Söders Solarpflicht-Plan: Muss jetzt Photovoltaik auf jedes Dach?

6.3.2021, 05:55 Uhr
Auch ohne Solarpflicht wächst die Anzahl der PV-Anlagen in Bayern. Doch eine Verpflichtung könnte pro Jahr zu 500 Megawatt zusätzlicher installierter Leistung führen, wie eine aktuelle Schätzung des Ökoenergie-Instituts Bayern besagt.

© Patrick Pleul/dpa Auch ohne Solarpflicht wächst die Anzahl der PV-Anlagen in Bayern. Doch eine Verpflichtung könnte pro Jahr zu 500 Megawatt zusätzlicher installierter Leistung führen, wie eine aktuelle Schätzung des Ökoenergie-Instituts Bayern besagt.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erzählt sie gerne, die Geschichte von Bayern als Sonnenland. Vielleicht weil er dabei selbst ein bisschen rüberkommt wie der Sonnenkönig in einem Reich, in dem nimmermüde Sonnenstrahlen von Photovoltaikanlagen auf Bayerns Dächern gepflückt werden, so dass der Freistaat fürderhin gedeihe in so barocker wie moderner Pracht.

Im Juli 2020 kündigte Söder die Einführung einer Solarpflicht für gewerbliche Neubauten für das Jahr 2021 an, schon 2022 sollten private Neubauten folgen. Etwas überraschend zwar, aber eben auch sehr verbindlich. Geschehen ist bislang allerdings noch nichts. Und noch mehr (oder vielmehr: weniger) als das: Bislang gibt es noch nicht einmal eine Solarpflicht für staatliche Gebäude in Bayern, nicht einmal der Freistaat selbst also ist bislang übermäßig aktiv in seinem Sonnenland.

Glauber will Solarpflicht für staatliche Dächer

Jüngst hatte Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) bei der Vorstellung des bayerischen Klima-Reports immerhin angekündigt, dass Photovoltaikanlagen auf allen Dächern der rund 8000 staatlichen Gebäude ab 2022 verpflichtend werden sollen. Ob diese Pflicht wirklich kommt und wie sie ausgestaltet ist, steht allerdings in den Sternen.

Schon gar nicht will Glauber einen Zeitpunkt nennen, zu dem die Ausstattung der staatlichen Dächer mit PV-Anlagen abgeschlossen sein soll. Wobei "alle Dächer" wohl ohnehin nicht allzu wörtlich zu nehmen sein wird. Denn PV-Anlagen sollen nur kommen, "wenn sich die Dachflächen dafür eignen", schränkt Glauber auf Anfrage ein.

Rückblende: Bereits 2012 hatte das bayerische Kabinett beschlossen, zu überprüfen, inwieweit die Dächer der staatlichen Gebäude für PV-Anlagen geeignet sind. Bis zum Jahr 2017 wurden dann allerdings nur 21 Prozent dieser Dächer überprüft, lediglich 14 Prozent der untersuchten Dächer wurden als geeignet eingestuft.


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"Aufgrund des technologischen Fortschritts, der neuen technischen Möglichkeiten und des Vorrangs von Klimaschutz ist eine weitaus höhere Eignungsrate möglich und deshalb anzustreben", betont Martin Stümpfig, Sprecher für Energie und Klimaschutz der Grünen-Landtagsfraktion.

Klima-Paket II für Bayern

Welche Dachflächen künftig als "geeignet" gelten und welche Mindestgröße für die PV-Anlagen angesetzt wird, will das Umweltministerium auf Anfrage nicht sagen und teilt stattdessen mit: "Beim Klima-Paket II handelt es sich um einen ersten Vorschlag des Umweltministers für eine weitere Stärkung des Klimaschutzes in Bayern, der einer detaillierten Ausarbeitung und Abstimmung mit weiteren Ressorts bedarf." Immerhin: Die Ausarbeitung des Klima-Pakets II hat bereits begonnen, es soll "zeitnah" dem Ministerrat vorgelegt werden.

Sicher ist aber noch längst nichts, nicht mal auf staatlichen Dächern. "Es fehlt an der Bereitschaft, das richtig anzugehen und überhaupt erst einmal den Gebäudebestand vernünftig zu erfassen", sagt Armin Schmid, bei der Regensburger Windpower GmbH für die Photovoltaik-Projektentwicklung zuständig.

