Erlanger Virologe erklärt: Was können Corona-Impfstoffe?

17.11.2020, 05:59 Uhr
Das Mainzer Unternehmen Biontech und der US-Pharmakonzern Pfizer haben einen Impfstoff gegen Sars-Cov-2 angekündigt.

© Christian Ohde via www.imago-images.de, imago images/Christian Ohde Das Mainzer Unternehmen Biontech und der US-Pharmakonzern Pfizer haben einen Impfstoff gegen Sars-Cov-2 angekündigt.

Herr Überla, die Mainzer Firma Biontech hat einen Impfstoff mit einer Wirksamkeit von 90 Prozent angekündigt. Was bedeutet diese Zahl genau?

Klaus Überla: Von zehn Covid-Fällen werden durch die Impfung neun verhindert. In der Studie von Biontech wurde eine Hälfte der Testpersonen mit dem Impfstoff geimpft, die andere Hälfte hat ein Placebo-Präparat erhalten. So weiß niemand, wer geimpft ist und wer nicht. In der Gruppe der Geimpften gab es anschließend acht Infizierte mit Sars-Cov-2 und in der Kontrollgruppe 86 Infektionen. Das bedeutet, ohne Impfung war die Infektionsrate mehr als zehn Mal so hoch.

Also sind 90 Prozent Wirksamkeit ziemlich gut.

Überla: Ja, das ist wirklich überraschend gut. Gerade bei Erkrankungen durch virale Atemwegserreger. Bei der Grippeimpfung ist die Wirksamkeit deutlich niedriger, da liegt sie je nach Saison bei 50 bis 60 Prozent. Aber trotzdem verhindere ich damit immerhin die Hälfte aller Fälle.


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Wie geht es jetzt mit dem Impfstoff weiter?
Überla: Wir wissen im Moment noch nicht, wie gut die Wirksamkeit speziell für älteren Personengruppen ist. Die haben ja ein besonders hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Deshalb würden wir uns natürlich wünschen, dass sich in den Studien auch ein guter Schutz der über 60-, 70- und 80-Jährigen nachweisen lässt. Außerdem ist da noch die Frage der Sicherheit. Man weiß bislang, dass in einer Größenordnung von 25.000 Probanden in den ersten Wochen nach der Impfung keine schweren Nebenwirkungen aufgetreten sind. Aber man will natürlich auch längere Beobachtungszeiten haben. Diese Daten sind bislang noch nicht zugänglich.

Prof. Dr. med. Klaus Überla, Direktor der Virologie in Erlangen.

Prof. Dr. med. Klaus Überla, Direktor der Virologie in Erlangen. © Foto: Franziska Männel/Uni-Klinikum Erlangen

Wie lange könnte es noch bis zu einer Zulassung dauern?

Überla: Die Zulassungsbehörden bekommen die Informationen schon vor der Veröffentlichung. Insofern kann es durchaus sein, dass die Zulassung noch in diesem Jahr erfolgen kann oder Anfang nächsten Jahres.

Sie sind Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko), die in Deutschland Impfstoffe empfiehlt. Wann kommen die Unterlagen zu Ihnen?

Überla: Das wird vermutlich auch noch in diesem Jahr sein. Üblicherweise prüft die Stiko bereits zugelassenen Impfstoffen. Aber mit möglichen Corona-Impfungen befassen wir uns schon seit gut einem halben Jahr. Das ist ein kontinuierlicher Prozess, sodass wir nicht von vorne anfangen müssen, wenn die Daten zu möglichen Nebenwirkungen dann verfügbar sind.

Was ist Ihre Aufgabe, wenn alle Unterlagen auf dem Tisch sind?

Überla: Wir müssen entscheiden, ob die Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe wirklich nachgewiesen wurde, und ob die Vorteile der Impfung so groß sind, dass wir eine generelle Empfehlung aussprechen können. Oder eine Empfehlung nur für bestimmte Personengruppen. Bei der Corona-Impfung kommt noch hinzu, dass in den ersten Monaten nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stehen wird. Das heißt, wir müssen auch noch Empfehlungen aussprechen, welche Personengruppen zuerst geimpft werden sollten, um den größtmöglichen Nutzen zu erzielen.


