Handydaten gegen Corona: Wann die digitale Spurensuche erlaubt ist

22.3.2020, 05:49 Uhr
Handydaten gegen Corona: Wann die digitale Spurensuche erlaubt ist

In Österreich hat A1, der größte Mobilfunkanbieter des Landes, Millionen Daten seiner Handy-Nutzer an die Regierung übergeben. Und auch die deutsche Telekom hat dem Robert-Koch-Institut fünf Gigabyte anonymisierter Handydaten von Kunden übermittelt.

In dem Institut arbeiten 25 Mitarbeiter an einer App, die helfen soll, die Verbreitung des Virus zu erforschen. Rückschlüsse auf einzelne Nutzer sollen mit Hilfe der Daten nicht möglich sein. Lothar H. Wieler, Präsident des Instituts, betont, dass eine solche App aber die Kontaktverfolgung stark erleichtern würde – die App sei technisch machbar und datenschutzrechtlich möglich.



Das Infektionsschutzgesetz, so sehen es Juristen, die dieses Gesetz schon vor der Coronakrise genau kannten, bietet "keine gesetzliche Ermächtigung", auch nur bestimmte Teile der Bevölkerung flächendeckend zu überwachen. Professor Ralf Poscher, Direktor der Abteilung Öffentliches Recht am Münchner Max-Planck-Institut: "Es bedürfte für die damit verbundenen Eingriffe in das Recht auf informelle Selbstbestimmung spezifischer Eingriffstatbestände. Und diese kennt das Infektionsschutzgesetz nicht." Die Grundrechte der Bürger wurden in den letzten Tagen allerdings massiv eingeschränkt.

Rechtsgrundlage ist ebenfalls das Infektionsschutzgesetz, erklärt Professor Markus Krajewski, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Universität Erlangen-Nürnberg. Schon heute lässt das Infektionsschutzgesetz, auf das eine Ausgangssperre gestützt werden kann, vieles zu: Zwangsquarantänen, die Durchsuchung von Wohnungen, Beschlagnahmungen – durchgesetzt würden die Maßnahmen von der Polizei. Und fast wirkt es so, als wäre das Infektionsschutzgesetz in diesen Zeiten eine Art aktuelles Grundgesetz – und es sieht so aus, als lasse es weniger zu, als Politiker gerne hätten. Eine der aktuellen Fragen lautet auch, wie viel Datenschutz kann und will sich eine Gesellschaft in Pandemie-Zeiten leisten?

Sondersitzung soll über Gesundheitsnotstand entscheiden

In der nächsten Woche soll im Landtag eine Sondersitzung stattfinden, und ein Gesetz verabschiedet werden, dass die Ausrufung einer Art "Gesundheitsnotstand" zulässt. Die Regierungsparteien CSU und Freie Wähler wollten das Gesetz bereits beraten und beschließen, doch die Opposition drang auf eine Sondersitzung am kommenden Mittwoch. Angeblich soll das Gesetz mit dem Ablaufdatum Jahresende versehen werden.

Wird aus dem Kampf gegen den Virus auch ein Streit um Bürgerrechte? Was möglich ist, zeigt ein Blick nach Südkorea und Taiwan: In Taiwan werden beispielsweise einreisende Verdachtspersonen per Handy überwacht, geprüft wird, ob sie die zwei Wochen Quarantäne auch einhalten. In Südkorea sammeln die Behörden Bewegungsdaten von Infizierten per GPS-Tracking und gleichen sie mit Kreditkartendaten ab. In Israel, so meldet es das Science Media Center Deutschland, ist der Geheimdienst ermächtigt, 30 Tage lang Geo-Daten von Millionen Nutzern auswerten, die eigentlich gesammelt wurden, um Terroranschläge zu verhindern. Nun sollen sie im Kampf gegen den Virus genutzt werden. Droht ein digitaler Virus-Pranger?


Kommentar: Wir müssen unsere Bürgerrechte schützen


Das Auswerten anonymer und aggregierter Daten ist kein Problem, so sehen es Juristen wie die Professoren Ralf Poscher und Markus Krajewski. Sobald die Daten aber Rückschlüsse auf bestimmte Personen zulassen, würde in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingegriffen – und dies ist durch das Infektionsschutzgesetz nicht gedeckt.

