Abreise in aller Stille: Asif N. flog freiwillig zurück

1.8.2019, 05:47 Uhr
Rechtsanwalt Michael Brenner (links) stand seinem Mandanten Asef N. zur Seite und sah gute Chancen für das Asylfolgeverfahren.

© Foto: privat Rechtsanwalt Michael Brenner (links) stand seinem Mandanten Asef N. zur Seite und sah gute Chancen für das Asylfolgeverfahren.

Er wollte einfach nur noch weg. Vor zwei Monaten stieg Asif N. (22) ins Flugzeug und flog nach Kabul. Zurück nach Afghanistan. Zurück in ein Land, in dem immer noch Kämpfe stattfinden und rivalisierende Ethnien offene Rechnungen begleichen. Dies erschien ihm besser, als weiter in Nürnberg der Bleibeperspektive hinterherzulaufen.

15.962 Personen, so gibt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) an, reisten im Jahr 2018 aus, im Vorjahr waren es 29.522 Personen, 2016 waren es sogar 54.006 Menschen. Die sinkenden Zahlen sind im Vergleich mit den Zugangszahlen zu sehen, 2016 waren diese besonders hoch.

500 Euro für den Neustart

Wer freiwillig ausreist, erhält die Kosten für die Rückreise, und abhängig vom Herkunftsland eine Starthilfe. Während Migranten vom Westbalkan von dieser Starthilfe ausgeschlossen sind, erhalten Afghanen 500 Euro für den Neustart. Bund und Länder finanzieren das Rückkehrerprogramm gemeinsam.

Eine Abreise in aller Stille – eine gegensätzlichere Szenerie zu den Tumulten vom 31. Mai 2017 ist kaum vorstellbar: Vor mehr als zwei Jahren sorgte Asif N.s geplante Abschiebung direkt aus seiner Berufsschule 11 bundesweit für Schlagzeilen.

Abreise in aller Stille: Asif N. flog freiwillig zurück

© Michael Matejka

Derartige Einsätze sind Alltag in Deutschland. Ungewöhnlich war die Solidarität der Mitschüler. Sie veranstalteten erst Sprechchöre, dann folgten Sitzblockaden. Immer mehr Jugendliche strömten herbei, Passanten blieben vor Ort. Irgendwann standen 300 Menschen vor der Schule, auf Facebook und Twitter verbreitete sich ein Aufruf, sich am Protest zu beteiligen. Viele filmten mit ihren Handys. Ein Flüchtlingsdrama in Echtzeit.

Alles schien zu passen

Asif N. war im Dezember 2012 als knapp 16-jähriger, unbegleiteter Flüchtling im Kinder- und Jugendhaus Stapf in Nürnberg gelandet. Er lernte Deutsch, absolvierte ein Berufsgrundbildungsjahr (BGJ), Ausbildungsrichtung Schreiner. 2016 schloss er die Schule erfolgreich ab und fand einen Betrieb mit einem Chef, der ihm eine Ausbildungsstelle anbot. Alles schien zu passen.

Vermittelt die Politik nicht immer den Eindruck, dieses Land würde für erfolgreiche Integrationsanstrengungen ein Aufenthaltsrecht gewähren?

Antrag abgelehnt

Bereits im Oktober 2013 war sein Asylantrag abgelehnt worden, er wurde nur noch geduldet. Doch angesichts des Terrors der Taliban herrschte Abschiebestopp nach Afghanistan, dies änderte sich erst mit dem Rücknahmeabkommen am Ende des Jahres 2016. Gegen EU-Finanzhilfe verpflichtete sich das Land, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen.

Abreise in aller Stille: Asif N. flog freiwillig zurück

© Foto: privat

Zu diesem Zeitpunkt wurde auch Asif N.s Antrag auf eine Ausbildungserlaubnis abgelehnt. Die Lehre konnte er nicht antreten. Anders gesagt: Seit Dezember 2012 hatte der Steuerzahler N.s Aufenthalt in Nürnberg finanziert. Obwohl er einer geregelten Arbeit nachgehen und selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen wollte, musste er Jahr und Tag herumsitzen, bis er schließlich abgeschoben werden sollte. So wird Bürokratie zum Problem für das Wachstum – weder kann der junge Mann sein Leben vernünftig gestalten, noch nutzt er der Gesellschaft.

Asif N. wiederholte das BGJ. Über seinen Anwalt Michael Brenner versuchte er, im April 2017 wegen guter Integration eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Und dann kam der 31. Mai 2017. Und nun gab es noch eine andere Erzählung.

Die "zweite Flucht"

Augenzeugen, Politiker, Polizei und Medien lieferten sich einen Kampf um die Deutungshoheit der Geschehnisse, der Polizeieinsatz wurde als überzogen kritisiert. Die Behörden dagegen sprachen von massiven Attacken wie Flaschenwürfen und einem in Richtung der Beamten geschleuderten Fahrrad.

Danach schlossen sich einige Unterstützer zur Gruppe "Widerstand Mai 31" zusammen, vor einigen Wochen verabschiedeten sie Asif. Eine Aktivistin der Gruppe nennt den Begriff der "freiwilligen Ausreise" unpassend. Asif N. habe das Nichtstun nicht ertragen – für ihn zogen sich die Tage in der Unterkunft wie Kaugummi, weil er nicht arbeiten durfte. Mit seiner Frustration sei der junge Afghane nicht allein. Das untätige Warten mache viele Asylbewerber systematisch mürbe.

