Corona-Spätfolgen: Ein mühsamer Weg zurück ins Leben

5.10.2020, 10:15 Uhr
Corona-Spätfolgen: Ein mühsamer Weg zurück ins Leben

© André Ammer

Den 29-jährigen Florian Lanz und den 54-jährigen Andreas Fendius verbindet auf den ersten Blick nicht viel miteinander. Auf den zweiten Blick registriert man jedoch bei beiden eine kleine Einbuchtung am Hals – ein "Andenken" an den Luftröhrenschnitt und die sogenannte Trachealkanüle, die den beiden Corona-Opfern gelegt werden musste.

Lanz und Fendius hatten nach ihren Infektionen mit einem schweren Krankheitsverlauf zu kämpfen. Deshalb wurden sie ins künstliche Koma versetzt und mussten lange Zeit künstlich beatmet werden. Bei einer Reha in der Rangauklinik in Ansbach arbeiten sich die beiden nun Stück für Stück in den Alltag zurück.

Vier Wochen im Koma gelegen

"Am Anfang konnte ich noch nicht mal stehen. Wenn ich mich auf den Rollator stützen wollte, bin ich sofort wieder ins Bett zurückgefallen", erinnert sich der aus Straubing stammende Fendius, der nach seiner Infektion Ende Juni vier Wochen lang im Koma lag und während seines insgesamt acht Wochen langen Klinikaufenthalts 15 Kilogramm verlor.

14 Kilo waren es bei Florian Lanz, der sich bereits Mitte März mit dem Coronavirus infiziert hatte. "Leider in erster Linie Muskelmasse", erzählt der 29-Jährige. Vor seiner Covid-19- Erkrankung war er als Fußballer in der Kreisliga im Einsatz und drehte regelmäßig Trainingsrunden auf seinem Fahrrad. Obwohl der sportliche junge Mann aus dem oberpfälzischen Waldsassen unter keinen Vorerkrankungen litt, hat er auch ein halbes Jahr später noch schwer an den Folgen zu knabbern. "Ich hatte selbst versucht, wieder fit zu werden, machte aber kaum Fortschritte", erinnert sich Lanz, der deshalb eine Reha beantragte.

Nach fünf Monaten Wartezeit und viel Papierkrieg bekam er die Zusage und arbeitet nun seit zwei Wochen in der Rangauklinik an seiner weiteren Genesung. Die am Stadtrand von Ansbach gelegene Einrichtung des Trägers Diakoneo bietet die Versorgung von Akut- und von Reha-Patienten unter einem Dach und ist angesichts ihres medizinischen Schwerpunkts Pneumologie (Lungenheilkunde) derzeit das einzige Reha-Zentrum in Nordbayern, das speziell für die Rehabilitation von Covid-19-Patienten ausgerichtet ist.

Der Bedarf an Reha-Plätzen wird steigen

Etwa 50 Corona-Opfer, die nach ihrer intensivmedizinischen Behandlung im Krankenhaus noch einen Reha-Aufenthalt benötigten, wurden in der mittelfränkischen Klinik bislang betreut. Und Thomas Fink, der ärztliche Leiter der Rangauklinik, rechnet damit, dass der Bedarf an Reha-Plätzen für diesen Kreis von Patienten mittelfristig steigen wird.

Dass die Spätfolgen der Pandemie erst mit einer gewissen Verzögerung voll auf die Reha-Einrichtungen in Deutschland durchschlagen werden, dieser Ansicht sind auch über 1000 Fachleute, die sich in den vergangenen Monaten in mehreren Online-Symposien ausgetauscht haben. Nicht nur die körperlichen Folgen von schweren Covid-19-Erkrankungen werden den Bedarf steigen lassen, sondern auch die psychischen.

Nach Ansicht von Alina Dahmen, Prokuristin der Dr. Becker Klinikgruppe gebe eine Rehabilitation gerade mental belasteten Menschen die verloren gegangene Sicherheit zurück. "Dort können sie nach Zeiten des Kontrollverlusts ihre Selbstwirksamkeit wieder erfahren", glaubt die Expertin.

Massagen und Nordic Walking

Diese Kontrolle holt sich Andreas Fendius gerade mit einer ganzen Reihe von verschiedenen Anwendungen und Trainingsmaßnahmen langsam wieder zurück – von Massagen und Rotlicht-Behandlungen bis zu Nordic-Walking-Einheiten und Krafttraining an den Fitnessgeräten der Rangauklinik. "Vergangenes Wochenende bin ich mit meiner Familie insgesamt zwei Stunden durch Ansbach gelaufen", erzählt der gebürtige Berliner stolz. Nur selbständig vom Boden aufstehen könne er nicht – "da muss mir zurzeit noch jemand helfen".

Thomas Fink ist dennoch zufrieden mit den Fortschritten der beiden Reha-Patienten, die auch täglich im Speisesaal zusammensitzen. "Das ist ein schönes Erfolgserlebnis für uns, wenn jemand im Krankenwagen zu uns gebracht wird und ein paar Wochen später auf eigenen Beinen unser Haus wieder verlassen kann", erklärt der Fachmann für Lungenerkrankungen.

Sechs Patienten verloren den Kampf

Ungern denkt Fink jedoch an den Höhepunkt des Infektionsgeschehens in Bayern Anfang April zurück, als in der Rangauklinik zahlreiche Corona-Opfer medizinisch behandelt werden mussten. Bei sechs Patienten war der Kampf um deren Leben am Ende vergebens, und an einem Morgen nach den Osterfeiertagen wurden dem Chefarzt der Ansbacher Einrichtung gleich mehrere Totenscheine auf den Schreibtisch gelegt. "So eine Zeit möchte ich in unserem Haus nicht noch mal erleben." Auch einige Mitarbeiter hätten sich damals mit Sars-CoV-2 infiziert.

Derzeit läuft der Betrieb im Reha-Bereich der Rangauklinik aber sogar eher auf Sparflamme, denn um die aktuellen Abstandsregeln zu gewährleisten, wurde zeitweilig ein Aufnahmestopp verhängt. Mitte März habe man noch über 80 Reha-Patienten stationär behandelt, aktuell sei man mit maximal 60 belegt, berichtet Fink. "Die damit verbundenen finanziellen Einbußen tun natürlich weh. Wir haben ja denselben personellen Aufwand wie vor dem Ausbruch der Pandemie."

Eigene Corona-Station steht bereit

Nach wie vor könne man nur schwer abschätzen, welche Corona-Opfer einen schweren Krankheitsverlauf durchmachen müssen und welche nicht, erklärt der erfahrene Pneumologe, weshalb die eigens eingerichtete Corona-Station der Rangauklinik für Akutfälle im Ernstfall sofort wieder hochgefahren werden könnte. Auch hinsichtlich der Langzeitfolgen nach einer überstandenen Infektion sei man laut Fink immer noch in einem Lernprozess.

So ist den Fachleuten noch ein Rätsel, warum das Virus bei einem gesunden jungen Menschen wie Florian Lanz ("Ich hatte zuvor über zehn Jahre lang keine Grippe oder irgendeinen anderen Infekt") derart massive Auswirkungen haben konnte. Inzwischen geht es dem 29-Jährigen aber täglich besser, und nach dem Reha-Aufenthalt möchte er auch noch die durch das Wundliegen während der künstlichen Beatmung entstandene Narbe über seinem Auge – eine Folge der tagelangen Bauchlage – weglasern lassen. "Zurzeit schaue ich ein bisschen aus wie der Franck Ribéry."

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