Tagung zu Euthanasie-Verbrechen

Heilung und Vernichtung: die Bezirkskliniken in der NS-Zeit

Christina Merkel

Hochschule & Wissenschaft

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14.7.2022, 10:16 Uhr
Die Heil- und Pflegeanstalt in Erlangen um das Jahr 1890.

© Repro, NN Die Heil- und Pflegeanstalt in Erlangen um das Jahr 1890.

Niemand hat darüber geredet, wohin Oma gegangen ist. Jahrzehnte später taucht am Dachboden der Totenschein auf. "Sonnenstein" ist dort als Ort vermerkt. "Heute kann man das googlen und stößt recht schnell auf die Tötungsanstalt in der Nähe von Dresden", sagt Katrin Kasparek. "Viele beginnen jetzt erst, ihre Familiengeschichte aufzuarbeiten." Kasparek hilft den Angehörigen dabei. "Oft will die zweite Generation die Verschwiegenheit durchbrechen, die Distanz ist größer, deshalb ist es leichter, darüber zu sprechen."

In Sonnenstein töteten die Nationalsozialisten mehr als 14.000 Menschen, darunter vor allem geistig oder körperlich behinderte und psychisch kranke Patienten. Viele Transporte aus den Heil- und Pflegeanstalten in Erlangen und Ansbach gingen dorthin.

Katrin Kasparek ist Historikerin und Sozialpädagogin. Seit 2019 erforscht sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin die Geschichte der mittelfränkischen Bezirkskliniken in der Nazi-Zeit. Unter dem früheren Namen Heil- und Pflegeanstalten waren sie im "Kerngeschehen der Euthanasie", sagt sie. Insgesamt wurden zwischen 1940 und 1945 mehr als 200.000 Kranke unter dem Vorwand der Rassenhygiene ermordet. Kaspareks Auftrag ist es herauszufinden: "Welche Verantwortung hatte dabei der Träger, der Bezirksverband?"

Am Freitagabend, 15. Juli, lädt sie deshalb zur Tagung "Träger von Heilung und Vernichtung - Institutionelle Verflechtungen in Mittel- und Oberfranken und die NS-Euthanasie" ins Freilandmuseum in Bad Windsheim ein. Das Programm richtet sich sowohl an beruflich wie auch privat interessierte Zuhörer.

Transporte in den Tod

Es wird Vorträge über die Zusammenlegung von Mittel- und Oberfranken während des "Dritten Reichs" geben und die Entscheidungen des Kreistages zur Organisation der Kliniken. Kasparek spricht über "Psychatriepfleglinge als Wirtschaftsgut?" und Krankentransporte zwischen den Anstalten. Auch die Universitätsklinik in Erlangen sowie die Diakonissenanstalt Neuendettelsau und ihre Verstrickungen in die NS-Euthanasie sind Themen der Tagung.

"Es ist oft sehr verworren, wie die Institutionen zusammengearbeitet haben", sagt Kasparek. "Die Wege der Patienten wurden absichtlich verschleiert, aber wir wollen hinter die Kulissen blicken." Viele Akten wurden vernichtet oder gezielt gefälscht. Viele Kranken starben durch Vernachlässigung, an Hunger oder falschen Medikamenten. "Es ist schwer heute noch nachzuvollziehen, wann war es ein natürlicher Tod und wann Mord?"

Austausch für die Angehörigen

Die Historikerin will die Wege der Opfer nachvollziehen und Biografien sichtbar machen. Sie ist Ansprechpartnerin beim Bezirk und organisiert Treffen, bei denen sich Angehörige austauschen können. Das nächste Mal am Samstag, 23. Juli, ab 18 Uhr im Kulturhaus des Bezirks Mittelfranken in Stein-Unterweihersbuch. Teilnehmer können sich auch online zuschalten. "In vielen Familien wird die Geschichte jetzt zeitverzögert aufgearbeitet - genauso wie in den Bezirken", sagt Kasparek. Sie beantwortet Fragen und unterstützt bei der Recherche. Damit die nächste Generation nicht mehr schweigen muss.

Tagung "Träger von Heilung und Vernichtung - Institutionelle Verflechtungen in Mittel- und Oberfranken und die NS-Euthanasie" am Freitag, 15. Juli, von 9 bis 15.30 Uhr im Freilandmuseum in Bad Windsheim, am Holzmarkt 12. Der Eintritt ist frei, um Anmeldung wird gebeten, per Mail an bezirksheimatpflege@bezirk-mittelfranken.de oder telefonisch unter 0981/4664-50002.

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