Nach Missbrauchsfällen: Segler starten wieder durch

26.3.2021, 05:59 Uhr
Nach Missbrauchsfällen: Segler starten wieder durch

© Foto: Eagle Sailing Team

Dieses Jahr war Timo Späth noch nicht auf dem Wasser. Eine Tatsache, die ausnahmsweise nicht das Coronavirus zu verantworten hat, sondern das wenig frühlingshafte Wetter. Unter zehn Grad, dicke Wolkendecke, immer wieder leichter Nieselregen – das waren noch Anfang der Woche die Bedingungen auf dem Altmühlsee. Nicht einmal hartgesottene Wassersportler wie Späth, 3. Vorstand des Yacht-Club Ansbach-Gunzenhausen (YCAG), verspüren da den Drang, das Segelboot in den See zu lassen. Zumal auch der Kontakt zum gerade einmal fünf Grad kalten Wasser keine Sommergefühle aufkommen lassen dürfte.

"Das ist schon noch ein bisschen frisch", räumt Späth lachend ein. Doch schon in einigen Tagen, so hofft er, könnte das anders sein. Die Wassersport-Saison im Seenland beginnt offiziell ab 1. April. Dann will auch der 33-Jährige mit seinem Segelboot durch die sanften Wellen des Altmühlsees pflügen.


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Schon im Alter von zehn Jahren hat Späth mit dem Segeln angefangen. Ein Freund hatte ihn damals mitgenommen, seither lässt ihn der Sport nicht mehr los. "Mich fasziniert das Vorankommen auf dem Wasser ohne Hilfsmittel, wie einen Motor", erklärt er. "Außerdem mag ich die taktischen Aspekte. Man muss vorbereitet sein, wenn der Wind dreht und gleichzeitig beobachten, was die Gegner machen."

Regatten in der Schweiz und auf dem Plattensee

Die kommende Saison wird Späth mit einem neuen Sportgerät bestreiten: Ein rund sechs Meter langer Katamaran aus Karbon, der den Namen "Eagle 20" trägt. Frisch aus der Schmiede von Bootsbauer Heiner Wolfshöher, der seinen Betrieb in Muhr am See hat. Der Preis für das Boot bewegt sich im Bereich eines Mittelklassewagens. "Wenn man den Sport so betreibt wie wir, dann ist es ein teurer Sport", sagt Späth.

Wir, das sind er selbst und Teamkollege Mike Noorlander. Als "Eagle Sailing Team" starten die beiden jedes Jahr bei internationalen Regatten. Inwieweit die Pandemie das auch dieses Jahr zulassen wird, ist natürlich noch völlig offen. Doch zumindest die Trainingseinheiten, die Späth und Noorlander im Sommerhalbjahr an den Wochenenden auf dem Altmühlsee absolvieren, sollten möglich sein. Zwei Personen, zwei Haushalte, unter freiem Himmel – das müsste gehen.

Doch eigentlich haben sie viel mehr vor. "Aktuell haben wir geplant, an 13 Regatten teilzunehmen", erklärt Späth. Drei davon auf dem österreichischen Attersee, eine in Ungarn auf dem Plattensee, eine weitere auf dem Genfer See in der Schweiz. Und sonst auf zahlreichen Gewässern in Deutschland. Unter anderem auch auf dem Altmühlsee. Denn da will der YCAG in dieser Saison fünf eigene Wettbewerbe abhalten. Die erste Regatta ist schon für die zweite Maiwoche geplant.

Corona sorgt für Finanzprobleme

"Wir haben jetzt mal die Ausschreibung fertiggestellt, die anderen Vereine können sich anmelden", sagt Späth. Rund zwei Wochen vor dem Wettsegeln könnte der YCAG die Veranstaltung noch absagen. Ein Szenario, dass er für durchaus wahrscheinlich hält: "Ich habe kein gutes Gefühl, ehrlich gesagt sehe ich schwarz." Schon 2020 waren fünf vereinseigene Rennen geplant, gerade mal eines davon hat tatsächlich stattgefunden.

