"Das mutiert zur Farce.": Erlanger Mediziner warnt vor Corona-Müdigkeit

25.8.2020, 11:05 Uhr

© Stefan Hippel

Den Anstieg der Corona-Fälle bemerkt wohl keiner so schnell wie der Arzt Falk Stirkat. Seit der so genannten Bremer Hochzeit, also seit Juli, berichtet der Erlanger Notfallmediziner, werde er wieder verstärkt zu Patienten gerufen, die unter Hals- sowie Kopfschmerzen und Fieber leiden, also die klassischen Corona-Anzeichen aufweisen.


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Stirkat führt dann bei den Betroffenen einen Test durch, immer öfter falle der in den vergangenen Wochen positiv aus – doch das ist dann nicht mehr primär Angelegenheit des diensthabenden Bereitschaftsarztes. Er ist der Notfallmediziner, für die Auswertungen sind andere da.

Noch im Mai und Juni habe er während seiner Schicht, die ihn unter anderem nach Erlangen, Baiersdorf, Höchstadt und Herzogenaurach führt, kaum Abstriche gemacht. Das aber hat sich nach seiner subjektiven Einschätzung grundlegend geändert. Momentan hat er in seinem Dienst etwa 20 bis 35 Patienten, darunter haben etwa zwischen 60 und 80 Prozent Symptome für Sars-CoV-2. "Die Zahl der Tests ist richtig massiv in die Höhe gegangen, das ist jetzt viel, viel schlimmer."

Im bundesweiten Trend

Stirkats Beobachtungen entsprechen dem bundesweiten Trend. Am zurückliegenden Samstag meldete das Robert Koch-Institut (RKI) erstmals seit vier Monaten mehr als 2000 Neuinfizierte. Auch das Erlanger Uni-Klinikum rechnet, wie es jüngst aus der Pressestelle auf Anfrage hieß, in den nächsten Wochen mit einem Anstieg der Zahlen.

Den Beginn seiner "zweiten persönlichen Corona-Welle" macht Stirkat an eben jenem Zeitpunkt fest, als es im Landkreis und in der Stadt einen lokalen Ausbruch mit zuletzt 22 Infizierten gab. Die Patienten hatten damals als Herd eine Hochzeit in Bremen angegeben; wo, wie und ob dieses Fest stattgefunden hat, ist indes weiter unklar.

Seit diesem Ereignis sieht Stirkat wieder mehr Patienten mit corona-typischen Symptomen: Vor kurzem war es eine Vierer-Gruppe, die, wie der Arzt sagt, "nur" in Österreich war und sich mit Krankheitssymptomen gemeldet hat. Das Ergebnis: Alle waren mit dem Coronavirus infiziert. Auch Reiserückkehrer aus Spanien und Kroatien hat Stirkat schon behandelt — und getestet.

Allerdings gibt es bei der Kostenübernahme von Tests an Reiserückkehrern so einiges bürokratisches Hickhack. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB), für die Stirkat als Notfallmediziner unter der Hotline 116 117 im Einsatz ist, ist nur im Akutfall zuständig, wenn also jemand Beschwerden hat. "Reiserückkehrer ohne Symptome sind keine Patienten und da ist die Abrechnung schon sehr schwierig", berichtet Stirkat, der gemeinsam mit dem Psychiater Pablo Hagemeyer auch regelmäßig mit dem Podcast "DocPod" zu hören ist.

Wer nun denkt, die Staatlichen Gesundheitsämter seien in die Tests von Reiserückkehrern involviert, der irrt. Die Ämter sind derzeit nicht mit der Testung der Reiserückkehrer beauftragt worden, teilt die Pressestelle des Landratsamtes in Erlangen auf Nachfrage mit.

Diese Tests könnten an den vorhandenen Teststationen oder bei niedergelassenen Ärzten durchgeführt werden. "Testungen des Gesundheitsamtes beschränken sich derzeit auf das Ausbruchgeschehen", heißt es in den Erläuterungen weiter.

Problem: Erkältungs- und Infektionskrankheiten

Ein weitaus größeres Problem als die Reiserückkehrer sieht Stirkat in den für den Herbst üblichen Erkältungs- und Infektionskrankheiten. "Früher ist ein 21-Jähriger mit Fieber niemals auf die Idee gekommen, den Bereitschaftsdienst anzurufen, in die Praxen dürfen die Betroffenen derzeit größtenteils nicht, also rufen sie uns an und wir müssen es ja machen, schließlich liegt in einem solchen Fall ein echter Verdachtsfall vor", berichtet er.

Nicht die Reiserückkehrer ("die sind auch irgendwann alle wieder zurück") werden das Gesundheitssystem an seine Grenzen bringen, sagt Stirkat. Vielmehr dürften eben jene fieberhaften Infekte das ambulante Gesundheitssystem in die Bredouille bringen. "Diese Krankheiten werden uns Probleme machen."

Trotzdem: Jede(r) mit Halskratzen oder anderen grippeähnlichen Beschwerden sollte seinen Hausarzt oder, falls es am Wochenende oder nachts ist, den ärztlichen Bereitschaftsdienst anrufen. Stirkat geht sogar noch darüber hinaus — und empfiehlt jedem, der im Ausland (auch ohne ausgegebene Reisewarnung) oder unter vielen Menschen war, einen Corona-Abstrich vornehmen zu lassen — unabhängig davon, ob er sich krank fühlt oder nicht. "Das finde ich grundsätzlich sinnvoll, auch wenn ein Test nur für Risikogebiete vorgeschrieben ist."

Den Grund für die rasante Zunahme von bestätigten und Verdachtsfällen sieht der Notfallmediziner in der zunehmenden Sorglosigkeit: "Wir haben eine ganze Zeitlang gedacht, das Ding sei vorbei, das ist es aber nicht." Corona sei erst vorbei, wenn es einen Impfstoff und viel mehr Schnelltests gebe. Viele Menschen seien leider zu plötzlich Corona-müde geworden, zu viele träfen sich wieder im größeren Kreis: "Das ist einfach keine Zeit für Familienfeiern", sagt er Gespräch mit diesem Medienhaus.

Corona: "Auflagen mutieren zur Farce"

Und da, wo es Auflagen gibt, werde sich immer weniger daran gehalten: "Das mutiert zur Farce." Etwa bei Freizeitvergnügungen wie auf der Sommerrodelbahn in Pottenstein und im Erlebnispark in Geiselwind oder auch beim Einkaufen in den Erlanger Arcaden. "Niemand interessiert sich mehr für die Hygienekonzepte, und das wird sich wahrscheinlich ziemlich rächen."

Corona: Hausärzte-Chef aus Erlangen warnt vor Leichtsinn

Auch da liegt der Notarzt nah beim RKI. Nach jüngsten Angaben der Bundesoberbehörde für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten hat der Anstieg nicht nur mit der höheren Zahl von Corona-Tests zu tun, sondern auch mit Reiserückkehrern und Familienfeiern.

Strikat selbst hätte die Bestimmungen in den vergangenen Wochen noch viel strenger gehandhabt, sagt er. Sein Argument liegt auf der Hand: "Je konsequenter wir jetzt sind, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir wieder einen Lockdown bekommen — es braucht wieder deutlich mehr Disziplin."

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