Corona-Lockdown: Zwergenland in Erlangen kämpft ums Überleben

17.3.2021, 15:30 Uhr
Corona-Lockdown: Zwergenland in Erlangen kämpft ums Überleben

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Eine Wutrede wie jüngst der Pretzfelder Brauereibesitzer Mike Schmitt haben sie nicht abgelassen. Doch Luft machen sich Jennifer Rahn und Svenja Lichtscheidel, die beiden Leiterinnen des Erlanger Hebammen- und Familienzentrums Zwergenland, dennoch. "Entsetzen, Wut, Traurigkeit, Unverständnis – leere Versprechungen", schreiben sie auf Facebook. "Wir waren lange Zeit optimistisch, haben immer nach Lösungen gesucht, haben Wege zur Überbrückung gefunden – jetzt nicht mehr." Denn ihre Einrichtung mussten sie am 13. März letzten Jahres schließen. Nur im September durften sie bei stark eingeschränktem Betrieb und ausgetüfteltem Hygienekonzept noch einmal öffnen. Doch das war nur von kurzer Dauer.

Wenn sie sich jetzt zu Wort melden, ist das im Grunde ein Aufschrei der Verzweiflung.

Das Wasser stehe ihnen bis zum Hals, sagen sie gegenüber den Erlanger Nachrichten, nein, eigentlich schon darüber hinaus. "Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll. Unser Schuldenhaufen wächst von Tag zu Tag." Und auf die Frage, wie lang sie noch durchhalten können, sagen sie unisono: "Eigentlich sind wir schon durch".

"Ein Ort, wo man sich zuhause fühlt"

Doch so ganz aufgeben wollen sie dann doch nicht, ein Fünkchen Hoffnung haben sie noch, vielleicht auch, weil das Zwergenland irgendwie einmal die Erfüllung ihres Traums war. Im Juni 2018 sind sie in eine ehemalige Arztpraxis in der Löhestraße gezogen, in knapp 100 Jahre alte Räume. "Es war unsere Traumimmobilie", sagt Jennifer Rahn. Viel Arbeit haben sie hineingesteckt. Es sollte ein Ort werden, "der familiär ist, wo man sich zuhause fühlt, wenn man reinkommt". Die Rückmeldungen all derer, die das Zwergenland besuchen, zeigen: "Das ist uns gelungen".

Es sind Familien, die kommen, Mütter und Väter mit ihren Babys und kleinen Kindern, Schwangere vor der Geburt und hinterher zur Nachbetreuung. Sie nehmen an Kursen teil, haben Termine bei den Hebammen, mit denen das Zwergenland zusammenarbeitet, oder bei der Osteopathin, die hier einen Raum gemietet hat. Von der Familien- und Geburtsbegleitung über Yogakurse bis hin zum Coaching für Familien reicht das Angebot. Ein offener Treff und ein Stillcafé bieten Frauen die Möglichkeit, sich auszutauschen.

Permanent Anfragen

Seit einem Jahr jedoch – abgesehen von der kurzen Unterbrechung im Herbst – kann all dies nicht mehr stattfinden. Zwar haben Jennifer Rahn und Svenja Lichtscheidel permanent Anfragen, doch sie können nichts anbieten. "Der Kurslauf, den wir nächste Woche starten wollten, ist ausgebucht", sagt Svenja Lichtscheidel. Angesichts der steigenden Corona-Zahlen aber ist klar: "Das müssen wir wieder absagen."

Dass letzte Woche kurzzeitig die Corona-Soforthilfen gestoppt wurden, jetzt aber doch weiterlaufen, hat nicht wirklich Auswirkungen auf das Zwergenland. Denn selbst von der Novemberhilfe haben sie bis heute nichts erhalten. "Es ist schon verrückt, dass sich das Soforthilfe nennt, wenn man dann Monate später immer noch nichts bekommt", sagt Jennifer Rahn. Bei jedem Antrag werde aber kommuniziert, dass man von Nachfragen Abstand halten soll.

"Wir stehen alleine da"

"Uns wird gesagt, wie wichtig und wertvoll wir mit dem Zwergenland für Erlangen sind, aber wir fühlen uns komplett im Stich gelassen", sagt Svenja Lichtscheidel. "Wir hatten auch ein Gespräch mit Oberbürgermeister Florian Janik." Er habe gesagt, dass ihm die Hände gebunden sind. "Jetzt stehen wir immer noch am gleichen Punkt, nämlich alleine."

Überhaupt nicht nachvollziehen können die beiden Frauen, warum man beispielsweise die Läden wieder geöffnet habe und Baumärkte für systemrelevant halte, während Familien mit Kindern hinten angestellt werden. "Das zeigt die Wertigkeit in unserer Gesellschaft." Sie führen an, dass sie ein komplett ausgearbeitetes Hygienekonzept haben und Formulare, anhand derer man genau nachvollziehen könnte, wer wann da war – die Rückverfolgung im Corona-Fall also viel genauer möglich wäre als in einem Kaufhaus.

Auszeit vom Alltag

Auch ihre Idee, ihre Räume stundenweise an jeweils eine Familie mit Kindern zu vermieten, durften sie nicht umsetzen. "Wir haben bei der Stadt nachgefragt. Sie haben das sehr ernst genommen, uns aber schließlich gesagt, dass es nicht geht, und das haben sie mit Paragrafen begründet."

Die Anregung kam von Familien. Sie hatten im Zwergenland nachgefragt, ob es nicht eine solche Möglichkeit gäbe. Für sie wäre es die Möglichkeit für einen kurzzeitigen Tapetenwechsel gewesen, eine Auszeit vom Alltag, eine Gelegenheit für die Kinder, laut und ohne Tabus zu spielen, den Kletterparcours im Zwergenland-Spielzimmer zu erkunden.

Noch kämpfen Jennifer Rahn und Svenja Lichtscheidel um ihr Zwergenland. Dass sie anteilig kleine Flächen an die Osteopathin und seit November an einen Second-Hand-Laden vermieten können, sei "ein Riesenglück". Aber bei weitem nicht ausreichend. Jetzt haben sie auf Facebook eine Spendenaktion gestartet.

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