"Es ist eine Lust zu lesen!"

Vor 100 Jahren wurde die Stadtbibliothek Erlangen gegründet

26.8.2021, 14:30 Uhr
Das 1921 eröffnete Volkshaus blieb bis 1957 das Heim der städtischen Bücherei. Die das Gebäude umrahmenden Lichtstrahlen stehen für die Hoffnung eines neuen Aufbruchs durch Kultur und Bildung. Ein Gutschein aus dem Jahr 1922.

© Stadtarchiv Erlangen, NN Das 1921 eröffnete Volkshaus blieb bis 1957 das Heim der städtischen Bücherei. Die das Gebäude umrahmenden Lichtstrahlen stehen für die Hoffnung eines neuen Aufbruchs durch Kultur und Bildung. Ein Gutschein aus dem Jahr 1922.

Die damalige „Volksbücherei“ war die erste kommunal geführte Bibliothek in Erlangen. Untergebracht war sie im Volkshaus am Martin-Luther-Platz, wo heute das Stadtmuseum angesiedelt ist. Der erste Bibliothekar Ludwig Göhring war zugleich Stadtarchivar und verwaltete die ca. 9000 Bücher, Zeitungen und Zeitschriften.

Für die Menschen, die in der kleinen Universitäts- und Industriestadt Erlangen lebten, war die neue Bücherei Zeichen eines demokratischen Aufbruchs mit Kultur und Bildung hin zu einer neuen Gesellschaft. Der etwas patriarchalisch wirkende Bibliothekar sah sich als Vertreter eines Berufstandes, dem eine erzieherische Aufgabe oblag.

1933: Tausende Bücher vernichtet

Für Göhring musste der gute Bibliothekar folgendes Idealbild erfüllen: „Kenntnis der Literatur, der Bedürfnisse des Lesers aus dem Volk, Vertrauen zwischen Berater und Beratenem, Hinführung zu wertvoller Lektüre und Wegführung vom schlechten Geschmack“. In den Jahren nach der Machtergreifung 1933 wurden die Bestände der Volksbücherei grundlegend umgebaut. Bücher politisch verfemter und jüdischer Autoren fielen Säuberungen und Razzien zum Opfer, während ideologisch gefärbte Literatur Einzug hielt. Tausende von Bänden wurden vernichtet.

Wie verbringen die Erlanger Schüler die Ferientage? Natürlich in der Jugendbücherei - so zumindest die Erkenntnis einer EN-Reportage 1957

Wie verbringen die Erlanger Schüler die Ferientage? Natürlich in der Jugendbücherei - so zumindest die Erkenntnis einer EN-Reportage 1957 © Rudi Stümpel, Stadtarchiv Erlangen, NN

Immerhin war die Erlanger Bücherei nicht von Bombenschäden oder Einberufungen zur Wehrmacht betroffen. Im „Totalen Krieg“, nach Schließung der Buchhandlungen im August 1944, war sie die einzige Institution zur Literaturversorgung der Bevölkerung. Am 19. November 1945 erfolgte die Neueröffnung der Volksbücherei. Der neue Leiter Johannes Bischoff sah sich vielen Problemen gegenüber. Simple Dinge wie Glühbirnen oder Buchbinderleim gab es nur auf Bezugsschein. Bücher als Ersatz für Unmengen an ausgemusterter NS-Literatur waren, wenn überhaupt, nur als Spende erhältlich. Ab dem 1. April 1954 leitete Diplombibliothekarin „Fräulein“ Elisabeth Jung über 30 Jahre die Bücherei. In ihrer Ära wurde 1958 aus der „Volksbücherei“ die „Stadtbücherei“. Damit verbunden war der Umzug in neue repräsentative Räume, ins Eggloffsteinsche Palais in der Friedrichstraße. Hier war erstmals in allen Abteilungen die Freihandausleihe möglich, d.h. die Nutzer dürften selber die Bücher aus den Regalen nehmen.

Erstmals gab es auch einen Lesesaal für die Besucher. Wichtige Aufgabe in den nächsten Jahrzehnten war die Motivation von Kindern und Jugendlichen fürs Lesen. 1960 fand zu diesem Zweck die erste Jugendbuchwoche statt. Dabei hatte der Kampf gegen sogenannte Schundliteratur, also Comichefte, höchste Priorität. Dafür gab es eine Aktion, bei der Tausende von „Schundheftchen“ gegen gute Jugendliteratur eingetauscht wurden. Aber auch Märchenlesungen und Kasperletheater lockten junge Menschen in die Bücherei. 1962 wurde ein erster Bücherbus angeschafft, der bald an einem Dutzend Haltestellen eine kunterbunte Bücherfracht ablieferte.

