"Akute Lebensgefahr" droht

Extrem-Hitze in Franken: Wer jetzt besonders gefährdet ist

Hans Böller

Redakteur der Nürnberger Nachrichten

E-Mail zur Autorenseite

18.6.2022, 13:12 Uhr
Hitze: Gefährlich kann es ab 26 Grad werden.   

© Clara Margais, dpa Hitze: Gefährlich kann es ab 26 Grad werden.  

Es war, im Sommer 2021, nur eine kleine Meldung, aber eine entsetzliche. In der Notaufnahme des Augsburger Klinikums rang ein junger Mann mit dem Tod, er war bewusstlos, seine Körpertemperatur betrug 42,5 Grad – er starb ein paar Stunden später. Der Mann war Dachdecker, er hatte Teerpappe verlegt, über mehrere Stunden bei einer Temperatur von 35 Grad. Es war, will man es so sagen, der klassische Fall eines sehr seltenen reinen Hitzetods.

"Akute Lebensgefahr"

Vor "akuter Lebensgefahr" hat nun, vor den ersten sehr heißen Tagen des Jahres 2022, die Stadt Nürnberg gewarnt. Die Meldung sorgte für etwas Furore, für Verwunderung auch. Ja, sagt Renate Scheuermann vom zuständigen städtischen Gesundheitsamt, das verstehe sie, einige Medien hätten sich auf die Schlagworte konzentriert und das Drumherum einfach weggelassen.

Renate Scheuermann ist eine erfahrene Ärztin, sie hat viel von der Welt gesehen. Sie hat in Afrika gearbeitet, als Studentin ist sie einmal im texanischen Houston über den Campus spaziert, bei 40 Grad, der Wachdienst hat sie dann einvernommen "und gefragt, was mit mir los ist", erzählt sie.

Nur keine Angst

Gegen so viel Vorsicht hat Renate Scheuermann natürlich nichts einzuwenden, sie sagt aber auch, dass gesunde Menschen, zwischen dem Kindes- und dem Pensions-Alter auch solch hohe Temperaturen ohne größere Schwierigkeiten verkraften – wenn sie nichts extrem Unvernünftiges tun. Angst braucht man vor dem Sommer nicht zu haben.

Den gefürchteten Wintereinbruch gab es schon immer, inzwischen ist die Formulierung, der Sommer sei "ausgebrochen", seit Jahren sehr gängig. Der Wintereinbruch hat über die jüngste Vergangenheit an Schrecken verloren, der Sommerausbruch hingegen mutet, klickt man sich durch diverse aufgeregte Meldungen, beinahe schon wie eine tödliche Bedrohung an.

Die Temperaturen steigen weiter

Die Klimakrise hat viele Menschen sensibler gemacht, dass die Erderwärmung zu den großen Herausforderungen der Gegenwart gehört, steht außer Frage. Als sicher gilt den meisten Experten auch, dass die Temperaturen weiter steigen - verbunden mit erhöhter Waldbrandgefahr, mit Dürre, Ernteausfällen, mit enormen ökologischen und ökonomischen Schäden.

Was man jetzt erlebt, ist allerdings Wetter, nicht Klima. Wetter ist der physikalische Zustand der Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort. Wie viel Klimawandel in den Hitzewellen steckt, diskutiert die Wissenschaft. Ein Zusammenhang zwischen immer wieder sehr heißen Tagen und der Erderwärmung könnte bestehen, sicher ist das nicht.

Wie viele Hitzetode gibt es?

Dass die Zahl der Hitzetode auch in Deutschland größer werde, ist ebenfalls eine sehr diskutable Behauptung. Einzelne entsprechende Statistiken zeigten bei näherem Hinsehen vor allem, dass es mehr alte Menschen gibt und deshalb mehr alte Menschen auch im Sommer sterben (aber deutlich weniger als im Winter).

Blickt man auf entsprechende Untersuchungen, erinnert das auf unschöne Weise an die Corona-Pandemie – an die Frage, wer "mit Covid 19" oder "an Covid 19" gestorben sei. Für sehr junge, alte und vorerkrankte Menschen kann extreme Hitze tödliche Folgen haben, und in Entwicklungsländern leiden die Menschen stärker unter Höchsttemperaturen – aber die nun in Indien gezählten Hitzetoten starben vor allem, weil sie in prekären Verhältnissen leben mussten.

Mumbai in Indien: Für sozial Schwache ist Hitze besonders gefährlich.   

Mumbai in Indien: Für sozial Schwache ist Hitze besonders gefährlich.   © Ashish Vaishnav, dpa

Für Nürnberg und die Region, erklärt Renate Scheuermann, gibt es keine Statistiken über hitzebedingte Todesfälle, einen kurzen kleinen Anstieg, "einen Peak" während starker Hitzewellen, könnte es vielleicht sein, meint sie. Sie berichtet von einer Statistik aus Frankfurt am Main "mit einem Anstieg um 300 Prozent – tatsächlich waren es neun statt zuvor drei Menschen", das hat natürlich keine Aussagekraft.

