Analyse des Wirtschaftsministeriums

Bayern-Plan für die Energiewende: 300 Windräder im Wald verstecken

24.6.2021, 06:02 Uhr
Auch wenn sie hier öfter etwas weiter entfernt sind von Anwohnern als anderswo: Windräder sind so hoch, dass auch aus den höchsten Wäldern weit herausragen.

© Tobias Tschapka, NN Auch wenn sie hier öfter etwas weiter entfernt sind von Anwohnern als anderswo: Windräder sind so hoch, dass auch aus den höchsten Wäldern weit herausragen.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat nicht mehr viel Zeit. Im Sommer 2019 kündigte er an, dass in den kommenden zwei bis drei Jahren 100 Windkraftanlagen in den Staatsforsten entstehen sollten. Geschehen ist bisher: nichts. Keine Genehmigungsverfahren, noch nicht mal Standortsicherungsverträge gibt es.

Auch im Staatswald gilt die 10H-Abstandsregel

Das Problem: Auch im Staatsforst gilt die 10H-Regel, wonach Windkraftanlagen mindestens das Zehnfache ihrer Höhe von Wohnbebauung entfernt sein müssen. Die Regelung war unter dem Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) im November 2014 nach heftigen Protesten von Windkraftgegnern eingeführt worden.

Zuvor hatte man den Ausbau der Windenergie in Bayern nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima im März 2011 massiv vorangetrieben. Der damalige Forstminister Helmut Brunner (CSU) hatte im April 2012 in einer Regierungserklärung sogar davon gesprochen, bis zu 1000 neue Windräder in den Staatsforsten zu realisieren.

Heute stehen dort 101 Windkraftanlagen. Bayernweit ist der Ausbau der Windkraft praktisch komplett zum Erliegen gekommen. Im Jahr 2020 sind nur drei Genehmigungsanträge für neue Windräder eingegangen, im Jahr 2021 noch kein einziger. Zwar wird die Staatsregierung nicht müde zu betonen, dass die Kommunen entsprechende Bebauungspläne verabschieden könnten, mit denen 10H im Einzelfall unterschritten werden kann. Die Gemeinden scheuen allerdings den Aufwand und fürchten den Widerstand der Bürger.


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Nun soll ein neuer Vorstoß endlich weitere Windräder im Wald ermöglichen. Laut einer Analyse des Bayerischen Wirtschaftsministeriums soll es in 200 Kommunen Privatwald-Flächen mit Potenzial für Windräder geben, in 100 Gemeinden zudem geeignete Standorte im Staatsforst. Die Analyse hält das Wirtschaftsministerium allerdings unter Verschluss, welche Flächen in Fragen kommen, will man noch nicht öffentlich sagen. "Jetzt geht es in einem nächsten Schritt darum, Gespräche mit den Kommunen zu führen", sagt eine Ministeriumssprecherin.

Aiwanger hält 300 neue Wind-Standorte für realistisch

„Wenn man diese Gebiete betrachtet, halte ich rund 300 neue Standorte mit jeweils mehreren Windkraftanlagen für durchaus realistisch, vorausgesetzt, es gibt den politischen Willen vor Ort und die Bevölkerung erkennt den Nutzen für die Kommune und für eine klimaverträgliche, dezentrale Stromversorgung", betont Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler).

Und da liegt wieder das Problem. Denn auch wenn man noch einmal explizit auf 300 mögliche Standorte hinweist, ändert das nichts an 10H sowie dem Widerstand von Bürgern und Kommunen - auch wenn sich eine Ministeriumssprecherin da optimistisch zeigt: "Meinungen in Kommunen ändern sich."

Bei den Staatsforsten hofft man, dass zumindest die Windkümmerer etwas bringen. Im vergangenen Jahr hat das Wirtschaftsministerium in jedem Regierungsbezirk einen solchen Kümmerer installiert, der den Kommunen helfen soll, Wind-Projekte trotz 10H zu realisieren.

Zehntausende Euro an Pacht-Einnahmen

"Da wird es schon noch sehr viel mehr solcher Kümmerer brauchen. Wenn man durch 10H mit so vielen Menschen Vereinbarungen treffen muss, ist das sehr komplex und erfordert kreative Lösungen", meint Josef Ziegler, Präsident des Bayerischen Waldbesitzerverbandes.

Zwar könne jeder Waldbesitzer für sich entscheiden, an den Flächen-Eigentümern werde der Ausbau der Windkraft aber sicher nicht scheitern, ist Ziegler überzeugt. "Man braucht nicht viel Fläche für ein Windrad. Dafür ist die Wertschöpfung sehr hoch. Das ist für die Eigentümer natürlich sehr interessant", erklärt Ziegler.

Wichtig sei es aber, an den Einnahmen nicht nur die Eigentümer, sondern auch die Betroffenen im Umfeld zu beteiligen. "Dann können wir sehr viel mehr Windräder bauen", glaubt Ziegler. Pro Windrad kann man mit Pachteinnahmen von mehreren Zehntausend Euro im Jahr rechnen. "Hinzu kommt neuerdings eine Beteiligung der Kommunen an der Einspeisevergütung von 0,2 Cent je Kilowattstunde, was sich auch auf etwa 12.000 bis 16.000 Euro je Windrad und Jahr für die Gemeindekasse summiert", betont Wirtschaftsminister Aiwanger.


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Bei den Staatsforsten sieht man Windräder im Wald grundsätzlich positiv. Die Eingriffe in den Wald seien marginal. "Pro Windrad müssen im Schnitt nur etwa 2500 Quadratmeter dauerhaft gerodet werden. Meist braucht es keine zusätzlichen Wege, die bestehenden Forststraßen reichen aus", sagt Rainer Droste, Bereichsleiter Immobilien und Weitere Geschäfte der Staatsforsten. Und auch bei den Staatsforsten freut man sich natürlich über zuverlässige zusätzliche Einnahmen.

Bund Naturschutz fordert Windräder außerhalb der Wälder

"Man kann sich jetzt nicht die hintersten Ecken Bayerns suchen und den Leuten dort ein paar Windräder aufschwatzen. Windräder kann man nicht nur im Wald verstecken, das ist eine zu einseitige Belastung. Es braucht auch ein Konzept, wie außerhalb der Wälder mehr Windräder entstehen können", betont dagegen Ralf Straußberger, Waldreferent des Bund Naturschutz.

Der BN möchte nicht nur Nationalparks, Naturschutz-, Vogelschutz- und FFH-Gebiete für Windkraft ausschließen, sondern auch naturnahe, ältere Wälder. "Der Wald hat einen sehr hohen Wert für uns. Er darf nicht einseitig geopfert werden", meint Straußberger.

"Man sieht jetzt noch einmal deutlich, dass es in Bayern genug Flächen mit Potenzial für Windkraft gibt. Doch die Staatsregierung muss endlich begreifen, dass ein Ausbau der Windkraft mit 10H nicht funktioniert", sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete Martin Stümpfig, Fraktionssprecher für Energie und Klimaschutz. Sehr viel Überzeugungsarbeit sei nötig und dementsprechend viel Personal und Wille, um Projekte trotz aller Widerstände durchzusetzen.

Gewöhnen sich die Bayern an die Windräder?

Josef Ziegler vom Waldbesitzerverband jedenfalls ist überzeugt, dass schon die nächste Generation beim Blick auf die Windräder nicht mehr verstehen wird, warum ihre Eltern und Großeltern da eigentlich auf die Barrikaden gegangen sind. "Der Mensch ist einfach ein Gewohnheitstier. Und er gewöhnt sich noch viel schneller, wenn er Geld dabei verdient", meint Ziegler.

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