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Sie schlagen zum Beispiel ein 90-90-Ziel vor. Was heißt das?

Überla: Innerhalb der ersten 90 Tage könnten wir 90 Prozent der Personen mit sehr hohem Risiko impfen. Das wäre eine Variante, die nach heutigem Wissensstand machbar sein könnte. Das ist zwar ein riesiger, organisatorischer und logistischer Aufwand, aber die Vorbereitungen dafür laufen in Bayern schon sehr gut. Dann könnte die Politik im April oder Mai überlegen, ob Kontaktbeschränkungen noch nötig sind.

Und die pessimistische Variante?

Überla: Der Impfstoff ist noch nicht am Ziel. Es könnte jederzeit Verdachtsfälle mit unerwünschten Nebenwirkungen geben. Selbst wenn ein Verdacht nicht plausibel ist, muss möglicherweise jede weitere Impfung bis zur Klärung gestoppt werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir schnell herausfinden, ob Nebenwirkungen auf die Impfung zurückzuführen sind oder nicht.

Dabei soll auch eine zentrale Impfdatenbank helfen, richtig?

Überla: Ja, wir müssen die Impfungen auf jeden Fall systematisch wissenschaftlich begleiten. Eine solche Einführung zieht sich ja normalerweise über einen viel längeren Zeitraum. Doch diesmal werden wir vermutlich sehr viele Leute auf einmal impfen, zum Beispiel in diesen 90 Tagen fünf Millionen oder zehn Millionen Leute – nur in Deutschland. Da muss gründlich dokumentiert werden, ob unerwünschte Ereignisse gehäuft auftreten oder nicht.

Geht die Zulassung zu schnell?

Einigen Leuten macht dieses schnelle Vorgehen Angst.

Überla: Es ist auch sonst absolut üblich, dass man Impfstoffe nach der Zulassung weiterverfolgt. Sehr seltene Nebenwirkungen etwa, die bei weniger als einem von 10.000 Geimpften auftreten, können Sie in den Zulassungsstudien vorher nicht feststellen. Langzeitfolgen sind aber die Ausnahme. Die allermeisten unerwünschten Ereignisse treten innerhalb der ersten zwei bis drei Wochen nach der Impfung auf.

Bei einer Impf-Empfehlung muss die Stiko entscheiden: Ist der Nutzen höher als das Risiko.

Überla: Bei den Hochrisikogruppen ist diese Abwägung vermutlich sehr eindeutig. Eine Covid-Erkrankung führt bei über 80-Jährigen in mehr als 20 Prozent der Fälle zum Tod. Dagegen dürfte das Risiko für schwere Impf-Nebenwirkungen vermutlich bei unter eins zu 1000 oder 10.000 liegen, also unter 0,1 oder 0,01 Prozent.

Neben Biontech sind noch einige weitere Impfstoff-Kandidaten in der entscheidenden letzten Phase. Welchen empfiehlt die Stiko, wenn mehrere auf dem Markt sind?

Überla: Wenn die Daten zur Wirksamkeit vorliegen, bewerten wir auch, ob ein Impfstoff vielleicht für eine besondere Personengruppen in Frage kommt. Es gibt Impfstoffe, die möglicherweise gerade bei Älteren sehr gut wirken. Oder andere, die vor allem die Übertragung des Virus verhindern und sich daher besonders für Personen eignen, die Kontakt zu Risikogruppen haben, wie etwa Pflegepersonal. Wenn die Impfstoffe aber gleich wirksam und sicher sind, dann werden sie alle zugelassen und auch empfohlen.

Wer entscheidet dann?

Überla: Das ist dann die Aufgabe des einzelnen Arztes, der seinen Patienten individuell einschätzt.

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