Studie im Jahr 2023?

Eine entsprechende Untersuchung – in Zusammenarbeit mit Nürnberger Hausärzten und Krankenkassen – ist geplant, im Sommer 2023 könnte sie beginnen.

Für die nächsten Tage werden auch in der Region Temperaturen von deutlich über 30 Grad erwartet, die erste Hitzewelle, bis zu 38 Grad könnten es werden. Aber was eine Hitzewelle eigentlich ist, dafür gibt es keine verbindliche internationale Definition. Als Richtwert gelten laut dem Deutschen Wetterdienst mehrere Tage mit Temperaturen über 30 Grad, allerdings, erklärt Renate Scheuermann, basiere das auf Untersuchungen für das Militär und den Sport – auf Daten körperlich sehr belastbarer Menschen.

Auf alte Menschen achten

Für erkrankte, auf Medikamente angewiesene Menschen und für Kinder, sagt die Ärztin, beginnen bei 26 Grad die sensiblen Temperaturen. Der Körper beginnt, den Kreislauf umzustellen, wer Medikamente nimmt, sollte sich deshalb mit Blick auf deren Dosierung unbedingt mit dem Hausarzt absprechen – nicht nur vor, sondern auch nach heißen Tagen, betont Renate Scheuermann, die darum bittet, auf ältere alleinstehende Menschen zu achten.

Für sie gelte besonders, was sich auch für gesunde Menschen empfiehlt, weil jedes Herz-Kreislauf-System auf veränderte Temperaturen reagiert: Viel trinken – nicht nur Wasser, sondern isotonische Getränke, "jeder Saft hilft, mit ein wenig Salz noch besser, und jede Suppe". Ein leichtes Kleidungsstück sei ein besserer Schutz als jede Sonnencreme, und Vorsicht beim Sonnenbad schade auch Menschen nicht, die auf Temperaturen weniger empfindlich reagieren.

Manche bleiben unvernünftig

"Es gibt ja Menschen, die noch bei 25 Grad frösteln", sagt Christian Raab vom Roten Kreuz, das Temperaturempfinden könne individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. "Aber 26, 27 Grad plus direkte Sonneneinstrahlung, ab da wird es für jeden gefährlich", erklärt der Geschäftsführer des Kreisverbands Erlangen-Höchstadt, der die Hitze mit einem "ambivalenten Gefühl" erlebt, wie er sagt: "Viele Menschen sind aufmerksam und aufgeschlossen für unsere Empfehlungen, andere bleiben unvernünftig."

Mehr Einsätze, sagt Christian Raab, seien es im Hochsommer schon, allerdings nicht nur wegen der Hitze. "Es sind eben viel mehr Leute unterwegs, mit dem Rad, mit dem E-Bike". Auf die Hitzewelle hätten sich die Rot-Kreuz-Helfer – Raab fährt selbst bei Einsätzen mit – "nicht gesondert vorbereitet", aber zum Beispiel darauf geachtet, dass genug Getränke in den Fahrzeugen bereitstehen.

Städte sind heiße Pflaster

Erlangen ist eine der besonders warmen Städte in Bayern. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft hat – mit Daten des Deutschen Wetterdienstes – ermittelt, dass es zwischen 2012 und 2020 bayernweit im Schnitt 12,2 Hitzetage mit Temperaturen jenseits der 30 Grad gab, dreimal so viele wie noch im Zeitraum von 1951 bis 1960. Erlangen kommt im Schnitt auf 19,6 Tage. In Nürnberg wurden einmal, 2015, volle 33 Tage mit Temperaturen über 30 Grad gemessen.

Die Städte sind besonders heiße Pflaster. Asphalt, Beton und Glas strahlen Hitze ab, die Temperatur kann bis zu zehn Grad über der in freier Natur gemessenen liegen. Der Temperaturrekord für Deutschland wurde im heißen Sommer 2019 in Duisburg-Baerl gemessen – 41,2 Grad am 25. Juli. In Bayern war es nie heißer als am 5. Juli 2015 in Kitzingen – 40,3 Grad. Bei solchen Temperaturen empfiehlt sich kein Aufenthalt im Freien mehr.

Ein Weißbier ist erlaubt

"Wir wollen niemanden beunruhigen", sagt der Rot-Kreuz-Mann Christian Raab, Renate Scheuermann formuliert es genauso. Es gehe darum, die Menschen weiter zu sensibilisieren. Ob ein Weißbier am Abend erlaubt ist? Ja, natürlich, sagt Renate Scheuermann, "wenn Sie gesund sind". Sogar über ein zweites ließe sich verhandeln. Sie lacht. "Leben Sie so normal wie möglich."

Verwandte Themen