"Blutiger" Brief: Reichsbürger drohen Schulen und Behörden

14.1.2021, 16:48 Uhr
Im Oktober 2016 erschießt der ehemaliger Vermögensberater, Kampfkunsttrainer und bekennende "Reichsbürger" Wolfgang Plan während der Razzia in diesem Anwesen in Georgensgmünd einen Polizisten und verletzte zwei weitere.

© Detlef Gsaenger Im Oktober 2016 erschießt der ehemaliger Vermögensberater, Kampfkunsttrainer und bekennende "Reichsbürger" Wolfgang Plan während der Razzia in diesem Anwesen in Georgensgmünd einen Polizisten und verletzte zwei weitere.

Dass sich unter die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen schon seit Monaten Rechtspopulisten und -radikale, Verschwörungsgläubige und Staatsfeinde mischen, ist gut dokumentiert. Unter letzteren befinden sich immer wieder auch sogenannte "Reichsbürger", die die Existenz Deutschlands als Staat bestreiten und glauben, durch einseitige Erklärungen aus der Bundesrepublik und dessen Rechtsordnung "austreten" zu können. Ein Drohbrief dieser vom Verfassungsschutz beobachteten Fantasievereinigung ist nun bei der Treuchtlinger Stadtverwaltung eingegangen.

Das Auffälligste an dem eine knappe halbe DIN-A4-Seite langen Brief sind die "Unterschriften": fünf rote Fingerabdrücke, die augenscheinlich wirken sollen, als seien sie aus Menschenblut. Unterzeichnet haben "Hochachtungsvoll Ihr Kreditor, Ihr Gläubiger und Ihr Souverän" sowie dessen "Gemeinschaft". Die Begriffe aus dem Finanzdeutsch rühren von der Vorstellung der Reichsbürger her, die Bundesrepublik sei kein souveräner Staat, sondern ein Unternehmen mit "Personal" statt Bürgern.


Reichsbürger im Internet: In der Blase des Irrsinns


Im ersten Absatz führt der Brief mit pseudojuristischen Formulierungen die bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und die Corona-Schutzmasken-Verordnung an und verweist auf deren angeblich "non-existente Rechtsgültigkeit". Anschließend fordern die Verfasser von den Entscheidungsträgern der Stadt, "auf Basis Ihres gesunden Menschenverstandes und Ihrer unzweifelhaften Fachkompetenz nach bestem Wissen und Gewissen [zu] handeln" und sich – so skurrilerweise wörtlich – "zu jedem Zeitpunkt wie ein Ehrenmann/Ehrenweib zu halten".

Adressaten sollen "haften"

Die kaum verhohlene Drohung folgt im letzten Absatz, der vage und recht wirr (sowie grammatikalisch falsch) ankündigt: "Bei Zuwiderhandlungen werden Sie in die unbegrenzte private Haftung genommen, die der Verfasser und seine Gemeinschaft durchzusetzen weiß!"

Dem Schreiben beigefügt ist eine Liste mit insgesamt knapp 150 Institutionen wie Kommunen, Landratsämtern, Behörden, Schulen, Kindertagesstätten und Seniorenheimen in ganz Westmittelfranken. Neben der Treuchtlinger Stadtverwaltung befinden sich darunter der städtische Kindergarten, Stadt und Landratsamt Weißenburg, das dortige Jugendamt, das Klinikum Altmühlfranken und das Werner-von-Siemens-Gymnasium sowie Stadtverwaltung, Grundschule, Simon-Marius-Gymnasium und mehrere Kindergärten und Heime in Gunzenhausen.

Ebenso auf der Liste stehen Einrichtungen in 38 weiteren Kommunen. Schwerpunkt sind die Landkreise Roth mit mehr als 60 und Weißenburg-Gunzenhausen mit über 50 Betroffenen. Ob es sich bei allen um weitere Adressaten handelt, ist unklar – die Zusammensetzung deutet aber auf einen Verfasser aus der Region hin. Da bei den meisten Institutionen auch deren Leiter samt Dienstadresse genannt sind, wirkt die Liste wie ein Einschüchterungsversuch – frei nach dem Motto "Wir wissen, wo wir Euch finden".

Laut Treuchtlingens Bürgermeisterin Kristina Becker sind Polizei und Staatsschutz über das Schreiben informiert. Polizeichef Dieter Meyer konnte gestern aber noch keine weiteren Angaben zum Sachverhalt machen. Für Gunzenhausens Bürgermeister Karl-Heinz Fitz, der den Brief ebenfalls erhalten hat, ist dieser "mit der Aufforderung verbunden, sich rechtswidrig zu verhalten". Dies könne strafrechtlich als Bedrohung gewertet werden. Es sei "Aufgabe des Rechtsstaats, das Treiben der Verschwörungstheoretiker zu prüfen und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen". Das Schreiben werde die Stadt an die Staatsanwaltschaft übergeben und Strafantrag stellen.

Erinnerung an Polizistenmord

Ben Schwarz, Bürgermeister von Georgensgmünd im Nachbarlandkreis Roth, wo ein bekennender Reichsbürger vor vier Jahren einen Polizisten erschossen hat, hatte vor einigen Wochen ebenfalls zwei Versionen des Schreibens in der Post – eines schwarzweiß und eines in Farbe, abgestempelt im Briefzentrum 90. "Als persönliche Drohung habe ich die nicht aufgefasst", erklärte er auf Nachfrage, "solche Schreiben kommen immer mal wieder rein."

Von der Sprache und der Unterschrift per Fingerabdruck her sei das Papier "klassischer Reichsbürgerstil", so Schwarz. Alles erinnere sehr an die "Lebend-Erklärung" von Wolfgang Plan, dem 2019 zu lebenslänglicher Haft verurteilten Polizistenmörder. Für den Staatsschutz könnten die Fingerabdrücke und die Verwendung einiger veralteter Adressen bei den Institutionen interessant sein. Ähnliche Briefe sind zuletzt auch bei den Landratsämtern in Weißenburg und Roth eingegangen. Thema sind häufig die Corona-Maßnahmen.

"Je nachdem was drin steht und ob das Schreiben von hier kommt oder überregional verteilt wurde, besprechen sich die Mitarbeiter in solchen Fällen mit der Polizei", erklärt Pressesprecherin Claudia Wagner. Und ihre Rother Kollegin Andrea Raithel ergänzt: "Wenn uns bekannt wird, dass eine Person zur Reichsbürger-Bewegung gehört, überprüfen wir standardmäßig, ob diese eine Waffenbesitzkarte hat und Waffen auf sie registriert sind." Roths Landrat Herbert Eckstein ist allerdings der Meinung: "Ich werde die nicht dadurch wichtig machen, dass ich sie beachte."

Auch der Bayerische Rundfunk berichtete diese Woche über massive, von Maskenverweigerern und "Querdenkern" ausgehende Einschüchterungsversuche an bayerischen Schulen. Spätestens wenn es zu konkreten Bedrohungen komme, sei dies "nicht nur eine Frage der öffentlichen Diskussion, sondern eine Sicherheitsfrage, um die sich der Staat kümmern muss", so die SPD im Landtag.

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