Warum die Schlachthöfe starben: Das Schicksal der Fürther Metzgereien

19.6.2020, 05:55 Uhr
Warum die Schlachthöfe starben: Das Schicksal der Fürther Metzgereien

© Foto: Schlachthof Fürth

So lange ist das noch nicht her, da gehörte in jeder kleineren und erst recht in jeder größeren Stadt ein Schlachthof zur Infrastruktur-Grundversorgung. Er war so selbstverständlich wie Rathaus, Schulen, Kindergärten oder Krankenhaus. Die meisten kommunalen Schlachthöfe entstanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Bis dahin wurden Schweine, Rinder oder Kälber unter nicht immer sehr erfreulichen hygienischen Umständen in den kleinen Schlachthäusern der unzähligen Metzgereien am Ort vom Leben zum Tod befördert und dann weiterverarbeitet. Für die Nachbarschaft war das schon allein geruchsmäßig meist kein Vergnügen.

So feierte am 1. Februar 1881 denn auch Bürgermeister Georg Friedrich von Langhans die Eröffnung des Fürther Schlachthofs neben der Maxbrücke als "wichtigen Markstein in der Geschichte der Stadt". Auch wenn die örtlichen Metzger die zentrale Schlachtstelle, in der sie künftig verpflichtend einen wesentlichen Teil ihres Handwerks zu erledigen hatten, nicht mitfeiern wollten und statt dessen am selben Tag demonstrativ eine Vergnügungsfahrt ihres Fleischervereins nach Würzburg organisierten.

Ein rentables Geschäft

Es dauerte nicht allzu lange, da hatten die Fürther Metzger ihren Frieden mit dem städtischen Schlachthof geschlossen. Seine großzügigen Räumlichkeiten und modernen Kühlmöglichkeiten erleichterten ihnen schließlich die Arbeit. Und für die Kommune war die Einrichtung ein rentables Geschäft. "Mit dem Erlös vom Schlachthof wurde einst das Fürther Freibad gebaut", erzählt Konrad Ammon. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts lebt seine Familie in Fürth vom Metzgerhandwerk. Ammon ist Landesinnungsmeister. Und er ist Geschäftsführer des Metzgerschlachthofs Fürth. Eines mutigen Unternehmens, das vor 34 Jahren mehr aus der Not heraus die bis dahin kommunale Einrichtung übernahm.

Am Beispiel Fürths lässt sich die jüngere deutsche, oder zumindest bayerische Schlachthofgeschichte sehr schön schildern. Eine Geschichte, die vor 150 Jahren in unzähligen Orten mit dem Bau zentraler kommunaler Einrichtungen begann und bis heute zu einer industriellen Branchenstruktur führte, deren Hauptakteure Großkonzerne sind, die gerade in Zusammenhang mit Corona-Infektionen unter ihren Billiglohn-Mitarbeitern für negative Schlagzeilen sorgen. Nur eines unterscheidet die Fürther Historie von der anderer Kommunen: In der mittelfränkischen Stadt hat sie ausnahmsweise ein Happy End.

Die Probleme für die kommunalen Schlachthöfe begannen – in Fürth und anderswo – vor rund 50 Jahren. Nationale und europäische Hygiene- beziehungsweise Tierschutzauflagen zwangen die Städte, immer wieder neu in ihre Betriebe zu investieren. Und weil der Fleischkonsum stark anstieg, musste die Kapazität der Anlagen ständig erweitert werden. Das Geschäft mit Fleisch und Wurst wurde plötzlich nicht mehr nur von mittelständischen Handwerksbetrieben durchgeführt. Zunehmend übernahmen Großbetriebe den Markt.

In Fürth war das Mitte des letzten Jahrhunderts zunächst der Schlachtbetrieb Bär. Und als dem örtlichen Unternehmen irgendwann ein Nachfolger für die Chefposition fehlte, wurde es von Südfleisch aufgekauft. Der Großschlächter, der vor allem für den Export produzierte, bestimmte fortan das Geschehen im Fürther Schlachthof. Seine Vorstellungen und Forderungen mussten vom kommunalen Träger erfüllt werden, wenn die Stadt nicht die Abwanderung des Unternehmens riskieren wollte. Der Schlachthof Fürth wurde wie viele vergleichbare Einrichtungen in der Region zum teuren Zuschussbetrieb.

Die Handwerksmetzger mit ihren vergleichsweise kleinen Schlachtzahlen spielten im hocheffizienten Massenbetrieb nur noch eine Statistenrolle. "Die standen dem Großschlächter eigentlich nur noch im Weg rum und fühlten sich rausgedrängt", sagt Konrad Ammon.

