Mit.Menschen: Ex-Prior Anselm Bilgri über Schwulsein in der katholischen Kirche

8.4.2021, 06:00 Uhr
Anselm Bilgri war bis 2004 Prior des Kloster Andechs nahe München. Heute arbeitet er als Unternehmensberater und ist mit einem Mann verheiratet. 

© Lino Mirgeler/dpa Anselm Bilgri war bis 2004 Prior des Kloster Andechs nahe München. Heute arbeitet er als Unternehmensberater und ist mit einem Mann verheiratet. 

Anselm Bilgri heiratete im März seinen Partner nach elf Jahren Beziehung - eine gleichgeschlechtliche Ehe ist im Jahr 2021 so weit so normal. Doch die Hochzeit sorgte für mediales Aufsehen, denn: Bilgri war bis zu seinem Austritt jahrzehntelang Benediktinermönch, zuletzt Prior des Kloster Andechs südwestlich von München.

Dass er schwul ist, weiß Bilgri schon in seiner Pubertät, wie er im Podcast Mit.Menschen erzählt: "Ich habe es gespürt, aber vor mir nicht zugegeben. Es dauerte eine sehr lange Zeit, bis ich selber dazu stehen und es öffentlich machen konnte."

Bilgri trat mit 21 Jahren der Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in München bei. "Ich war ganz begeistert, mein Leben für Christus und die Kirche hinzugeben", sagt der heute 67-Jährige. Er dachte, er könne seine Homosexualität "in den Griff" bekommen. "Aber als die Anfangsbegeisterung wich, wurde die Sehnsucht nach einem Partner immer lauter", erzählt er offen. Ein Doppelleben konnte er nicht führen, Partnerschaften sind in einem Kloster unmöglich. Dass er schwul ist, hat er so jahrelang versteckt und unterdrückt. "Ich war im Kloster damit nicht alleine - offizielles Gesprächsthema ist Homosexualität im Kloster aber natürlich nie", sagt er. Irgendwann musste sich Bilgri fragen: Was ist mir wichtiger?" Er entschied sich für die Suche nach der Liebe und trat 2004 aus dem Orden aus.

Über eine Dating-Plattform im Internet lernte er vor elf Jahren den 27 Jahre jüngeren Bahn-Manager Markus Achter kennen. Und wie es in den heutigen Zeiten so ist, entstand aus einem virtuellen Kennenlernen Bilgris Liebe fürs Leben. Für sein Umfeld war die Beziehung keine große Überraschung. "Die wussten das schon. Trotzdem hat es mich gewundert, dass mein Coming-Out als mutig bezeichnet wurde. Zum Heiraten braucht es sicher Mut, aber doch nicht zum Outen. Heutzutage ist es doch keine Besonderheit mehr, wenn zwei Männer heiraten", sagt er. Überrascht, so sagt er, war er dennoch vom Medienrummel um seine Hochzeit.


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Nur wenige Tage nach der Trauung sorgte eine Nachricht aus Rom ebenso für Wirbel: Der Vatikan lehne die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ab mit der Begründung: "Es entspräche nicht dem Plan Gottes", wie es in einer Stellungnahme heißt. Noch im letzten Jahr verkündete Papst Franziskus, der Staat müsse rechtliche Rahmen schaffen, damit homosexuelle Paare als Familie leben dürfen. Ein Jahr später die Rolle rückwärts. "Das ist meine Kritik am sonst sehr sympathischen Papst Franziskus. Er geht zwei Schritte voraus und die Kurie pfeift ihn eineinhalb Schritte zurück. An was können sich Katholiken noch halten?", fragt sich Bilgri. Auf der einen Seite, sagt er, wecke der Papst Erwartungen, die nicht erfüllt werden - das wiederum führe zu einer steigenden Enttäuschung und Frustration der Gläubigen. Bilgri wechselte aus diesem Grund im letzten Jahr von der römisch-katholischen zur alt-katholischen Kirche - dort kann er auch nach seiner Heirat als Priester tätig sein.

Für ihn sitzt der Vatikan in einem "selbstgestrickten Gefängnis, aus dem sie sich nicht befreien können." Nach klassischem Verständnis ist jede Sexualität außerhalb einer Ehe eine Sünde. "Von der bisherigen Lehre ist es konsequent gedacht. Dennoch ist es mit unserem modernen Leben und Selbstverständnis nicht mehr vereinbar", so Bilgri. Die Kirche müsse sich ändern, um die Welle an Austritten, auch aufgrund des Missbrauchsskandals, stoppen zu können. "Zwangszölibat sollte nicht mehr gefordert werden, auch Frauen müssen bis in die höchsten Ämter gleichberechtigt sein. Ich kann mir eine Bischöfin aber auch eine Päpstin sehr gut vorstellen", sagt Bilgri. Hoffnungen auf einen Wandel hat er, doch der Synodale Weg sei mehr gefragt denn je.


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Bilgri arbeitet heute als Unternehmensberater und Autor. Sein Glauben hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. "Er ist nicht mehr selbstverständlich. Mein Gottesbild hat sich total gewandelt und diese Personalität Gottes kann ich so nicht mehr wahrnehmen", erzählt er. "Ich glaube an das Leben. Es gibt zwei Grundtriebe des Menschen. Die Erhaltung der Art und die Erhaltung des Individuums. Da gehört für mich Liebe dazu". Und die hat Anselm Bilgri gefunden.

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