Sexueller Missbrauch in einem Wassersportverein: Ausmaß macht sprachlos

26.3.2021, 16:25 Uhr
Sexueller Missbrauch in einem Wassersportverein: Ausmaß macht sprachlos

© Foto: Isabel-Marie Köppel

Der Mandant konnte seiner Anwältin darüber hinaus noch die Namen zweier weiterer Opfer nennen, die in dem Wassersportverein dasselbe Schicksal erlitten hatten. "Daher konnten wir die Ermittlungen mit gleich drei Geschädigten starten, was die Sache beschleunigt hat", so Michael Schrotberger, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Ansbach.

Bereits am 27. Mai nimmt die Polizei den mutmaßlichen Täter fest, es folgen Durchsuchungen in dessen Privatwohnung und auf dem Vereinsgelände des YCAG. Doch der Fall nimmt eine tragische Wendung: Am 4. Juni finden Bedienstete der JVA Ansbach den Beschuldigten, der sich zu dieser Zeit in Untersuchungshaft befindet, tot in seiner Zelle. Erhängt mit dem eigenen Gürtel.

Von 1368 Einzeltaten ist die Rede

Zehn Monate sind die Ereignisse, die damals weit über die Grenzen Mittelfranken hinaus für Entsetzen sorgten, nun her. Zeit für die Staatsanwaltschaft, der Öffentlichkeit die Ermittlungsergebnisse zu präsentieren, die sich seitdem ergeben haben.

"Die Kripo Ansbach hat eine gewaltige Dimension des Missbrauchs herausgearbeitet", bilanziert der Chef der Ermittlungsbehörde. Schrotberger spricht von 57 Kindern und Jugendlichen, die von dem Beschuldigten sexuell missbraucht worden seien. Alle männlich, alle im Alter zwischen 9 und 18 Jahren. Zwischen 1993 und 2019 soll es zu 1368 Einzeltaten gekommen sein. Ein Ausmaß, das selbst erfahrene Ermittler nicht kalt lässt. "Unsere Vernehmungen waren für viele der Opfer auch eine Konfrontation mit lange verdrängten Ereignissen", berichtet Dieter Hegwein, Leiter der Kriminalpolizeiinspektion Ansbach, die den Fall mit der 20-köpfigen Ermittlungskommission "Nautis" bearbeitet hat. "Die Gespräche über das Erlebte waren für die Opfer zum Teil psychisch sehr belastend."


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Doch sie gaben den Beamten wichtige Einblicke in die Geschehnisse im Verein und das konkrete Tatgeschehen. Körperliche Gewalt gegenüber den Opfern habe es nicht gegeben, erklärt Hegwein, es sei dem Beschuldigten um "Handanlegen und Oralverkehr" gegangen. Vor allem der Oralverkehr, der wegen des Eindringens in den Körper des Opfers juristisch einen schweren sexuellen Missbrauch darstellt, zieht sich wohl wie ein roter Faden durch die Tatgeschichte des ehemaligen Jugendleiters. Nicht wenige Heranwachsende waren den Übergriffen über lange Zeit hinweg ausgesetzt. "Wir gehen von Missbrauchszeiträumen von etwa vier Jahren für einzelne Opfer aus", sagt Hegwein. Oft fanden die Taten auf dem Vereinsgelände in Muhr am See statt. Manchmal aber auch bei gemeinsamen Übernachtungen im Rahmen von Wettkämpfen, bei Segeltörns in Kroatien oder in der Wohnung des mutmaßlichen Täters.

Große Nähe zu Jugendlichen

Immer wieder gab es Missbrauchshandlungen, immer wieder blieben sie unbemerkt. Der Täter habe "die Jugendlichen geschickt gesteuert" erklärt der Kriminalbeamte. Durch spezielle Veranstaltungen für ausgewählte Kinder und Jugendliche, gelegentliche finanzielle Unterstützung bei Ausflügen und eine nach außen hin tadellose Jugendarbeit ist es dem Mann gelungen, ein über viele Jahre hinweg funktionierendes Tatumfeld zu schaffen. Typisch für derartige Fälle. Lediglich 2016 ging bei der Polizei ein anonymer Hinweis ein, wonach der Jugendleiter des YCAG eine zu große Nähe zu manchen Heranwachsenden pflege und ihnen Geld- und Sachgeschenke mache. Die Ermittlungen ergaben damals jedoch keinen Verdacht auf eine Straftat.


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"Ein bisschen Gerede" habe es innerhalb des Vereins immer wieder gegeben, was das Verhalten des Jugendwarts angeht, berichtet auch Oberstaatsanwalt Schrotberger. Aber nie hatte es konkrete Hinweise auf sexuellen Missbrauch gegeben, nie wurde jemand Zeuge einer der vielen Straftaten. Erst im Frühjahr 2020 begann das über gut 25 Jahre hinweg sorgsam konstruierte Gebäude aus kleinen Belohnungen, falschem Vertrauen und tadelloser Außendarstellung zusammenzubrechen.

Klar ist inzwischen, dass es sich bei dem Beschuldigten um einen Einzeltäter handelte, der keinem pädophilen Netzwerk angehörte. Auf seinem PC fanden die Ermittler auch kein einschlägiges pornografisches Material. Der anfängliche Verdacht gegen den Vorsitzenden des Vereins, er könnte von den Taten des Jugendleiters gewusst und diese gedeckt haben, erhärtete sich nicht. Ein entsprechendes Verfahren wurde eingestellt. Vielmehr, sagt Schrotberger, könne man davon ausgehen, dass der Vorsitzende ehrliches Vertrauen in den Beschuldigten hatte: "Schließlich waren seine eigenen Kinder bei dem Mann in der Jugendabteilung."

Juristisch ist der Fall damit bis auf Weiteres abgeschlossen. Was bleibt, ist Fassungslosigkeit.