Und dann kam das plötzliche Aus

Kein städtisches Entgegenkommen konnte verhindern, dass die Firma Südfleisch – inzwischen ist sie an den holländischen Konzern Vion verkauft – 1984 dennoch plötzlich den Schlachtbetrieb in Fürth einstellte und ihn an andere Standorte verlagerte. Die Stadt stand kurz davor, den 100 Jahre alten Schlachthof komplett aufzugeben. Wäre es so gekommen, stünde Fürth in einer langen Liste verschwundener Schlachtstandorte der Region: Schwabach, Weißenburg, Gunzenhausen, Ansbach, Lauf. Selbst Nürnberg hat seit 1997 keinen Schlachthof mehr. Und Erlangen hat seine Einrichtung erst vor wenigen Tagen an Uni-Fleisch und Conti-Fleisch verkauft.

Warum die Schlachthöfe starben: Das Schicksal der Fürther Metzgereien

© Foto: Thomas Scherer

Metzgermeister Konrad Ammon hat in vielen Fällen für Verkäufe und Schließungen sogar Verständnis. "Die meisten Schlachthöfe lagen innerstädtisch und passten da irgendwann nicht mehr so richtig hin. Außerdem waren die anfallenden Defizite weder gegenüber der Finanzaufsicht noch gegenüber den Bürgern zu rechtfertigen."

Ammons Vater, Konrad II., war es hauptsächlich zu verdanken, dass Fürth noch immer einen Schlachthof hat. Er überzeugte seine Handwerkskollegen in der Stadt davon, dass man die Sache in die eigenen Hände nehmen müsse. Man schloss sich 1986 zu einer Schlachthof-Betriebs GmbH zusammen, pachtete die kommunale Einrichtung an der Würzburger Straße zunächst und beschloss drei Jahre später, mit städtischer Unterstützung einen fünf Millionen Mark teuren Neubau im Ortsteil Burgfarrnbach zu errichten.

Seit Oktober 1991 ist der Fürther Metzgerschlachthof in Betrieb und schreibt durchgehend schwarze Zahlen. 65 bis 75 Metzgereien der Region schlachten dort wöchentlich rund 1250 Schweine, 80 bis 100 Rinder und 50 bis 60 Schafe. Das Vieh kommt ausnahmslos aus der Region. 15 Lohnschlächter, allesamt in Deutschland ausgebildete Metzgergesellen, arbeiten im Betrieb.

Der inzwischen auch schon 63 Jahre alte Konrad Ammon junior ist in der Nachfolge seines Vaters Geschäftsführer der GmbH. So zufrieden er mit dem Schlachthofprojekt ist, so sehr sorgt ihn die grundsätzliche Entwicklung in seinem Handwerk. "Ich bin seit 24 Jahren Innungsmeister. Als ich begonnen habe, gab es in Fürth 65 Metzgereien, jetzt sind es noch 15. Und produzierende Betriebe, die selber schlachten und Wurst herstellen, gibt es gerade noch fünf."

Billigfleisch im Supermarkt gewinnt

Der Wandel am Markt setzt der Branche zu. Supermärkte sind eine übermächtige Konkurrenz. Sie können der Kundschaft ausreichend Parkplätze, lange Öffnungszeiten und billige Fleisch- und Wurstwaren anbieten. Dass die oft aus industriellen Verarbeitungsbetrieben und aus der Massentierhaltung stammen, tut den Umsatzzahlen der Handelsketten keinen Abbruch. Und auf die Niedriglöhne und problematischen Unterbringungsbedingungen der zumeist aus osteuropäischen Ländern stammenden Fleischfabrikarbeiter wird die Öffentlichkeit auch nur aufmerksam, wenn das Corona-Geschehen dazu Anlass gibt.


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"Der Verbraucher spricht mit gespaltener Zunge", klagt Konrad Ammon. Einerseits verlange er lautstark nach Fleisch aus kleinen bäuerlichen Betrieben, ohne gentechnisch veränderte Futtermittel – am besten in Bioqualität. "Aber an der Fleischtheke im Supermarkt werden acht von zehn Verbrauchern dann doch schwach und greifen nach dem Billigfleisch."

"Der Zug ist abgefahren"

Eigentlich hätte der Fürther Metzgerschlachthof das Zeug zum Modellbetrieb. Aber Ammon macht sich keine Illusionen. Wenn er als ehrenamtlicher Funktionär im Bundesverband seines Handwerks mit Kollegen aus Norddeutschland zusammenkommt, "dann sagen die zu mir immer wieder: Hör auf mit deinen Geschichten!". In deren Regionen ist der Zug mittelständischer Strukturen längst abgefahren. "In ganz Schleswig-Holstein gibt es noch einen einzigen Schlachthof."


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