Poscher verweist darauf, dass auch die Regelung in Südkorea Missbrauch verhindern will und gefordert wird, die Daten nach dem Ende der Krise zu löschen. In Israel sei der Kreis derjenigen, die Zugriff auf die Daten haben, auf wenige Beamte beschränkt. Wollte Deutschland auf eine ähnliche Strategie in der Bekämpfung des Virus setzen, müssten die Ministerien die gesetzlichen Grundlagen erst erarbeiten und dann durch den Bundesrat und den Bundestag beschließen lassen. Doch dass auch unsere liberale Demokratie innerhalb weniger Tage handeln kann, hat der Gesetzgeber bereits bewiesen – das Kurzarbeitergeld, in der Krise dringend nötig, wurde neu geregelt und blitzschnell im Bundestag beschlossen.

Überwachung um zu warnen?

Wäre es nicht sinnvoll auf die digitale Technik zurückzugreifen und elektronisch zu überwachen, ob sich alle an die Ausgangsbeschränkungen halten – um in einem zweiten Schritt Handy-Nutzer informieren zu können, ob sie sich in einem Risikogebiet aufhalten? Damit kein Missverständnis entsteht: es geht nicht um Epidemie-Fußfesseln – dafür fehlt jede Rechtsgrundlage. Es geht um anonyme Daten und Bewegungstendenzen.

Christoph Safferling, Professor in Erlangen für Strafrecht, internationales Strafrecht und Völkerrecht, bleibt kritisch und verweist auf die Erfahrungen beim Digitale-Versorgungs-Gesetz. Das Gesetz soll Patienten etwa Gesundheitsapps auf Rezept oder Videosprechstunden ermöglichen. Doch die Kritik ist laut: Sensible Gesundheitsdaten von 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten sollen mit Behörden, Forschungseinrichtungen und Uni-Kliniken geteilt werden.


Corona-FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Virus


Es geht um Daten wie das Alter, Geschlecht, Wohnort, die abgerechnete Leistungen und die Krankheiten. Anonymisiert sollen sie helfen, die Qualität der Gesundheitsversorgung zu erforschen. Doch so viele Daten sorgen schnell für Deanonymisierung, warnt Professor Safferling. Die Kombination verschiedener, verfügbarer Daten ermöglicht eben doch die Zuordnung zum Einzelnen.

Wäre es nicht sinnvoll, die Beschränkungen zu überwachen? Gesammelte Daten sollen im Kampf gegen Corona helfen

Fahndet die Polizei nach einem Mörder, sucht sie nicht nur die Tatwaffe. Soll ein schweres Verbrechen, eine Vergewaltigung, ein Raub oder ein Tötungsdelikt geklärt werden, können Ermittler den digitalen Spuren von Verdächtigen (nicht jedoch von Zeugen) folgen.

Handys und Online-Chats werden überwacht, mit Hilfe der Gerätenummer und der SIM-Kartennummer kann der Standort eines Verdächtigen ermittelt werden, und weil sich Handys in Funkzellen an unterschiedlichen Orten einloggen, auch das Bewegungsprofil. Landet der Verdächtigte später als Angeklagter vor Gericht, erlauben die Daten rückwirkend die Analyse der Bewegung und sind wichtige Indizien.

Einfach beschließen können Ermittler diese Maßnahmen nicht, sie werden von der Staatsanwaltschaft bei konkretem Verdacht beantragt und stehen unter Richtervorbehalt. Dies meint, dass ein Richter etwa die Telefonüberwachung per Beschluss anordnen muss, so Justizsprecher Friedrich Weitner. In Deutschland dürfen die Anbieter von Internetdiensten die IP-Adressen ihrer Kunden für interne Zwecke bis zu sieben Tage speichern. Eine Frist, die aus Sicht der Strafverfolger zu knapp ist. Sie fordern daher die Vorratsdatenspeicherung als kriminalpolitisches Instrument.

Datenschützer sehen dagegen in der Vorratsdatenspeicherung einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte der Bürger. Ein eigenständiges Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung gibt es derzeit nicht.

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