Alt-OB Ulrich Maly im Interview: "Mir fehlt das Schockerlebnis"

28.7.2020, 05:55 Uhr
Alt-OB Ulrich Maly im Interview:

© Foto: Michael Matejka

Wie fühlt sich der Ruhestand nach 100 Tagen an?

Ulrich Maly: Es verändert sich noch. Die erste Erkenntnis war: Man muss den Ruhestand genauso konzentriert angehen wir den Job vorher, um auf Fehler, die viele machen, nicht hereinzufallen. Also: Keine Ehrenämter häufen, nur um jeden Tag eine Krawatte anzulegen. Das Loslassen erfordert Konzentration.

Was mussten Sie denn genau loslassen?

Maly: Die Bedeutung, die das Amt mit sich bringt. Das war nicht so schwer, ich hatte ja Zeit, mich darauf vorzubereiten. Dann die Zuständigkeit, was tatsächlich schwieriger ist. Dazu eine Anekdote zum "Sich-verantwortlich-fühlen": Am 1. Mai, also am Tag nach dem Ende meiner Amtszeit, hat um 6 Uhr am Morgen bei der FFW Worzeldorf die Sirene geschrillt – das hört man bei uns im Schlafzimmer. Ich habe zu meiner Frau gesagt: Oh, da ist bestimmt was Größeres passiert. Sie hat geantwortet: Das geht Dich nichts mehr an. Sie hatte Recht. Nicht mehr zuständig sein, erfordert Konzentration.


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Trotz all des Loslassens bleiben Sie weiterhin Teil der Stadtgesellschaft: Als Alt-OB werden Sie zu vielen Eröffnungen und Einweihungen von Vorhaben eingeladen, die Sie auf den Weg gebracht haben…

Maly: …ich werde da eher selektiv vertreten sein. Ansonsten macht es der Herr König. That’s life.

Corona hat Ihnen einen besonderen Abschied beschert, einen ohne die üblichen Lobpreisungen. Setzen Sie darauf, dass das nachgeholt wird?

Maly: Meine Abschiedsfeier ist abgesagt, nicht verschoben. Das hat Vor- und Nachteile. Ich habe viele nette Briefe aus Nürnberg erhalten, aber auch aus der Bundes- und Landesebene. Der "Nachteil" besteht darin, dass so eine Abschiedsfeier fast wie eine Beerdigung ein Stück Reinigung der Seele mit sich bringt. Dieses Schockerlebnis fehlt.

Umso mehr frage ich mich, warum Sie bislang so gar keine Ehrenämter angestrebt haben? Wollen Sie wirklich nichts im öffentlichen Raum machen — also der Privatmensch Uli Maly sein?

Maly: Ja, das ist so. Ich mache bei der Kulturhauptstadtbewerbung mit, allerdings nur im Beirat. Ich bin nach wie vor im Club-Aufsichtsrat. Ich suche nichts Neues.

Ein krasser Bruch. Sehnen Sie sich nicht nach einer Struktur im Alltag?

Maly: Die Struktur geben wir, meine Frau und ich, uns selber. Ich lese früh eineinhalb Stunden Zeitung… Im Ernst: Es gibt diese Sehnsucht nach Freiheit, die sich auch darin manifestiert, keinen vollen Kalender zu haben. Meine Frau und ich unterhalten uns wahnsinnig viel, wir waren ja sehr wenig zusammen in den letzten 18 Jahren. Ich vermisse nichts.

Schade. Nicht wenige Zeitgenossen sagen: Von dem Maly, der so gute Reden halten konnte, könnten wir schon noch was vertragen…

Maly: …ich kann das nicht ausschließen. Ich habe so viele Reden gehalten, dass mir da auch nichts fehlt. Die Bühne fehlt mir nicht. Und dass der Welt mein Intellekt fehlt, glaube ich nicht, es gibt genügend andere kluge Menschen. Außerdem wird man ja nicht automatisch im fortgeschrittenen Alter besser. Rechtzeitig aufgehört zu haben, ist kein schlechtes Gefühl.

Wir haben ausgemacht, nicht über die Nürnberger Kommunalpolitik zu reden. Trotzdem: Ist es Ihnen schon mal passiert, dass Sie den Gedanken hatten "Das hätte ich aber anders gemacht!"?

Maly: Ja. Das erzähle ich dann allenfalls meiner Frau. Oder gehe eine Runde Joggen.

Haben Sie in Nürnberg seit Ihrem Ausscheiden aus dem Rathaus etwas Neues entdeckt?

Maly: Nein, aber das war auch Teil meines besonderen Social-Distancing-Projekts. Ich bin bewusst nicht ins Rathaus gegangen, war auch selten in der Stadt.

Dann waren Sie bestimmt in der Toscana. Sie gelten als Angehöriger der Toscana-Fraktion innerhalb der SPD…

Maly: …das muss ich jetzt ein für allemal korrigieren. Ich war in den letzten 18 Jahren ein einziges Mal in der Toscana, weil dort mein Schwager und meine Schwägerin ihren Hochzeitstag gefeiert haben. Ansonsten gehöre ich zur italienischen Berge-Fraktion. Ich bin und bleibe aber vor allem Nürnberger.

Dann bleiben Sie auch im Aufsichtsrat des 1. FC Nürnberg?

Maly: Die Frage stellt sich jetzt nicht, ich bin noch für zwei Jahre gewählt. Ob das danach so bleibt, muss man sich überlegen. Ich bin dort ja nie mit dem Ehrgeiz, sportliche Kompetenz zu haben, angetreten.

Wie sieht es mit den Freundschaften aus, die Sie in der Politik geschlossen haben?

Maly: Alle guten Freunde, die es vor der Politik gab, sind geblieben. Es gab auch neue Freundschaften, die sich während der Amtszeit entwickelt haben. Da gibt es natürlich Leute, wo man spürt, da verbindet uns etwas. Diese Freundschaften sind auch geblieben.

Info:

Ulrich Maly (59) amtierte von 2002 bis 2020 als Oberbürgermeister von Nürnberg. Zuvor war der Sozialdemokrat Kämmerer der Stadt. Mit der Ankündigung im März 2019, nicht mehr für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung zu stehen, hat Maly viele Beobachter überrascht. Maly ist verheiratet und lebt mit seiner Frau in der Falkenheimsiedlung. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder.

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