Selbst LBV plädiert für die Jagd

Gänse-Plage in Franken: Eier-Stich, Abschuss und jetzt Jagd mit Greifvögeln?

7.10.2021, 05:58 Uhr
Am Altmühlsee sind die Gänse mittlerweile zur echten Plage geworden. Rund 3500 Tiere sollen sich dort inzwischen tummeln. 

© Christian Pohler, NN Am Altmühlsee sind die Gänse mittlerweile zur echten Plage geworden. Rund 3500 Tiere sollen sich dort inzwischen tummeln. 

"Wir wollen dich am Straßenrand verbluten sehen." „Wir wollen deinen Kopf." „Dich blöde Sau würde ich gerne angeschossen im See sehen." Solche und viele weitere drastische Morddrohungen musste Nürnbergs Bürgermeister Christian Vogel (SPD) über sich ergehen lassen, nachdem er die Gänse in der Badebucht am Wöhrder See im August 2018 zum Abschuss freigegeben hatte.

Acht tote Gänse am Wöhrder See

Jäger töteten damals acht Tiere. Eines sollen sie dabei nicht gut genug getroffen und nur angeschossen haben. Eine Stunde lang soll die Gans gelitten haben, bevor sie verendete.

Diese acht toten Gänse genügten, um einen beispiellosen Aufruhr in der Tierschutz-Szene zu verursachen. Christian Vogel wurde mit Hass-Mails überschüttet, Dutzende Morddrohungen gingen bei ihm ein.

Die Gänsejagd wurde gleich wieder eingestellt, obwohl die Tiere weiter Strände, Ufer und Spielplätze vollkoteten und sich auch durch ausgefeilteste Vergrämungsmaßnahmen nicht vertreiben ließen.

13.000 Gänse in Bayern abgeschossen

Nicht nur am Wöhrder See, sondern in vielen Regionen Bayern sind die Gänse mittlerweile regelrecht zur Plage geworden. Das zeigen auch die Jagdstrecken des BJV. Während bis zum Jahr 2004 noch pro Jahr weniger als 2000 Wildgänse erlegt wurden, zeigt die Kurve danach steil nach oben.

Zuletzt waren es bereits mehr als 13.000 erlegte Gänse pro Jahr in Bayern, kein Vergleich also zu den gerade mal acht geschossenen Tieren am Wöhrder See. Und doch genügte selbst dieser Jagdaufwand nicht, um das Wachstum zu stoppen, so sehr vermehren sich die Gänse.

„Die Jagd leistet einen wichtigen Beitrag, reicht aber nicht als alleinige Maßnahme. Selbst bei einer sehr aufwändigen Jagd kann man höchstens mal 100 Gänse schießen. Mit der Jagd kann man Gänse vor allem umlenken zu anderen Flächen, wo man sie dann dafür aber auch in Ruhe lassen muss. Sie müssen lernen, wo es gefährlich ist und wo nicht“, erklärt Andreas von Lindeiner, Landesfachbeauftragter des Landesbundes für Vogelschutz (LBV).

LBV fordert Bußgeld fürs Gänsefüttern

Wo man keine Gänse haben wolle, müsse man sie aber konsequent bejagen – und das auch gesellschaftlich akzeptieren. „Wir müssen hier mit Herz und Verstand vorgehen. Nur mit Herz reicht nicht, das erzeugt nur noch größere Probleme“, meint er.

Normalerweise seien Gänse sehr scheue Tiere, die schon bei großen Abständen Reißaus nehmen. „Am Wöhrder See oder am Altmühlsee behalten sie aber nicht mal mehr eine gewisse Mindestscheu. Sie lassen sich überhaupt nicht mehr stören, das sind schon fast Haustiere“, verdeutlicht von Lindeiner.

Schuld daran seien auch Menschen, die die Tiere regelmäßig füttern. „Deshalb haben wir wiederholt ein bußgeldbewehrtes Fütterungsverbot gefordert“, sagt er. Die Menschen müssten mitarbeiten, um das Problem zu lösen, die Jagd allein könne das nicht. Brutplätze auf Flussinseln müsse man etwa unattraktiv machen, indem man dort Gebüsch entfernt.

Gans war bis 1955 nicht in Bayern zuhause

„Das extreme Wachstum ist ein neues Phänomen. Früher haben die Gänse nicht in Massen in Bayern gebrütet. Ab der Jahrtausendwende haben sie sich zunächst langsam vermehrt, jetzt sind sie in eine schnelle Wachstumsphase gekommen“, erklärt Christian Wagner, bei der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) für das Gänse-Management zuständig.

