Im Gewusel strampelnd Gutes tun

Mit dem Rad durch Marrakesch? So fühlt sich Marokkos Chaos richtig gut an

Oliver Haas

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18.7.2023, 08:00 Uhr
Fahrräder in Marrakesch - noch immer ein seltener Anblick.

© Oliver Haas Fahrräder in Marrakesch - noch immer ein seltener Anblick.

Autos flitzen in den Kreisel und werden vom pulsierenden Verkehr aufgesaugt. Busse und Transporter werden von Mopeds flankiert, die sich überall hindurchschlängeln. Der Weg vom Flughafen der marokkanischen Großstadt Marrakesch zum Hotel ist ein kleines Verkehrsabenteuer.

Leicht chaotisch dürfte es auch jenen Leuten vorkommen, die vor Reiseantritt versuchen, Marokko in irgendeiner Form einzuordnen. Ja, der nordafrikanische Staat ist eine Monarchie. Ein arabisches Land mit dem Islam als Staatsreligion. Und dennoch ist in Marrakesch nichts so, wie es Besucherinnen und Besucher aus westlichen Ländern von einem arabischen Königreich vielleicht erwarten würden.

Marrakesch ist, wenn der Ruf des Muezzins bei Sonnenuntergang vom Turm der berühmten Koutoubia-Moschee über das geschäftige Treiben auf dem Djemaa el Fna – dem Platz der Gaukler – hallt. Marrakesch ist aber auch, wenn in einem Club-Restaurant in der Neustadt zum Abendessen Hähnchenbrust mit Wein serviert wird, während auf der Bühne Tänzerinnen künstlerische Einlagen von Bauchtanz bis Modern Dance mit erotisch anmutenden Figuren vorführen.

"Marokko ist sehr tolerant und ein offenes islamisches Land", sagt Reiseführer Abdel beim Spaziergang durch die engen Gassen der Medina, der von einer 19 Kilometer langen Stadtmauer umringten Altstadt (seit 1985 Unesco-Weltkulturerbe). In den Souks, den verwinkelten Gassen, bieten Händler neben moderner, teils gefälschter, Markenkleidung auch traditionell gefertigte Waren an. Das Stimmengewirr vermischt sich mit dem Klopfen kleiner Hämmer auf Zinn und Messing oder dem Quietschen von handbetriebenen Holzdrechslern.

Stadt voller Gerüche

Marrakesch, eine der vier Königsstädte Marokkos, ist ein Ort voller Gerüche. Riecht es in der einen Gasse nach frischem Leder, das handverarbeitet wurde, erfüllt in der anderen der Duft von frischem Minztee und Harissa-Gewürz die Nase. Abgerundet wird der Mix von einem Hauch verkohltem Olivenbaumholz, womit die traditionellen Badehäuser beheizt werden, die sich in den zahlreichen und von außen nicht sichtbaren prächtigen Hinterhöfen befinden.

Der Djemaa el Fna liegt am Rande der Medina und ist dennoch der Mittelpunkt und pulsierendes Zentrum der Altstadt von Marrakesch.

Der Djemaa el Fna liegt am Rande der Medina und ist dennoch der Mittelpunkt und pulsierendes Zentrum der Altstadt von Marrakesch. © Oliver Haas

Aber auch weniger angenehme Gerüche liegen in der Luft. Abgestandenes Motorenöl und Abgase, die von alten Autos oder den knatternden Mopeds in die Straßen geblasen werden. Sie zischen durch die engen Gassen, vorbei an Eselskarren und dabei oft nur mit wenigen Zentimetern Abstand von den Lehmwänden oder Fußgängern.

Die Luftverschmutzung in den Straßen fiel auch der jungen Holländerin Cantal Bakker während eines Urlaubs auf. Sie verliebte sich dennoch in die Stadt und beschloss 2016, mit nur 24 Jahren und lediglich zwei Rädern das Fahrrad-Projekt "Pikala Bikes" zu gründen.

Erlebnis-Radtouren durch enge Gassen

Die Idee ist simpel: Marrakesch soll umweltfreundlicher und gesünder für die Menschen werden. Pikala Bikes wirkt nach außen hin wie ein gewöhnlicher Fahrradverleih für Touristen. Hinter dem Projekt steht aber noch viel mehr, wie der 26-jährige Issam Facil, Team Leader und Projektmanager, berichtet.

Pikala bietet geführte Radtouren durch die Gassen der Altstadt an. Teilnehmer erfahren bei mehreren Stopps auf der Tour vieles über die Stadtgeschichte, Lebensweise und Kultur der Menschen in Marrakesch. Nebst einer Tee-Zeremonie stehen auf der knapp zweistündigen Tour auch Besuche einer traditionellen Bäckerei oder typische Sehenswürdigkeiten auf dem Programm. Die Fahrt ist ein echtes Abenteuer. Man gewöhnt sich jedoch schnell an den Verkehr und erkennt das geordnete Chaos darin.

Neben einer Vielzahl an Tourguides, die überwiegend Studenten, also junge, sprachbegabte Menschen sind, arbeiten auch mehrere Fahrrad-Mechaniker in der Werkstatt - meist Schulabbrecher, denen dadurch eine Perspektive gegeben wird. Sie lernen die auf der Straße gefundenen oder gespendeten Räder wieder herzurichten und zu reparieren, wenn nötig. Abgerundet wird das Angebot von einem Lieferdienst mit Lastenrädern.

Rechte von Mädchen stärken

Cantal Bakker will mit dem Projekt auch die Rechte von Mädchen und jungen Frauen stärken. Schwerpunkt sind die Fahrradkurse speziell für Mädchen, die auch von weiblichen Guides abgehalten werden. Viele Mädchen haben kein Fahrrad zu Hause oder niemand kann oder will ihnen das Radfahren beibringen. Aber nicht nur die Rechte von Mädchen werden gestärkt. Pikala bietet auch Fahrsicherheitstrainings sowie Unterrichtsstunden an Schulen zum Thema Sicherheit im Straßenverkehr an – für alle Kinder.

Aus Initiativen wie dieser wird eine Brücke zwischen dem traditionellen und dem modernen Marrakesch gebaut. Während in der Medina die Zeit stellenweise noch still zu stehen scheint.


Mehr Informationen

Marokkanisches Nationales Büro für Tourismus
www.visitmorocco.com

Anreise

Anreise zum Frankfurt Airport mit dem Auto von Nürnberg aus 227 Kilometer in etwa zweieinhalb Stunden. Direktverbindung vom Hauptbahnhof Nürnberg zum Frankfurter Flughafen - Reisedauer ebenfalls etwa zweieinhalb Stunden. Reine Flugzeit von Frankfurt zum Flughafen Marrakesch-Menara etwa drei Stunden und 45 Minuten.

Beste Reisezeit

Auch in Marokko gibt es wechselnde Jahreszeiten mit Temperaturunterschieden. Wenngleich sich diese nicht so drastisch auswirken wie in Mitteleuropa. Angenehme Temperaturen herrschen vor allem im Frühling und Herbst. Von Reisen zu den Sommermonaten kann in die Städte Marokkos abgeraten werden, da die Temperaturen dann nicht selten die 40-Grad-Marke erreichen.

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