Dabei sind weniger die Duelle auf dem Wasser ein Problem. Vielmehr geht es um die Zeit vor und nach dem Rennen, wenn die rund 80 Teilnehmer und Helfer am Ufer zusammenkommen. Geselligkeit in gewohntem Rahmen, gar ein gemeinsames Abendessen sind während der Pandemie schlicht verboten. Die ausbleibenden Regatten machen sich auch in der Vereinskasse bemerkbar. Schließlich entrichten die Teilnehmer sonst Startgelder, deren Summe nicht unerheblich zur Finanzierung des YCAG beiträgt. Wie viel dieses Jahr in die Kassen fließen wird, lässt sich derzeit noch nicht planen. 2020 hatten sie beim Yacht-Club aber ohnehin weit schwerwiegendere Probleme als die finanzielle Situation.

Missbrauch: Gab es Mitwisser?

Im Mai 2020 war ein langjähriger Jugendleiter des Vereins festgenommen worden. Er soll zwischen 1991 und 2018 zahlreiche Jugendliche sexuell missbraucht haben. Am 4.Juni 2020 erhängte sich der Mann in Untersuchungshaft. "Der hat mir damals das Segeln beigebracht", erinnert sich Späth. Er selbst sei aber nicht Opfer sexuellen Missbrauchs geworden. Die Medienberichte über die Festnahme des Jugendleiters und dessen Taten, haben den Verein in Aufruhr versetzt und ihm einen massiven Imageschaden beschert.

Nach Missbrauchsfällen: Segler starten wieder durch

© Foto: Eagle Sailing Team

Einige Mitglieder haben den YCAG daraufhin verlassen. Die meisten sind, wie Späth, zwar geblieben – wurden auf Regatten aber bisweilen argwöhnisch beäugt. "Wir durften bei manchen Wettbewerben nicht unter dem Namen YCAG starten, weil die Veranstalter gesagt haben, mit dem Verein wollen sie nichts zu tun haben", erinnert er sich.

Inzwischen steht der Verein in engem Austausch mit dem Deutschen Segler-Verband, um ein neues Konzept für die Jugendarbeit zu erarbeiten. Eines, das sexuelle Übergriffe verhindern und neues Vertrauen schaffen soll. Die Staatsanwaltschaft Ansbach hat in den vergangenen Monaten nach möglichen Mitwissern innerhalb des Vereins gesucht. Heute will die Behörde ihre Ermittlungsergebnisse der Öffentlichkeit vorstellen.

Große Ziele auf dem Gardasee

Ungeachtet der andauernden Vergangenheitsbewältigung und der nach wie vor angespannten Infektionslage, haben Timo Späth und Mike Noorlander sich für die anstehende Saison ein großes sportliches Ziel gesetzt: den Sieg bei der "Centomiglia", einer großen, internationalen Regatta auf dem Gardasee. Seit 1951 startet der prestigeträchtige Wettbewerb im Hafen der kleinen Gemeinde Gargnano am Westufer des Sees. 100 Meilen geht es anschließend übers Wasser.

"Dafür braucht man, je nach Wind, zwischen acht und 16 Stunden", erklärt Späth. Eine Toilette gibt es auf dem Boot übrigens nicht. Am ersten Septemberwochenende soll die "Centomiglia" dieses Jahr stattfinden. "Da ist ja noch etwas Zeit hin, wir haben schon Hoffnung, dass die Regatta stattfindet", sagt Späth. Ob das so sein wird, dürfte vor allem davon abhängen, ob es in Deutschland und Italien bis dahin gelingt, einen großen Anteil der Bevölkerung zu impfen.


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Sicher ist aber immerhin eines: Die Temperaturen auf dem spätsommerlichen Gardasee dürften sehr viel einladender sein als auf dem Altmühlsee kurz nach Frühlingsanfang.

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