher Vergnügungspark als Schiff sein. Später legt Royal Caribbean mit der Utopia of the Seas für mehr als 5.500 Passagiere nach. Ende 2023 kommt mit der Carnival Jubilee das dritte 5.200-Passagiere-Schiff von Carnival, mit Achterbahn rund um den Schornstein. MSC startet 2025 mit der MSC World America für knapp 6.800 Passagiere.

Warum werden die Schiffe immer größer? Die Kosten pro Passagier sind geringer, das Schiff wettbewerbsfähiger. Viele Neubauten setzen außerdem auf LNG als Treibstoff, Flüssiggas braucht mehr Platz - auf großen Schiffen leichter umzusetzen. Die technische Weiterentwicklung beim Schiffbau schafft Spielraum für noch spektakulärere, Platz raubende Features: Achterbahnen oder Kart-Rennstrecken, Infinity-Pools, Parkanlagen.

Einige weitere Schiffe gehören in die Kategorie "groß", die im Premium-Markt. Sie bieten die Annehmlichkeiten und Vielfalt großer Schiffe, sind aber klein genug, um Luxus zu bieten und kleinere Häfen anlaufen zu können - darunter von TUI Cruises, NCL, Virgin, Celebrity, Princess, Disney und Cunard. Service, Individualität und Freiraum, besondere Destinationen und Spitzengastronomie sind gefragt, die regionale Küche des jeweiligen Fahrtgebiets, kulinarische Landausflüge. Gut ein Dutzend Luxusschiffe gingen und gehen 2023 neu in Dienst.

Hotels mit eigenen Schiffen

Der innovativste Neuzugang ist die Silver Nova, baugleich mit der 2024 folgenden Silver Ray. Eine neuartige, asymmetrische Architektur öffnet das Schiff optisch zum Meer und verlegt dafür sogar den sonst mittigen Pool an die Seite - eine statische Meisterleistung. Auch Hotelgruppen wie Four Seasons, Ritz-Carlton, Accor oder Aman betreiben bald exklusive Kreuzfahrt-Yachten ohne Berührungspunkte zum herkömmlichen Kreuzfahrtmarkt.

Die größte Veränderung aber findet in der Kreuzfahrt eher im Verborgenen statt. Mehr als die Hälfte der neuen Kreuzfahrtschiffe nutzen LNG als Treibstoff und können Landstrom nutzen, wenige kombinieren ihren Antrieb bereits mit Akkus, tanken Bio-Kraftstoffe oder erproben Brennstoffzellen. Von heute auf morgen klimaneutral werden die knapp 400 Kreuzfahrtschiffe weltweit damit freilich nicht - es wird etwas Zeit.

Dass es beim Umwelt- und Klimaschutz in der Kreuzfahrt jetzt erstaunlich schnell voran geht, liegt an strengerer Gesetzgebung und staatlicher Forschungsförderung. Die EU verpflichtet alle Schiffe, ab 2030 Landstrom zu nutzen. Von 2025 an gelten stufenweise strengere Grenzwerte für Treibhausgas-Emissionen.

Synthetisches Gas oder Biogas könnten langfristig LNG ersetzen, synthetische oder Bio-Fuels können Schweröl und Marinediesel in herkömmlichen Dieselmotoren ersetzen, auch Methanol. Bezahlbares und in großen Mengen klimaneutral erzeugtes Flüssiggas und grünes Methanol sind als Energieträger auch Voraussetzung für den Einsatz von Brennstoffzellen auf Schiffen. Das deutsche Verkehrsministerium steckt 15,6 Millionen Euro Fördergelder in ein Brennstoffzellen-Projekt des deutschen Herstellers Freudenberg e-Power Systems, Partner der Meyer Werft.

Beliebter als je zuvor sind die Karibik-Privatinseln der Reedereien wie etwa Ocean Cay von MSC und das zu einer Art Karibik-Vergnügungspark ausgebaute Coco Cay von Royal Caribbean. Fast jede große Reederei hat mittlerweile mindestens eine solche Insel, auf der die Passagiere exklusiv einen Tag unbeschwert Sonne, Strand, Palmen und Margaritas genießen.

Disney will ab Sommer 2024 den neuen Privatstrand Lighthouse Point auf Eleuthera anlaufen. Langfristig soll das Privatinsel-Konzept auch außerhalb der Karibik funktionieren. Royal Caribbean beispielsweise plant eine Südsee-Privatinsel in Vanuatu. Immer häufiger bauen Reedereien auch ihre eigenen Häfen mit Shopping-Dorf und kleinem Strand-Ressort. Solche exklusiven Privat-Strände oder -Inseln sind so beliebt, dass viele nur dafür eine Kreuzfahrt buchen. Land und Leute kennenzulernen spielt da erst recht keine Rolle mehr - und das ist mal wirklich sehr schade.

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