Umzug ins Palais

Mit dem Umzug der Stadtbücherei ins Palais Stutterheim, bisher Rathaus, wurde 1971 ein lang gehegter Traum wahr. Endlich genügend Platz für all die Bücherschätze! Möglich wurde der Umzug durch den Bau des neuen Rathauses am Neuen Markt. Bei der Eröffnung wandelte Büchereichefin Jung einen Lieblingssatz von OB Lades „Es ist eine Lust in Erlangen zu leben!“ ab in „Es ist eine Lust in Erlangen zu lesen!“ Ganzer Stolz der Bibliothekchefin war die Phonothek. Sechs Personen konnten über Kopfhörer wertvolle Langspielplatten anhören. In den kommenden Jahrzehnten wandelte sich die Bibliothek vom klassischen Büchertempel zur modernen Multimediathek. Nach und nach wurden Musikkassetten, VHS-Videos, und Compactdiscs in den Bestand aufgenommen.

Gebannte Gesichter 1965 bei einer Märchenstunde im Bücherbus.

Gebannte Gesichter 1965 bei einer Märchenstunde im Bücherbus. © Stümpel 1965, Stadtarchiv Erlangen, NN

Ab 1978 rollte eine weitere „Bücherei auf vier Rädern“ in die neu eingemeindeten Stadtteile. Ein weiterer Meilenstein war 1996 die Einführung der EDV – Ein lang gehegter Traum von Büchereichef Joachim Bahler, den dieser seit seinem Amtsantritt 1985 hegte. Damit waren die bislang genutzten Lochkarten passé. Einziger Wermutstropfen war, dass zur Finanzierung erstmals seit langem wieder Lesegebühren erhoben wurden. Zu Anfang des neuen Jahrtausends waren die Kassen der Stadt Erlangen leer. Und so erschreckte im November 2003 ein Transparent am Palais Stutterheim mit der Aufschrift „Demnächst zu verkaufen?“ die Besucher. Eine Aktion mit der OB Balleis demonstrieren wollte, zu welchen Sparmaßnahmen die Kommune in Zukunft gezwungen sein könnte. Stattdessen wurde mit viel bürgerschaftlichem Engagement eine Renovierung des maroden Adelspalais in Angriff genommen. Dafür zog die Stadtbücherei ab 2007 für drei Jahre ins ehemalige Kaufhaus Heka an der Nordwestecke des Hugenottenplatzes. Im Juni 2010 öffnete das „Schmuckstück am Marktplatz“ (OB Balleis) wieder seine Pforten. Mit der Neueröffnung kam ein neuer Name: aus der Stadtbücherei wurde die Stadtbibliothek. Auch in die digitalen Welten expandierte die Bibliothek: 2012 gründeten 16 fränkische Bibliotheken die „Franken-Onleihe“ mit der die Medien nun per Download entliehen werden konnten. In den folgenden Jahren nahmen die Themen Inklusion und Integration einen immer höheren Stellenwert ein. Spezielle Angebote für Senioren, behinderte Menschen und Migranten wurden verstärkt angeboten. Dabei fanden im alten Adelspalais am Marktplatz aber auch weiterhin eine Fülle von Lesungen und Veranstaltungen (von Führungen und Konzerten bis hin zu Escape Games) statt.

Man denke nur an die beliebten Kriminächte. Mit der Corona-Pandemie traf die Stadtbibliothek ein überraschender Schock. Monatelang war die Bibliothek geschlossen. Per „Click and Collect“ konnte aber trotz Pandemie der ganze Bestand ausgeliehen werden. Aktuelle Herausforderungen sind die geplante Außenstelle im Stadtteilhaus West in Büchenbach und der weitere Ausbau der digitalen Angebote. Mittlerweile kommen wieder zahlreiche Menschen ins Palais Stutterheim. Sie lesen, arbeiten, lernen, besuchen Ausstellungen und Veranstaltungen oder treffen sich mit Freunden. Und viele von ihnen lieben nach wie vor gedruckte „altmodische“ Bücher.

Übrigens: Vom 1. bis 12 September 2021 gibt es in der Stadtbibliothek ein umfassendes Jubiläumsprogramm. Außerdem erscheint eine reich bebilderte Festschrift zur 100-jährigen Geschichte der traditionsreichen Bücherei.

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