Bis 1955 war die Graugans in Bayern gar kein Brutvogel. Grundstock für die bayerische Gänse-Population waren freifliegende Tiere des Verhaltensforschers Konrad Lorenz, die dieser in Seewiesen bei Starnberg untersuchte. Weitere Tiere wurden in Südbayern und im Donautal ausgesetzt, um sich fortan zu vermehren.

Die milderen Winter haben dazu geführt, dass die Tiere öfter in Bayern bleiben. Zudem finden sie im Freistaat viele ruhige Gewässer mit Inseln zum Brüten, zudem reichlich Nahrung in der Landwirtschaft. Auf den Wiesen weiden die Graugänse wie die Schafe. „Sie fressen auch junges Wintergetreide oder jungen Mais und verursachen so gewaltige Schäden für die Landwirtschaft“, erläutert Wagner. Noch gibt es in Bayern vor allem Graugänse, doch Nilgänse und Kanadagänse holen gewaltig auf.

Mit Bussarden gegen Nilgänse

Zurück zum Wöhrder See: „Im Nürnberger Bereich besteht bei der Gänse-Population nicht so viel Austausch zum Umland. Sie würde kleiner werden, wenn man an sie rangeht“, meint Wagner von der LfL. „Rangehen“ heißt dabei vor allem Jagd. „Aus fachlicher Sicht wäre der Abschuss eigentlich richtig“, bekräftigt Wagner.

Doch in der Realität ist das schwierig, nicht nur wegen des Protests von Tierschützern. „Die Jagd ist hier sehr problematisch. Der Wöhrder See liegt ja mitten in der Stadt. Da sind selbst nachts Jogger und Radfahrer unterwegs, daneben sind teilweise Gebäude und Straßen“, verdeutlicht Hannes Regitz, Vorsitzender der Jägergesellschaft „Hubertus“ Nürnberg.

Bei einer Jagd müsste man das Gelände schon sehr konsequent absperren. Regitz schlägt stattdessen vor, es doch mal mit der Greifvogeljagd zu versuchen. Schließlich könnte man so die Gänse durch einen natürlichen Feind vertreiben, ohne Menschen zu gefährden. Hans Kurt Hussong ist Falkner aus Fürth und hat mit seinem Wüstenbussard schon Rebhühner, Hasen und Kaninchen gejagt. „Die kleineren Nilgänse könnte man damit auch jagen. Grau- und Kanadagänse sind da aber schon ein anderes Kaliber“, meint er.

Gänse-Eier werden mit Kanülen angestochen

Auch ein Habicht würde dafür nicht ausreichen, wohl aber der größere, allerdings auch ziemlich seltene Habichtsadler. „Den müsste man dann aber auch über längere Zeit täglich einsetzen, um einen nachhaltigen Effekt zu erzielen“, betont Hussong.

Zunächst versucht man es am Wöhrder See aber nicht mit Greifvögeln, sondern mit der Gelegebehandlung, die hier als Teil eines LfL-Pilotprojektes durchgeführt werden darf. „Dafür werden die Eier mit einer feinen Kanüle angestochen. Die Ei-Entwicklung stoppt auf diese Weise sehr zuverlässig“, betont Wagner. Zwei unbehandelte Eier werden immer im Nest belassen.

„Diese Gelegebehandlung ist eigentlich sehr erfolgversprechend. Dafür müssen aber mehr als 90 Prozent der Gelege gefunden und behandelt werden. Und das mehrere Jahre in Folge. Das ist sehr aufwändig“, verdeutlicht Wagner. Nach vielversprechendem Beginn in Nürnberg musste die Aktion zuletzt wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt werden.

Abschuss mit der Schrotflinte

Auch am Altmühlsee hat man noch kein Rezept gegen die Gänse gefunden. Etwa 3500 der Tiere sollen sich dort mittlerweile tummeln. „Jetzt wird die Jagd am Altmühlsee neu aufgestellt und intensiviert“, kündigt Wagner an.

Dafür werden die Gänse mit nach einem bestimmten Muster aufgestellten Kunststoff-Artgenossen angelockt, die Jäger verstecken sich in einer Gänseliege und erlegen die Tiere mit einer Schrotflinte aus etwa 30 Metern Entfernung.

„Die Stimmung pro Wildgänse ist eigentlich gar nicht so stark, selbst im städtischen Bereich. Sie wird nur manchmal so wahrgenommen“, betont Wagner. Ohnehin solle natürlich nicht überall auf die Gänse geschossen werden. Man solle sich gut überlegen, wo man die Gänse dulden könne. Anderswo müsse man sie durch Vergrämung, Gelegebehandlung und auch Jagd in Schach halten. „So können wir zu einem guten Miteinander von Gans und Mensch kommen“, ist Wagner überzeugt.

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