Asif N. hielt es nicht mehr aus. Er sprach von seiner "zweiten Flucht", nicht von einer "Heimreise".

Zwölf Verfahren

Nach den Protesten vom 31. Mai strengte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth 18 Verfahren gegen 19 Beschuldigte an. Wegen Körperverletzung im Amt galten nach dem Einsatz auch zwei Polizisten als verdächtig. Doch die Anschuldigungen von Demo-Teilnehmern ließen sich nicht erhärten, auch weil die Zeugen nicht zu den Vernehmungen erschienen. Von diesen 18 Verfahren wurden zwei an andere Staatsanwaltschaften abgegeben.

Vier Verfahren wurden eingestellt, bilanziert Antje Gabriels-Gorsolke, Oberstaatsanwältin und Sprecherin der Behörde. Zwölf Verfahren führten zu Anklagen oder Strafbefehlen, zehn sind rechtskräftig abgeschlossen. Gegen drei Angeklagte wurden Freiheitsstrafen, in jedem Fall zur Bewährung ausgesetzt, verhängt. Einmal waren es acht Monate, in einem zweiten Fall neun Monate, ein dritter Angeklagter kassierte zwei Jahre. Fünf Beschuldigte wurden zu Geldstrafen verurteilt, gegen zwei Beschuldigte (darunter auch Asif N. selbst) wurden jugendrichterliche Maßnahmen verhängt.

Ein Spielball geopolitischer Interessen

Die Justiz ist bis heute mit der Aufarbeitung der Strafverfahren, zwei hängen noch in Berufungsinstanzen, beschäftigt. Doch Innenminister Joachim Herrmann (CSU), als Jurist weiß er um die aufwendige Ermittlungsarbeit, gab schon am Tag nach dem 31. Mai "linken Autonomen" die Schuld an der Eskalation.

Die überwiegend jungen Beschuldigten erklärten vor Gericht dagegen ihren Widerstand schon aus moralischen Erwägungen für richtig. Wer könne behaupten, es gäbe sichere Gebiete in Afghanistan? Das Land ist Spielball geopolitischer Interessen. Der Ostblock wollte in Kabul eine sowjetfreundliche Regierung installieren, die USA versuchten, die Russen in einer Art Vietnamkrieg aufzureiben, die Taliban füllten das folgende Machtvakuum aus – und heute, da Jugendliche wie Asif N. bei uns Schutz suchen, schicken wir sie zurück ins Kriegsgebiet. In ein Land, das deutsche Politiker nur mit kugelsicheren Schutzwesten betreten.


Das komplette Interview zwischen Asif N. und dem Bündnis "Widerstand Mai 31" lesen Sie hier


Als zwei Polizisten am 31. Mai 2017 kamen, um Asif N. in seinem Klassenzimmer abzuholen, folgte er zunächst bereitwillig. Erst als es zu Tumulten kam, wehrte er sich.

Kannte er die aktuellen Bilder aus Kabul? Hatte er auf seinem Smartphone gesehen, dass eine Bombe ganze Straßenzüge zerstört hatte? Ein Akt der Notwehr, argumentierte sein Anwalt Michael Brenner später, das Jugendgericht verurteilte Asif N. im Dezember 2018 für den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit.

Asif N. flog an diesem Tag nicht nach Kabul. Nahe der deutschen Botschaft hatte eine Bombe mehr als 150 Menschen getötet. Abschiebungen nach Afghanistan wurden vorübergehend eingestellt.

Sachbeschädigung und Drohung

Asif N. schlug eine Welle der Solidarität entgegen. Doch als bekannt wurde, dass er in der Nacht zum 7. Mai 2017 alkoholisiert unterwegs war und eine Ampel mit Flaschen beworfen hatte, kippte die Stimmung. Für Aufregung sorgte auch, dass er nach dem eskalierten Abschiebeversuch vor Polizisten drohte, zurück nach Deutschland zu kommen, um Deutsche umzubringen.

In der Empörung ging fast unter, dass er sich für seine wüste Drohung sofort entschuldigte. Auch den an der Ampel angerichteten Sachschaden von 1150 Euro stotterte er längst ab. Zur Sachbeschädigung kam es, weil ihm kurz vorher der Zutritt in eine Disco verwehrt worden war, seine deutschen Begleiter durften hinein.

Im Juni 2017 beantragte Rechtsanwalt Michael Brenner ein Asylfolgeverfahren für seinen Mandanten. Er ist bis heute sicher, dass die Chancen gut standen. Der Betrieb, der Asif N. schon einmal eine Ausbildungsstelle angeboten hatte, wiederholte sein Angebot. Doch annehmen durfte er es nicht, es blieb beim Arbeitsverbot. "Ich wollte immer etwas machen", betonte Asif N. in einem Interview, das die Gruppe "Widerstand Mai 31" mit ihm geführt hat. Die 100 Stunden gemeinnützige Arbeit hat der junge Afghane vor seiner Ausreise übrigens abgeleistet.

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