Gerne hätte sein Unternehmen auch staatliche Dächer ausgestattet. Doch die dafür verwendeten Musterverträge machten das schier unmöglich. Sie bestimmen unter anderem, dass Investoren Verschattung in Kauf nehmen und bei Dachreparaturen die Anlage auf eigene Kosten entfernen müssen. Darüber hinaus will der Freistaat genau bestimmen, wo sich Module, Kabel und Wechselrichter befinden.

"Das alles ist völlig unüblich. Wenn ich eine Wohnung miete, lasse ich mir ja auch nicht sagen, wo ich mein Bett und meinen Schrank hinstelle", verdeutlicht Schmid. Und wenn die Wohnung durch Reparaturen des Vermieters unbewohnbar sei, bekomme der Mieter die Miete erstattet. Bei den PV-Anlagen sei das anders.

Investoren wundern sich über Freistaat

"Auf staatlichen Gebäuden sind sie weder einfach zu planen noch zu bauen noch in ihrem Betrieb gesichert", sagt Schmid und wundert sich nicht, dass viele Investoren deshalb lieber die Hände davon lassen. "Das ist alles sehr zäh beim Freistaat", meint Schmid. Bei einem Treffen mit 30 Investoren im Wirtschafsministerium rieben sich die Beteiligten denn auch verwundert die Augen, als ihnen keine konkreten Gebäude für Projekte vorgeschlagen wurden. "Das Ministerium wollte erst einmal das grundsätzliche Interesse abfragen", erzählt Schmid.

Auch bei den gewerblichen Dächern ist man von der tatsächlichen Einführung einer Solarpflicht noch weit entfernt. "Bei neuen Gewerbebauten sollen PV-Anlagen schnellstmöglich obligatorisch werden", meint Umweltminister Glauber reichlich unkonkret. Laut bayerischem Bauministerium arbeitet dieses derzeit gemeinsam mit Wirtschafts- und Umweltministerium an einem Konzept für eine Solarpflicht für Neubauten. In Baden-Württemberg gibt es eine solche Solarpflicht für alle Nicht-Wohngebäude ab dem Jahr 2022.

Corona taugt nicht als Ausrede

"Nachdem eine Vielzahl von Fragen zu klären ist, werden Maßnahmen ergriffen, sobald eine Meinungsbildung der Staatsregierung zu diesen Fragen erfolgt ist", teilt das Bauministerium Ende Februar 2021 mit. Komisch nur, dass die Meinungsbildung beim Ministerpräsidenten selbst bereits im Juli 2020 abgeschlossen war, und das auch noch hinterlegt mit einem klaren Zeitplan – der nun freilich nicht einzuhalten ist. Corona kann diesmal nicht als Ausrede herhalten. Schließlich befanden sich die Welt und auch das Sonnenland Bayern im Juli 2020 bereits mitten in der Pandemie.


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Und was ist mit den privaten Dächern, wo laut Markus Söder auch schon ab 2022 eine Solarpflicht für Neubauten eingeführt werden sollte? "Zeitlich abgestuft muss Photovoltaik auch bei Wohnungsneubauten gestärkt werden, allerdings verbunden mit einer PV-Anreizoffensive mit attraktiven Förderprogrammen für passende Speicher im Keller privater Wohngebäude", meint Umweltminister Thorsten Glauber.

Er betont, wie wichtig eine ausgefeilte Formulierung für einen solchen PV-Zwang ist, um die aktuelle Ausbau-Dynamik nicht zu gefährden. Eine PV-Pflicht dürfe nicht dazu führen, dass nur eine kleine Anlage errichtet wird, um die Pflicht zu erfüllen, während ansonsten mit Fördermitteln eine größer dimensionierte Anlage errichtet worden wäre.

500 Megawatt pro Jahr zusätzlich

Das Ökoenergie-Institut Bayern (ÖIB) am Landesamt für Umwelt hat derweil errechnet, was eine Solarpflicht für Neubauten bringen würde. Für Wohn- und Nichtwohngebäude zusammen wurde dabei ein zusätzlich erschließbares Potenzial von rund 500 Megawatt installierter PV-Leistung im Jahr veranschlagt, wie das Wirtschaftsministerium nun auf Nachfrage mitteilte. Veröffentlicht wurde diese Berechnung bislang noch nicht, obwohl die Daten bereits seit Ende November 2020 vorliegen.

Zuletzt lag der freiwillige Zubau in Bayern bei 566 Megawatt im Jahr 2019 und bei 729 Megawatt im Jahr 2020. Potenzial für ein Aufblühen des Sonnenlandes wäre also da. Dafür müsste der Freistaat allerdings noch reichlich Licht ins Dunkle bringen.

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